WAZ: Widerstände bei SPD und Union: Klassenkampf in den Fraktionen - Kommentar von Angela Gareis
Geschrieben am 27-06-2006 |
Essen (ots) - Wenn diese speziellen zwei Schulklassen zum Unterricht kommen, dann haben viele Schüler ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie trödeln so herbei, packen den Ranzen aus und fangen an zu nörgeln. In der Klasse SPD nörgeln sie weit lauter als nebenan bei der CDU/CSU. Das Lehrpersonal fragt sich oft völlig ratlos, wie das Klassenziel Reform Deutschlands erreicht werden soll.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering haben die Große Koalition als eine des großen Pragmatismus begonnen. Aber immer häufiger zeigt sich, wie schon zu Zeiten der rot-grünen Regierung, dass die Fraktionen mit der Reformgeschwindigkeit ihrer Spitzenleute nicht mithalten können und wollen. Viele Abgeordnete sind über die Vorhaben schlecht oder erst spät informiert und verweigern sich der Erkenntnis, dass nicht immer alles von allen Seiten in einen Entwurf hineinverhandelt werden kann.
Wenn Merkel und Müntefering sich einigen, bejammern hinterher nicht wenige das parteipolitische Weltende. Abgeordnete pflücken einzelne Themen von der Qualität des Abfallrechts aus der Föderalismusreform und erheben sie zur Gewissensfrage. Andere tragen ihre persönliche Gesundheitsreform im Herzen und das Herz auf der Zunge. Wieder andere wollen demonstrieren, dass sie, also nur sie, besonders aufrecht durch die Gegend laufen
Guerilleros nennt CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer die Widerständler. Bei der SPD klingt das gelegentlich robuster. Fraktionschef Peter Struck sah sich kurz vor der Abstimmung über die Föderalismusreform zeitweise 60 Abtrünnigen gegenüber. Das hat in dieser Form nicht einmal Gerhard Schröder mit der Reformagenda erlebt. Eine knappe Mehrheit übt eine disziplinierende Wirkung auf die Fraktionen aus. Die komfortable Mehrheit der Großen Koalition dagegen lädt viele offenbar zum Herumtollen ein.
Merkwürdige Kompromisse werden geboren: landwirtschaftliche Vorsteuerpauschale für die Union gegen sexuelle Identität im Antidiskriminierungsgesetz für die SPD. Etwas mehr Einfluss des Bundes auf die Bildung bei der Föderalismusreform für die SPD gegen etwas weniger Antidiskriminierung für die Union. Diese Verwurstung vollkommen sachfremder Bereiche wirkt in der Außendarstellung so, als würde das Lehrpersonal tatsächlich bloß lauter kleine Extrawürste braten, um die Laune der Schüler zu heben.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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