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WDR/NDR/SZ: Import-Arzneimittel: Altmaier machte sich für Kohlpharma stark

Geschrieben am 23-08-2019

Köln (ots) - Ärzte, Apotheken, AOKs, Patientenverbände und selbst
das Gesundheitsministerium wollten Anfang 2019 Arznei-Importe
zurückdrängen. Doch E-Mails aus dem Wirtschaftsministerium, die WDR,
NDR und SZ vorliegen, zeigen, dass sich Minister Altmaier Mitte
Januar persönlich bei Minister Spahn für die Importeure einsetzte.
Wenige Tage später war die Abschaffung der Importquote vom Tisch.

Das saarländische Unternehmen Kohlpharma ist eine der Firmen, die
ihr Geld damit machen, Arzneimittel billig im Ausland einzukaufen, in
eine deutsche Packung zu stecken und als Importarzneimittel an
Apotheken zu verkaufen. Die Apotheken wiederum sind gezwungen, einen
bestimmten Teil ihres Umsatzes mit diesen Importarzneimitteln zu
machen.

Die Regel war einst als Sparmaßnahme für die Krankenkassen
gedacht, doch die tatsächlichen Einsparungen sind mittlerweile
gering. Wenn zum Beispiel ein Medikament in Deutschland 1000 Euro
kostete und in Griechenland 600 Euro, könnte es ein Importeur in
Griechenland einkaufen und in Deutschland für 950 verkaufen. Ein
glänzendes Geschäft - für den Importeur.

Im vergangenen Jahr sorgten die Importe nur für Einsparungen von
schätzungsweise 0,3 Prozent der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen
Krankenkassen. Auf diese Zahl beruft sich der Bundesrat. Kohlpharma
spricht von doppelt so hohen Einsparungen.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen
Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, forderte jüngst aus einem anderen
Grund, den Importzwang abzuschaffen. Man dürfe Patienten nicht
unnötig gefährden. Hintergrund ist, dass bei mehreren
Arzneimittel-Skandalen einigen kleineren Importeuren vorgeworfen
wurde, die ausländische Ware schlecht zu kontrollieren. Auch die
zuständigen Landesbehörden tun sich mit der Kontrolle der Importe
schwer. Patientenverbände, der AOK-Bundesverband und der Dachverband
der Apotheker wollten deshalb ebenfalls den Importzwang beenden.
Kohlpharma hatte mit diesen Skandalen nichts zu tun.

Das Gesundheitsministerium legte im November 2018 zunächst einen
Gesetzentwurf vor, in dem die Importklausel eingeschränkt werden
sollte, Mitte Januar wollte Spahn die Klausel dann in einem
überarbeiteten Gesetzentwurf sogar komplett abschaffen. Kurz zuvor
hatte auch der Bundesrat die Regierung aufgefordert, die
Importpflicht abzuschaffen. Einzig das Saarland stimmte dagegen.
Kohlpharma sagt, die Abschaffung der Importklausel hätte "der
Interessenlage" der großen Pharmakonzerne entsprochen.

Kohlpharma selbst ist mit mehr als 600 Millionen Euro Umsatz und
800 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber im Saarland. Der
Firmensitz Merzig liegt im Wahlkreis von Bundeswirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU). Laut internen E-Mails und Vorlagen aus dem
Wirtschaftsministerium, die WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung mit
Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes erlangt haben, hat sich
Altmaiers Ministerium seit November 2018 massiv für den Erhalt der
Arznei-Importe eingesetzt.

In einem Vermerk des zuständigen Fachreferats zu Spahns
Gesetzesentwurf vom 21. November 2018 heißt es bereits: "Für die
Arzneimittelimporteure bedeutet die beabsichtigte Regelung eine
Verschlechterung ihrer Marktbedingungen. Daher ist mit Widerstand der
Importeure zu rechnen." Dennoch empfahl die Fachabteilung im
Wirtschaftsministerium die Zustimmung zur damals noch geplanten
Einschränkung der Importregelung. Auf einer Vorlage für
Staatssekretärin Claudia Dörr-Voß vom 10. Dezember 2018 ist das Wort
"Zustimmung" aber mit rotem Stift durchgestrichen und handschriftlich
"Leitungsvorbehalt" hinzugefügt, das heißt, die Leitung des
Wirtschaftsministeriums behielt sich das letzte Wort bei der vom
Gesundheitsministerium geplanten Änderung vor. Einen Tag später, am
11. Dezember 2018, hieß es in einer E-Mail an die Fachabteilung im
Wirtschaftsministerium: "Bundesminister möchte dazu direkt mit
Bundesminister Spahn sprechen".

Am 8. Januar hält das Wirtschaftsministerium in einem Vermerk zu
einer Abteilungsleitersitzung mit ausdrücklichem Verweis auf den
saarländischen Importriesen noch einmal fest: "Position BMWI:
Minister-Vorbehalt ("Kohlpharma")". Drei Tage später wendet sich
Kohlpharma direkt per E-Mail an den Minister. "Sehr geehrter Herr
Altmaier", heißt es darin, "wenn eine Änderung überhaupt Sinn macht,
dann wäre es am Besten, die Ergänzungen aus dem Rahmenvertrag
nachzuvollziehen. Gerne würde ich darüber kurz mit Ihnen
telefonieren."

In diesem so genannten Rahmenvertrag hatte sich der Spitzenverband
der Krankenkassen einige Monate vorher mit dem Apothekerverband auf
eine Neuregelung bei den Importen verständigt. Importarzneimittel
unter 100 Euro sollen demnach mindestens 15 Prozent günstiger sein,
zwischen 100 und 300 Euro mindestens 15 Euro und ab 300 Euro nur noch
5 Prozent.

Kohlpharma räumt auf Nachfrage zu der E-Mail ein: "In einem wenige
Tage später stattgefundenen kurzen Telefonat hat sich Herr Altmaier
nach den ökonomischen Auswirkungen der geplanten Regelung erkundigt",
habe aber keine Zusagen gemacht.

Wenige Stunden nachdem die Mail von Kohlpharma bei Altmaier
eintraf, wurde der Abteilungsleiter Gesundheitswirtschaft um eine
Einschätzung ("EILT sehr") zu dem Vorschlag gebeten. "Für eine
kurzzeitige Rückmeldung noch heute wäre ich sehr dankbar, gerne per
Mail, damit wir BM (Bundesminister Altmaier, d. Red.) dies noch
ergänzend zur Vorlage mitgeben können." In seiner Antwort hielt der
Abteilungsleiter den Vorschlag von Kohlpharma für "nicht tragfähig":
"Er geht weiter hinter den Gesetzentwurf des BMG zurück und hinter
die Position der Bundesländer."

Doch nur sechs Tage später findet sich in einer E-Mail des
Gesundheitsministeriums ans Wirtschaftsministerium die Feststellung:
"Wie bereits angekündigt, haben sich BM Altmaier und BM Spahn nach
hiesiger Kenntnis zur Importregelung verständigt". Es folgten genau
die Konditionen aus dem Apotheken-Rahmenvertrag, die Kohlpharma am
11. Januar an Peter Altmaier vorgeschlagen hatte. In einer Vorlage
für Peter Altmaier am 21. Januar heißt es: "Dieser Vorschlag
entspricht inhaltlich dem Vorschlag, den Sie mit BM Spahn
ausgehandelt haben." Damit bestünden "seitens des BMWI keine
Hindernisse mehr für einen Beschluss durch das Kabinett". Die
Abschaffung der Importförderklausel war damit vom Tisch. Mehrere
Bundestagsabgeordnete berichten gegenüber WDR, NDR und SZ, dass sich
vor allem ihre saarländischen Kollegen in den vergangenen Monaten
massiv für den Erhalt der Importregel eingesetzt hätten. Warum auch
Jens Spahn nachgegeben und die Importklausel doch nicht abgeschafft
hat, beantwortet das Gesundheitsministerium auf Anfrage nicht. Sein
Sprecher teilt dazu lediglich mit: "Kein Gesetzentwurf, der in den
Bundestag eingebracht wird, wird ohne Änderungen vom Parlament
beschlossen."

Die Frage, ob Peter Altmaier sich bei Spahn für das von Kohlpharma
vorgeschlagene Preismodell eingesetzt hat, beantwortet das
Wirtschaftsministerium nicht. Altmaiers Sprecherin teilt nur knapp
mit: "Zu etwaigen internen bilateralen Gesprächen nehmen wir wie
üblich keine Stellung."

Baden-Württembergs AOK-Chef Christopher Hermann wunderte sich über
den Sinneswandel innerhalb der Bundesregierung. All die mit der
Importquote verbundenen Probleme bleiben nun bestehen, sagt Hermann
auf Anfrage. "Profiteure der Importförderung sind heute
ausschließlich die Importunternehmen, deren Absatz per Gesetz
garantiert wird." Seine AOK werde dagegen "weiterhin für die
Abschaffung der Importquote eintreten".

Kohlpharma selbst kann mit der neuen Regelung dagegen zufrieden
sein, auch wenn "die jetzige Regelung für die Importeure eine
deutliche Verschlechterung ist", wie das Unternehmen offiziell
mitteilt. Tatsächlich rechnet Geschäftsführer Jörg Geller aber auch
damit, dass die neuen Regeln "wohl zu einer Umsatzausweitung führen",
weil sie so komplex seien, dass die Apotheker sie "wahrscheinlich
übererfüllen" werden.



Pressekontakt:
wdrpressedesk@wdr.de
Tel.: 0221 220 7100

Original-Content von: WDR Westdeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell


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