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"China Cables": Geheimdokumente belegen Menschenrechtsverstöße Chinas in Xinjiang

Geschrieben am 24-11-2019

Hamburg (ots) - Geheim eingestufte Dokumente aus dem Inneren der chinesischen
Kommunistischen Partei zeigen erstmals im Detail, wie die massenhafte
Internierung von religiösen Minderheiten in der Volksrepublik organisiert und
durchgeführt wird. In der Autonomieregion Xinjiang im Nordwesten Chinas werden
nach Einschätzung von Experten mehr als eine Million Menschen in Lagern
festgehalten, weitgehend ohne gerichtliche Verurteilung. Betroffen sind vor
allem Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren.

Die Dokumente, die dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten
(ICIJ) zugespielt wurden, belegen, dass die von der Regierung als
Weiterbildungseinrichtungen bezeichneten Lager tatsächlich abgeschottete,
engmaschig bewachte Umerziehungslager sind. Die Insassen werden gegen ihren
Willen gefangen gehalten. Damit widersprechen die zugespielten
Regierungsdokumente fundamental öffentlichen Aussagen der chinesischen
Regierung, wonach der Aufenthalt in den Lagern freiwillig sei. Außerhalb der
Lager werden den Dokumenten zufolge Uiguren gezielt überwacht mit dem Ziel, sie
in einer Datenbank zu erfassen.

Die Unterlagen stammen aus den Jahren 2017 und 2018. Weltweit haben mehr als 75
Journalistinnen und Journalisten von 17 Medienpartnern die Dokumente geprüft und
ausgewertet. In Deutschland waren Reporterinnen und Reporter von NDR, WDR und
"Süddeutscher Zeitung" an den Recherchen beteiligt. Sie werden unter dem
Schlagwort "China Cables" veröffentlicht.

Die geheimen Unterlagen beinhalten unter anderem eine detaillierte Anweisung,
unterschrieben von dem damals obersten Sicherheitschef der Autonomieregion
Xinjiang. Darin wird dargelegt, wie die in den Lagern internierten Minderheiten
selbst bei alltäglichen Dingen wie dem Toilettengang, beim Schlafen und beim
Unterricht zu überwachen sind. Auch von Züchtigungsmaßnahmen ist dort die Rede.
Außerdem soll ein Punktesystem eingeführt worden sein, mit dem die einzelnen
Internierten zu bewerten und selbst kleine Vergehen zu bestrafen seien.

Zuletzt hatte die New York Times, die auch Teil des China-Cables-Projekts ist,
über Dokumente der chinesischen Kommunistischen Partei berichtet, in denen vor
allem die politische Grundlage der Repressionspolitik gegenüber religiösen
Minderheiten in China thematisiert worden ist. Demnach soll das harte Vorgehen
gegen Muslime von Präsident Xi Jinping persönlich angeordnet worden sein. Dabei
solle "keine Gnade" gezeigt werden, zitiert die Zeitung eine Rede des
Staatschefs aus dem Jahr 2014.

Die "China Cables" erlauben einen tiefen Einblick in die Mechanik der
Unterdrückung, die die Kommunistische Partei Chinas in der Autonomieregion
Xinjiang etabliert hat. Der China-Experte Adrian Zenz spricht von einer
"systematischen Internierung einer ganzen ethno-religiösen Minderheit" und einem
"kulturellen Genozid". Zenz hat die Dokumente überprüfen können; für ihn belegen
sie "im Detail, dass die Regierung seit 2017 eine Massenkampagne der Umerziehung
in dieser Region durchführt, unter dem Namen der Berufsbildung". Gleichzeitig,
so der Experte, "geben die Dokumente aber auch eine schockierende Gewissheit,
dass das Ganze eine systematische und vor allem eine geheime Kampagne ist".

Neben den Anweisungen des Sicherheitschefs umfassen die nun veröffentlichten
Dokumente auch vier zusammenfassende Ausschnitte der sogenannten
"Integrationsplattform für gemeinsame Einsätze", verfasst von der
"Kommandostelle des Parteikomitees des Autonomen Gebietes für energisches
Niederschlagen und Stürmen an der Gefechtsfront" - eine Art interne
Nachrichten-Plattform der Überwacher. Das Dokument zeigt, wie die Kommunistische
Partei Chinas gegen religiöse Minderheiten vorgeht, die nicht in Lagern
interniert sind.

Die "Integrationsplattform", eine Datenbank zur Verfolgung und Beobachtung
einzelner Angehöriger von religiösen Minderheiten im In- und Ausland, ist dabei
offenbar eines der wichtigsten Werkzeuge. Um die Datenbank zu füllen, werden
demnach nicht nur Ausweise erfasst und Reisetätigkeiten überwacht, sondern auch
Mitarbeiter in uigurische Dörfer, zum Teil sogar in die Familien geschickt, um
genau herauszufinden, wie die Menschen über die Kommunistische Partei denken.

Dazu sollen "Spezialgruppen (...) in die Haushalte eindringen, jede Person
aufsuchen, sie befragen, Erkundigungen über sie einziehen und sie gründlich
überprüfen". Dabei gewonnene Informationen seien dann wiederum in die
"Integrationsplattform" einzuspeisen. Einzelne Einwohner sollen zudem in
"Gefahrenkategorien" eingeteilt werden: "Zu problematischen Personen, die sich
vor Ort befinden, ist eine Rückmeldung über die ergriffenen Maßnahmen zu geben;
zu problematischen Personen, die sich nicht vor Ort befinden, ist anzugeben, wo
sie sich befinden, konkret, ob sie sich im Ausland, außerhalb von Xinjiang oder
innerhalb von Xinjiang befinden, außerdem sind die Verwaltungs- und
Kontrollmaßnahmen anzugeben, die gegen sie ergriffen wurden."

Die Anweisungen des Sicherheitschefs und die Zusammenfassungen der
"Integrationsplattform" sind als "geheim" eingestuft, die mittlere von drei
Geheimhaltungsstufen innerhalb des chinesischen Verwaltungsapparats. Ein
weiteres Dokument ist nicht eingestuft. Es handelt sich dabei um ein
Gerichtsurteil aus dem Jahr 2018, aus dem hervorgeht, dass ein männlicher Uigure
zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Die Staatsanwaltschaft
hatte ihm "ethnischen Hass und ethnische Diskriminierung" vorgeworfen, weil er
Arbeitskollegen unter anderem dazu aufgefordert haben soll, aus religiösen
Gründen keine Pornographie zu schauen und regelmäßig zu beten.

Die Medienpartner des ICIJ haben eine gemeinsame Anfrage an die chinesische
Regierung gesendet und sie mit den Vorwürfen, die sich aus den Dokumenten
ergeben, konfrontiert. Diese Anfrage blieb unbeantwortet. Reporter von NDR, WDR
und "Süddeutscher Zeitung" haben zusätzlich eine Anfrage an die chinesische
Botschaft in Berlin gerichtet. Fragen zu den Dokumenten beantwortete die
Botschaft nicht, sie verwies lediglich auf offizielle Stellungnahmen zu den
"Bemühungen von Xinjiang zur Terrorbekämpfung und Entradikalisierung sowie zur
beruflichen Aus- und Weiterbildung".

Pressekontakt:
NDR Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Telefon: 040 / 4156 - 2304
Fax: 040 / 4156 - 2199
i.bents@ndr.de
http://www.ndr.de

Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/6561/4448944
OTS: NDR Norddeutscher Rundfunk

Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell


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