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Landeszeitung Lüneburg: ,,Optimismus war oft nur verlogen" - Interview zur Finanzkrise mit Thomas Bieler, Finanzmarktexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen

Geschrieben am 18-09-2008

Lüneburg (ots) - Bettelnde Banken, brodelnde Börsen: Die Woche
stand ganz im Zeichen der Finanzkrise. Pleiten, Profitillusionen und
Pannen halten die Weltwirtschaft in Atem. Welche Gefahren bestehen
für den Privatanleger und welche nicht? Thomas Bieler,
Finanzmarktexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, nimmt
Stellung im Interview der Woche.

Erschüttern die Schockwellen des Schwarzen Montags auch das
deutsche Finanzsystem?
Thomas Bieler: Ja, natürlich. Dass das allerdings bis an die
Grundfesten gehen wird, möchte ich bezweifeln. Aber die
Verunsicherung ist riesig. Noch vor wenigen Wochen hätte niemand
vermutet, dass die viert"größte Investmentbank Amerikas pleite gehen
könnte. Denn da muss man sich als Manager schon sehr anstrengen, um
eine solche Bank straucheln zu lassen.

Ist das Geld von Otto Normalverbraucher unter dem Kopfkissen
sicherer als auf der Bank?
Bieler: Nein, das auf keinen Fall. Unterm Kopfkissen kann es
gestohlen werden. Auf der Bank kann es dagegen nicht einfach verloren
gehen, weil die Banken über vernünftige Einlagensicherungssysteme
verfügen. Das heißt, alles Geld, das auf irgendwelchen Konten liegt
-- egal, ob Sparbuch, Tagesgeldkonten oder deutsche
Schuldverschreibungen -- unterliegt der Einlagensicherung und ist
somit in Deutschland grundsätzlich unbegrenzt abgesichert.

Schützen die Einlagensicherungsfonds jedes Konto bis zu jeder
Höhe?
Bieler: Es gibt unterschiedliche Systeme. Bei den privaten Banken
haben wir Fonds, die bis zu einer Höhe von 30 Prozent des haftenden
Eigenkapitals absichern -- je Anleger. Das heißt: Verfügt die Bank
über fünf Millionen Euro haftendes Eigenkapital wären je Anleger 1,5
Millionen Euro abgesichert. Man kann davon ausgehen, dass die
Einlagen des Normalanlegers komplett abgesichert sind. Bei Sparkassen
und Genossenschaftsbanken hat man andere Systeme, aber die
gewährleisten praktisch auch eine unbegrenzte Sicherheit.

Sind diese Fonds Lehren aus vergangenen Pleiten?
Bieler: Genau, der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes
deutscher Banken ist erst nach der Pleite der Kölner Herstatt-Bank
1974 geschaffen worden, die sich mit Devisengeschäften verspekuliert
hatte.

Wurden diese Fonds hierzulande schon mal in Anspruch genommen?
Bieler: Ja, nachdem einige kleinere Bankhäuser kollabiert waren. Bei
der Pleite der Fischer-Bank in Hamburg flossen in den 90er-Jahren
immerhin insgesamt 1,6 Milliarden Mark. für rund 70000 Kunden, bei
der Fast-Pleite der Schmidt-Bank im Jahr 2002 sogar 1,3 Milliarden
Euro. Die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht; d.
Red.) hat jetzt die Lehman Brothers Deutschland aus dem Verkehr
gezogen. Das könnte ein Fall für die Einlagensicherungsfonds werden
-- vermutet wird, dass er sogar deutlich größer werden könnte als
damals die Schmidt-Bank.

Also besteht zu einem panischen Sturm auf die Banken kein Anlass?
Bieler: Nein, die deutschen Banken mussten zwar schon Milliarden Euro
abschreiben, sind aber nicht elementar gefährdet. Anders als viele
amerikanische Banken tummeln sie sich nicht nur auf den
Kapitalmärkten, sondern haben auch noch das normale Kundengeschäft
als wichtiges Standbein.

Die Talfahrt der Aktienkurse löst hierzulande wenig Besorgnis aus.
Sehr viel weniger Deutsche spekulieren als etwa Amerikaner. Was aber
ist mit den Aktienfonds der Versicherer? Sind die
Lebensversicherungen in Gefahr?
Bieler: Bleiben die Aktienmärkt nach der jetzigen kräftigen Korrektur
nach unten länger auf diesem Niveau, wird man es auch bei der Rendite
der Lebensversicherungen merken. Allerdings sind die deutschen
Versicherer sehr vorsichtig geworden, nachdem sie sich beim
Börsencrash Ende der 90er-Jahre die Finger verbrannt hatten. Sie
haben meist nur um die zehn Prozent Aktien im Depot -- deutlich
weniger, als sie dürften. Hier liegt das Geld meist in sicheren
Anlagen wie festverzinslichen Wertpapieren oder wird in Form von gut
abgesicherten Immobilienkrediten an Kunden vergeben.

Was würden Sie denen empfehlen, die jetzt ihr Geld anlegen wollen?
Bieler: Im Moment würde ich als sicherheitsorientierter Anleger auf
keinen Fall in Aktien investieren. Das ist nur etwas für jemanden,
der zocken will, der auf hohe Gewinne aus ist, aber -- wenn es
schiefgeht -- auch mit hohen Verlusten leben kann. Wer sein Geld
vernünftig anlegen will, muss im Moment auf Sicherheit und
Flexibilität setzen. Und da gibt es durchaus interessante Angebote:
Tagesgeldkonten etwa sind einlagengesichert, jederzeit verfügbar und
bieten in der Spitze bis zu fünf Prozent Zinsen. Was will man mehr?

Muss das System der Finanzaufsicht überprüft werden?
Bieler: Unbedingt. Es darf nicht sein, dass man über außerbilanzielle
Gesellschaften eine ganze Bank hinrichten kann -- wie das bei der IKB
geschehen ist. Es darf künftig nicht mehr passieren, dass die
Finanzaufsicht nur das Haupthaus überprüft, während eine in Irland
gegründete Tochtergesellschaft die ganze Bank ins Trudeln bringt.
Insgesamt erwies sich die Finanzkrise auch als eine Krise der
Ratinggesellschaften, deren Einblickmöglichkeiten offenbar allzu
begrenzt sind, und die deshalb viele Papiere zu gut bewertet haben.

Wäre es sinnvoll, das Haftungsrecht zu verschärfen, damit Manager
verantwortungsvoller spekulieren?
Bieler: Das ist eine politische Frage. Aber es kann nicht so bleiben,
dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Wer viel
verdient, weil er viel Verantwortung übernimmt, sollte auch dafür
geradestehen, wenn er Mist baut.

Zunächst stützte Washington trudelnde Banken, jetzt nicht mehr.
Ist der Kurswechsel richtig?
Bieler: Das war ein klares Signal, dass derjenige, der die Karre vor
die Wand fährt, auch dafür einstehen muss. Wer völlig unüberschaubare
Risiken eingeht, soll nicht mehr davon ausgehen können, dass der
Steuerzahler letztlich die Löcher stopft. Washington ließ Lehman
Brothers aber auch deswegen leichteren Herzens im Regen stehen, weil
hier vorwiegend institutionelle Anleger und weniger Privatkunden
betroffen sind als etwa bei Freddie Mac und Fannie Mae. Käme die
Citigroup ins Straucheln, würde Washington wohl nicht stillhalten?
Bieler: Eine Bank, die zig Kunden hat, kann der Staat nicht vor die
Wand fahren lassen. Alleine schon, weil ein solcher Brocken sämtliche
Sicherungssysteme sprengen und letztlich zu dem Sturm der Kunden auf
die Banken führen würde, die ihre Konten auflösen wollen.

Wird die Krise das Bewusstsein für die Risiken von Spekulationen
schärfen?
Bieler: Das hoffe ich. Kein Risiko verschwindet, nur weil man es drei
Mal umverpackt. Hier wurden haarsträubende Fehler gemacht, der
gesunde Menschenverstand völlig ausgeschaltet. Aber ich fürchte, dass
das Gedächtnis der Finanzwelt allzu kurz ist. Sobald uns andere
Instrumente mal wieder vier, fünf Boomjahre bescheren, guckt da
niemand mehr genau drauf. Letztlich ist nur eingetreten, was wir auch
Privatkunden immer vermitteln: Sehr hohe Renditen lassen sich nur mit
sehr hohen Risiken erwirtschaften -- aber die können auch eintreten.

Ist ein Ende der aktuellen Krise in Sicht?
Bieler: Das wissen nur die Banken selbst, weil nur sie wissen, was
sie noch an faulen Positionen im Keller haben. Bei optimistischen
Aussagen wurde jüngst auch viel gelogen. Ich glaube nicht, dass wir
die Krise überstanden haben. Es ist noch nicht mal sicher, dass wir
den Höhepunkt der Krise hinter uns haben -- denn wer hätte vor zwei
Wochen eine Pleite der Lehman Brothers vorhergesehen?

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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