(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Eine Wut-Wahl / Die Bürger in der Ukraine haben am Sonntag ihren Protest zu Protokoll gegeben - und einen Comedian zum Präsidenten gewählt. Jetzt stellt sich die Frage: Wie s

Geschrieben am 22-04-2019

Regensburg (ots) - Die ukrainische Politik steht seit langem in
dem Ruf, reich an Absurditäten zu sein. Man denke nur an all die
Prügeleien und Blockaden im Kiewer Parlament oder an den angeblich
von russischen Agenten getöteten Journalisten Arkadi Babtschenko, der
am Tag nach dem "Mord" lachend bei einer Pressekonferenz auftauchte.
Nun aber bekommt das krisengeschüttelte Land einen politisch
vollkommen unerfahrenen Komiker als Präsidenten, und das ist leider
überhaupt nicht mehr lustig. Im Gegenteil: Wolodymyr Selenskyjs
Wahlsieg ist ein Risikofaktor ersten Ranges, und zwar nicht nur für
die Politik in Kiew, sondern für Frieden und Stabilität im Osten
Europas. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass
Wladimir Putin und die Strategen im Kreml bereits diverse Planspiele
durchgegangen sind, wie sie die Wahl eines blutigen Amateurs für ihre
Zwecke nutzen können. Die Palette der Möglichkeiten dürfte dabei von
einem bloßen Warten auf Fehler über gezielte Störmanöver bis hin zu
einer Intensivierung der militärischen Konfrontation im Osten der
Ukraine reichen. Vor diesem Hintergrund kann man nur hoffen, dass
Selenskyj klug genug ist, sich schnellstmöglich mit einem Team aus
erfahrenen Beratern zu umgeben, auch wenn er als Held einer
Anti-Establishment-Kampagne gewählt worden ist. Denn genau darum ging
es bei der Abstimmung: Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben am
Sonntag ihren Protest zu Protokoll gegeben. Sie votierten nur formal
für den 41 Jahre jungen Selenskyj. In Wirklichkeit stimmten sie
voller Zorn gegen die seit drei Jahrzehnten andauernde Herrschaft
einer korrupten Oligarchen-Clique, deren postsowjetische Netzwerke
das Land und seine Institutionen durchziehen wie ein Krebsgeschwür.
So gesehen kommt das Ergebnis dieser Wut-Wahl einem dritten
Umsturzversuch nach der Revolution in Orange von 2004 und der
Maidan-Erhebung von 2014 gleich. In diesem Sinn kann man sich als
Demokrat über die freiheitliche Gesinnung der Menschen in der Ukraine
sogar freuen. Aber auch nur in diesem Sinn, denn von demokratischer
Reife zeugt es nicht, einen Mann zu wählen, der sich jeder
ernsthaften Auseinandersetzung entzieht. Selenskyj hat es mit seinem
inhaltsleeren Wahlkampf geschafft, sich als Projektionsfläche für
alle möglichen Sehnsüchte anzubieten, die es in einem
krisengeschüttelten Land naturgemäß zuhauf gibt. Die
nationalukrainischen Patrioten im Westen des Landes wählten ihn
ebenso wie die Slawophilen im russischsprachigen Osten. Völlig offen
aber ist die Frage: Was kommt jetzt? Deutlicher formuliert: Was will
dieser Clown eigentlich? Das naheliegende Szenario ist, dass
Selenskyj mit dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj einen neuen
ökonomisch-politisch-medialen Komplex bildet. Es wäre die Fortsetzung
der ukrainischen Oligarchie mit anderen Mitteln und einem
unverbrauchten Gesicht an der Spitze. Zugleich wäre es das bitterste
Szenario für die Menschen in der Ukraine, die noch immer auf einen
echten Neuanfang hoffen. Das aber heißt auch: Wenn die EU dieses Land
mit seinen Demokraten nicht verlieren will, sollte sie ihre
Aktivitäten in der Region schnellstmöglich intensivieren und der
Ukraine eine echte Beitrittsperspektive eröffnen. Selenskyj hat sich
zu einem proeuropäischen Kurs bekannt. Die Verantwortlichen in
Brüssel, Berlin und Paris sollten ihn beim Wort nehmen. Und sie
sollten endlich daraus lernen, was sie in der Zusammenarbeit mit
Petro Poroschenko falsch gemacht haben. Gute Worte, etwas mehr Geld
und Visaerleichterungen reichen nicht aus, wenn man zugleich dem
geostrategisch viel bedeutsameren Bau einer Ostseepipeline mit
Russland zustimmt, wie die Bundesregierung dies getan hat. Dieses
unsägliche Lavieren muss ein Ende haben.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

683413

weitere Artikel:
  • Allg. Zeitung Mainz: Blut-Insel / Markus Lachmann zu Sri Lanka Mainz (ots) - Der Inselstaat Sri Lanka ist von den schlimmsten Anschlägen seit zehn Jahren heimgesucht worden. Die Täter wussten genau, was sie taten. Sie ermordeten gezielt Christen und Touristen, teils durch Selbstmordanschläge. Es sollte (auch) der Westen mit einer möglichst Aufsehen erregenden Aktion getroffen werden. Am Ostersonntag, einem Tag, an dem die Menschen weltweit Frieden und Hoffnung suchen. Das deutet auf einen islamistischen Hintergrund hin. Die Struktur erinnert an die Terroranschläge im indischen Mumbai im Jahr mehr...

  • Allg. Zeitung Mainz: Mit Risiko / Reinhard Breidenbach zur Ukraine-Wahl Mainz (ots) - Manche gehen als Komiker in den Präsidentenpalast hinein und irgendwann als Politiker wieder heraus. Bei anderen ist es umgekehrt. Die gehen als - zumindest angeblicher - Politiker in den Präsidentenpalast hinein und als Komiker, genauer: als Schmierenkomödiant wieder heraus. Für letztere Variante ist Trump ein trauriges Beispiel. Wie das mit Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine wird, bleibt abzuwarten. Was schon jetzt atemlos macht, ist sein Ergebnis: Fast drei Viertel der Wähler - bei ordentlicher Beteiligung - zogen mehr...

  • Stuttgarter Zeitung: Kommentar zu Pflegeversicherung Stuttgart (ots) - Dass CDU/CSU, SPD und FDP vor 25 Jahren den Startschuss für die Pflegeversicherung gaben, war eine sozialpolitische Großtat. Seither hat die Versicherung vielen Menschen geholfen und ein breit gefächertes Leistungsangebot aufgebaut. Doch gute Pflege steht und fällt damit, dass sich viele qualifizierte Kräfte für diesen Beruf entscheiden. Dabei kommt es auch darauf an, sie angemessen zu bezahlen. Um faire Löhne zu erreichen und noch höhere Eigenanteile zu vermeiden, hat Baden-Württembergs Sozialminister Manfred mehr...

  • BERLINER MORGENPOST: Das Fanal von Sri Lanka / Leitartikel von Michael Backfisch Berlin (ots) - Das Fanal der Anschläge von Sri Lanka heißt: Gegen den Terror gibt es nur ein Hilfsmittel. Die internationale Zusammenarbeit von Geheimdiensten, Polizeien und Sicherheitsdiensten muss noch enger werden. Die Zeichen der weltweiten Solidarität sind ermutigend. Das sind die richtigen Signale. Alle, die an einer Welt der Humanität und des friedlichen Nebeneinanders arbeiten, sitzen in einem Boot. Die Regierungen müssen den finsteren Apologeten des Terrors ihren physischen Bewegungsspielraum nehmen und sie dingfest machen. mehr...

  • BERLINER MORGENPOST: Der ideale Populist / Kommentar von Stefan Scholl Berlin (ots) - Wolodymyr Selenskyj war ein begnadeter und ein politischer Clown. Aber in dem Augenblick, in dem der populärste Humorist der Ukraine selbst in die Politik ging, wurde er zwangsläufig Populist. Ein idealer Populist, der nette Kerl von nebenan zwischen lauter Schmiergeld-Paten. Die Ukrainer, die ihn, den Clown, gewählt haben, stimmten dabei vor allem gegen alle anderen. Dabei widersprechen sich die politischen Ansichten seiner Anhänger heftig. In welche Richtung der Präsident Selenskyj sich auch bewegt, jeder seiner mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht