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Die Uhr tickt Kanzlerin und Länder-Chefs beraten über Lockerungen und einigen sich hoffentlich auf einen Rückzug aus dem Shutdown. Die Zeit drängt. Von Marianne Sperb

Geschrieben am 14-04-2020

Regensburg (ots) - Die Uhr tickt. Jeden Tag sterben Menschen an Covid-19. Jeden Tag rücken Unternehmen näher an den Abgrund. Jeden Tag wanken unsere Bürgerrechte mehr. Die Regierung muss ihre Strategie anpassen, zügig und endlich auf der Basis interdisziplinärer Empfehlungen. Denn der Kosmos Corona ist komplex und braucht komplexe Reaktionen. Die Uhr tickt. Jeden Tag sehen wir neue Fakten und Kurven. Aber die Zahl gemeldeter Infektionen sagt wenig, unter anderem, weil die Tests auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit verweisen und nicht die aktuelle Lage beschreiben, und weil sie sich nicht auf die Bevölkerung beziehen, sondern vor allem auf Menschen, die Symptome zeigen. Die Steilkurve, die den Anschein einer katastrophalen Ausbreitung erweckt, gibt ein verzerrtes Bild, sind Fachleute einig, genau wie die Daten zu Schwerkranken und Toten, die ohne Bezug zu anderen Erkrankungen oder zu Sterberisiken spezieller Altersgruppen bleiben. Die Uhr tickt. Anfangs waren es Einzelstimmen von Medizinern, die schnell in die Ecke der Corona-Leugner gestellt wurden. Später meldeten sich Kapazitäten wie John Ioannidis von der Stanford-University. Inzwischen ist es ein Chor von Wissenschaftlern, der eindringlich darauf hinweist, wie ungesichert und widersprüchlich die Datenbasis für den Shutdown ist - aber wie elementar und exakt bezifferbar seine verheerenden Folgen. Die Uhr tickt. Vor Ostern publizierte eine Gruppe führender und auch unabhängiger Mediziner, Politologen, Juristen, Ethiker und Ökonomen ein Papier, das auf 29 Seiten glasklar und haarklein die magere Datenbasis, die undifferenzierte Präventionsstrategie und die Unverhältnismäßigkeit der Mittel analysiert. Am Ostermontag zog die Leopoldina nach, mit sehr ähnlichen Einwänden und Empfehlungen. Der Ruf der Mahner wird jetzt jeden Tag lauter. Die Uhr tickt. Der Mensch neigt dazu, seine Solidarität nach oben zu schrauben, je größer das Opfer ist, das ihm abverlangt wird, um sich nicht der Frage stellen zu müssen, ob das Opfer sinnvoll war. Dieser Selbstschutz-Reflex wirkt aber nur eine Zeit lang. Auch deshalb muss die Politik die Debatte jetzt weiter öffnen, sonst verspielt sie das - aktuell starke - Vertrauen der Bürger. Und wenn das passiert, wird es schwierig, den Exit mit Maß und Ziel zu steuern. Die Uhr tickt. Menschen sterben: an Corona, mit Corona, "nach Corona", wie es neuerdings diffus heißt, und die allermeisten: ohne Corona. Wir müssen uns verabschieden von der Illusion, wir könnten die Seuche 100-prozentig ausrotten, und uns wappnen, so gut es geht: gegen beides, gegen die Seuche und gegen die Kollateralschäden für Wirtschaft, Soziales, Gesamtgesundheit und Bürgerrechte. Die Uhr tickt. Anfangs war der Shutdown eine nachvollziehbare Reaktion, aber auf Dauer kann eine Steilkurve nicht der Maßstab aller politischen Beschlüsse bleiben. Die Fachgruppen empfehlen für den Exit, die Datenbasis zu verbessern, die Prävention auszubauen, Risiken zu differenzieren und sich auf das Unerwartete einzustellen, weil Corona nicht eine ganze Bevölkerung gleich trifft, sondern mit lokalen Clustern zu rechnen ist. Hinzu kommt: Covid-19 ist nicht nur komplex, sondern auch paradox. Je wirksamer die Kontaktverbote, desto höher wohl die Welle der neuen Fälle bei Lockerungen. Auch das ist ein Grund, den Shutdown schrittweise zu öffnen. Die Uhr tickt. Die Schätzungen zur Sterblichkeit schwanken extrem. Liegt die Fallzahl niedrig, sagt John Ioannidis, wäre ein Festhalten am Shutdown ungefähr so, als würde ein Elefant von einer Katze angegriffen und, weil er genervt ausweichen will, versehentlich von der Klippe springen. Deshalb brauchen wir Daten und die Abwägung vielfältiger Perspektiven, um zu sehen, ob wir sicher landen können. Bevor wir springen. Denn die Uhr tickt.

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