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ROG zur Maas-Reise: Ägypten ist kein Stabilitätsanker

Geschrieben am 28-10-2019

Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert Bundesaußenminister Heiko
Maas auf, bei seinen Gesprächen in Ägypten in aller Deutlichkeit die jüngste
Repressionswelle gegen Journalistinnen und Journalisten zu verurteilen. Ägypten
ist die dritte Station auf der Nordafrika-Reise des Ministers.

"Minister Maas muss in Ägypten unmissverständlich die sofortige Freilassung
aller Medienschaffenden fordern, die wegen ihrer Berichte über die jüngsten
Demonstrationen im Gefängnis sitzen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
"Es ist völlig inakzeptabel, dass die ägyptische Justiz seit Wochen mehrere
Journalisten und Bloggerinnen festhält, die nichts anderes als ihre Arbeit tun
und über eine breite Protestbewegung berichten wollten. Wer für diese
unverhohlene Repression keine klaren Worte findet, macht sich mitschuldig an der
Verharmlosung einer brutalen Diktatur, die gerade die letzten Freiräume für
unabhängigen Journalismus schließt."

Mihr fügte hinzu: "Die Bundesregierung sollte sich endlich von der Mär von
Ägypten als Stabilitätsanker in der Nahost-Region verabschieden. Mit seiner
gnadenlosen Repression trägt dieses Regime allenfalls dazu bei, die nächste
Generation gewalttätiger Islamistinnen und Islamisten heranzubilden, indem es
jede friedliche Kritik kriminalisiert und verfolgt." Im Koalitionsvertrag von
CDU, CSU und SPD heißt es zu Ägypten lediglich, man werde "die wirtschaftliche
und politische Stabilisierung fördern und die Resilienz gegen Gefahren
terroristischer Strukturen stärken".

In Ägypten sind derzeit mindestens 33 Medienschaffende wegen ihrer
journalistischen Arbeit im Gefängnis, darunter 28 professionelle Journalistinnen
und Journalisten sowie fünf Bloggerinnen und Blogger. Das sind mehr inhaftierte
Medienschaffende als in notorisch repressiven Ländern wie Saudi-Arabien oder
Iran
(https://www.reporter-ohne-grenzen.de/barometer/2019/journalisten-in-haft/).
Seit Beginn der jüngsten Proteste am 20. September wurden in Ägypten mindestens
16 Medienschaffende verhaftet. Sechs von ihnen wurden inzwischen wieder
freigelassen, die übrigen zehn sind weiterhin im Gefängnis.

AKTIVISTIN UND JOURNALISTIN NACH IHRER FESTNAHME GEFOLTERT

Die Menschenrechtsaktivistin, Journalistin und Bloggerin Esraa Abdel Fattah
wurde nach ihrer Festnahme am 12. Oktober von Sicherheitsbeamten in
Zivilkleidung zunächst an einen unbekannten Ort verschleppt und offenbar
misshandelt und gefoltert. Nach Angaben ihres Anwalts schlugen Polizisten sie,
um sie zur Herausgabe des Zugriffscodes für ihr Mobiltelefon zu zwingen. (https:
//rsf.org/en/news/egyptian-woman-journalist-tortured-during-interrogation)
Außerdem soll sie gezwungen worden sein, sieben Stunden lang mit dem Gesicht zu
einer Wand zu stehen. Aus Protest gegen ihre Misshandlung ist Abdel Fattah in
einen Hungerstreik getreten. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle
Bachelet, forderte Ägypten auf, die Folter- und Misshandlungsvorwürfe zu
untersuchen und sofort dafür zu sorgen, dass solche Übergriffe abgestellt
werden. (https://news.un.org/en/story/2019/10/1049581)

Auch der prominente Blogger Alaa Abdel Fattah soll nach seiner Verhaftung am 29.
September misshandelt worden sein. Berichten zufolge wurde er gezwungen, in
Unterwäsche einen Gang entlang zu laufen, während man ihn auf Rücken und Nacken
schlug (https://www.accessnow.org/a-message-from-his-family-alaa-in-danger-beate
n-blindfolded-threatened-in-prison/). Der Blogger - einer der bekanntesten
Protagonisten des Arabischen Frühlings von 2011 - war erst im März unter
strengen Auflagen aus einer fünfjährigen Haftstrafe entlassen worden: Er musste
sich jeden Abend auf einer Polizeiwache melden und die Nacht dort in einer Zelle
verbringen (https://rsf.org/en/news/egyptian-blogger-released-only-partially-0).
Die gleichen Meldeauflagen gelten weiterhin auch für den Fotografen Mahmud Abu
Seid alias Shawkan, der ebenfalls im März gesundheitlich schwer gezeichnet nach
mehr als fünfeinhalb Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde. Er war nach
jahrelanger willkürlicher Haft in einem Massenprozess verurteilt worden, weil er
2013 für internationale Medien über das gewaltsame Vorgehen der Armee gegen die
Proteste von Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi von der
Muslimbruderschaft berichtet hatte (https://rsf.org/en/news/egypt-shawkan-freed-
prison-must-spend-nights-police-cell).

JOURNALISTEN VON AP UND STAATLICHER AL-AHRAM WEEKLY IN UNTERSUCHUNGSHAFT

Unter den Inhaftierten der jüngsten Repressionswelle ist auch Khaled Dawoud, ein
langjähriger Redakteur der englischsprachigen staatlichen Wochenzeitung Al-Ahram
Weekly. Er hat seit der Mubarak-Ära immer wieder über Menschenrechtsverletzungen
in Ägypten berichtet und sowohl die Politik des 2013 aus dem Präsidentenamt
gestürzten Muslimbruders Mohammed Mursi als auch die Repression unter dem
heutigen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi öffentlich kritisiert. In der
Vergangenheit arbeitete er auch für deutsche Medien wie die ARD und die Deutsche
Presse-Agentur dpa.

Ebenfalls weiterhin in Untersuchungshaft sind der unter seinem Künstlernamen
Mohammed Oxygen bekannte Blogger sowie der Reporter Mustafa al-Chatib von der
Nachrichtenagentur Associated Press. Oxygen wurde am 20. September festgenommen,
Chatib am 13. Oktober (https://rsf.org/en/news/egyptian-woman-journalist-torture
d-during-interrogation).

Als Begründung für die Untersuchungshaft, die üblicherweise alle zwei Wochen
verlängert wird, dienen oft Vorwürfe wie Verbreitung falscher Nachrichten,
Missbrauch sozialer Medien zur Untergrabung der nationalen Sicherheit sowie
angebliche Zusammenarbeit mit terroristischen Organisationen.

REPRESSIVE GESETZE, MEDIEN UNTER GEHEIMDIENST-KONTROLLE

Unter dem seit 2014 regierenden Präsidenten Sisi ist Ägypten eines der Länder
mit den meisten inhaftierten Journalistinnen und Journalisten weltweit geworden.
Manche werden jahrelang ohne Urteil oder Anklage festgehalten, andere in
Massenprozessen zu langen Haftstrafen verurteilt. Kritische Medienschaffende
werden als angebliche Unterstützer der verbotenen Muslimbruderschaft
gebrandmarkt. Ein Großteil der relevanten Nachrichtenmedien gehört direkt oder
indirekt dem Staat, den Geheimdiensten oder regierungsnahen Unternehmern (https:
//www.reporter-ohne-grenzen.de/%C3%A4gypten/alle-meldungen/meldung/mom-projekt-u
nter-widrigen-bedingungen/).

Neue Sicherheits-, Medien- und Internetgesetze legalisieren weitreichende
Strafverfolgung und Zensur. Beispielsweise dürfen Journalistinnen und
Journalisten nur amtliche Angaben zu Terroranschlägen veröffentlichen und müssen
damit rechnen, für Berichte über Inflation oder Korruption verfolgt zu werden.
Seit 2017 hat die Regierung auch die Freiräume für unabhängigen Journalismus im
Internet massiv eingeschränkt und Hunderte Webseiten gesperrt, darunter viele
unabhängige oder oppositionelle Online-Medien sowie die Seiten vieler
Menschenrechtsorganisationen. Während der jüngsten Proteste sperrte Twitter
offenbar mehrere Dutzend Accounts arabischsprachiger Kritikerinnen und Kritiker
von Präsident Sisi (https://www.opendemocracy.net/en/north-africa-west-asia/how-
twitter-gagging-arabic-users-and-acting-morality-police/).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Ägypten auf
Platz 163 von 18ß Ländern weltweit. Weitere Informationen zur Lage der
Pressefreiheit in Ägypten finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/ägypten.

Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Pressereferat
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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