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Mittelbayerische Zeitung: Freiheit ist anstrengend Von Claudia Bockholt

Geschrieben am 02-05-2019

Regensburg (ots) - Kann es 80 Millionen verschiedene Wahrheiten
geben? Wohl kaum. Aber 80 Millionen unterschiedliche Wahrnehmungen,
die hält mittlerweile jeder für möglich, der in den Sozialen Medien
unterwegs ist. Die Nachrichtenwelt hat sich nicht nur beschleunigt,
in ihr melden sich auch immer mehr individuelle Einzelstimmen zu
Wort. Es ist großartig und eine Gnade, in einem Land zu leben, in dem
jeder denken und weitgehend sagen kann, was er will. Doch immer mehr
Menschen scheinen die Vielfalt der Stimmen als unerträgliche
Kakophonie zu empfinden. Und statt den breiten Diskurs als
Bereicherung zu empfinden, schreien und schreiben sie Andersmeinende
nieder. Doch so ist halt die Demokratie: Jeder darf mitreden, jede
Stimme zählt. Was für eine Ironie: Nie war die deutsche Gesellschaft
pluralistischer, nie konnte sich die Vielfalt der Meinungen und
politischen Ansichten besser öffentlich entfalten. Und parallel
wächst die Unfähigkeit und der Unwille, andere Meinungen anzuhören,
überhaupt zu ertragen. Ganz so, als wäre eine andere, also "falsche"
politische Meinung hochansteckend, toxisch geradezu. So gefährlich,
dass man sie auf keinen Fall auch nur in seine Nähe lassen darf.
Eindrucksvoll zu beobachten gerade an der Goethe-Universität
Frankfurt, wo Studenten die Entlassung einer Professorin fordern. Ihr
Vergehen: Sie lud zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Kopftuch und
bat auch Islamkritiker auf das Podium. Pfeilgrad lautet der Vorwurf
der bunten Studentenschaft: Rassismus. Man muss nicht Habermas`
herrschaftsfreien Diskurs studiert haben, um zu wissen: Hier läuft
etwas in eine ganz verkehrte Richtung. Vielleicht haben die, die 50
Jahre nach dem Faschismus geboren wurden, den absoluten Wert der
Freiheit aus den Augen verloren, die ja nach Rosa Luxemburg immer die
der Andersdenkenden ist. ARD und ZDF, Spiegel und FAZ waren noch vor
20 Jahren Instanzen. Heute brüllt auch diesen Redaktionen ein
vielstimmiges "Lügenpresse" entgegen, sobald ein Redakteur einen
Fehler macht - oder auch nur schreibt und berichtet, was dem Leser
oder Zuschauer gerade nicht in den Kram passt. Der Vorwurf der "Fake
News", der gefälschten Nachricht, ist schnell bei der Hand.
Natürlich: Es ist schon mancher Unsinn in die Welt gesetzt worden.
Nicht jeder, der sich Journalist nennt, hat das Handwerkszeug
gelernt. Nicht jeder hat begriffen, dass er besser informieren
sollte, statt selber Politik zu machen. Journalisten und Politiker
teilen sich eine isolierte Hemisphäre: Ich twittere, also bin ich.
Vieles, was da so durchs Netz schwirrt, ist kaum mehr als Ausdruck
von Gefallsucht. Trotzdem: Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das
man nicht leichtfertig diskreditieren sollte. Wenige Länder der Welt
haben eine derart reiche Medienlandschaft wie Deutschland: Zeitungen
von ganz links bis ganz rechts, hervorragende Hörfunkprogramme, ein
öffentlich-rechtliches Fernsehen, das sich um seine Zuschauer bemüht.
"Heute"-Anchorman Claus Kleber hat gerade kritisch reflektiert, dass
man die aktuelle "Mitte"-Studie, die 50 Prozent der Deutschen
pauschal als rassistisch und rechtsorientiert verortet, doch mit
einiger Skepsis betrachten muss. Offenbar doch kein auf Merkel-Kurs
abonnierter "Staatsfunk". All denen, die diesen Unfug in den
Facebook-Kommentarspalten verbreiten, muss man eigentlich nur
entgegenhalten: Wäre es so, dürftest Du Deine kruden Ansichten hier
gar nicht unter die Menschheit bringen. Denn dort, wo es keine
Freiheit gib, wird das Internet auch einfach mal abgeschaltet und
werden missliebige Journalisten inhaftiert. Deshalb, auch und gerade
am Tag der Pressefreiheit: Schimpfen Sie über jeden Artikel, der Sie
ärgert. Und seien Sie froh, dass er geschrieben werden durfte.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


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