(Registrieren)

Aachener Zeitung: Kommentar zur Brandkatastrophe von Paris: Zerstörtes Erbe Von Christian Rein

Geschrieben am 16-04-2019

Aachen (ots) - In nur wenigen Tagen, in der Nacht von Samstag auf
Sonntag, wollten Tausende Pariser wie in jedem Jahr das höchste Fest
im Kirchenjahr in Notre-Dame begehen. In der Osternacht, in der die
Christen die Auferstehung Jesu feiern, ist es ähnlich wie an
Weihnachten immer ihre Kathedrale gewesen - die Kirche der Pariser.
Nicht die der Touristen, die an so vielen anderen Tagen des Jahres
Notre-Dame in Beschlag nahmen.

In dieser besonderen Nacht, in diesen historischen Mauern, die
Victor Hugo in seinem berühmten Roman "Der Glöckner von Notre-Dame"
beschrieben hat, inmitten dieser beeindruckenden Architektur,
inmitten all der Kunst, die vom Glauben, von Geschichten und
Geschichte erzählte, hatten die stolzen Pariser ihre Stadt stets noch
ein wenig mehr in ihren Herzen als ohnehin schon.

Die Zerstörung der Kathedrale durch das furchtbare Feuer hat
vielen Parisern das Herz gebrochen. Jeder, der einmal in diesem
einzigartigen Gebäude war, wird mit ihnen fühlen und trauern. Paris
hat sein Herz verloren, Frankreich eines seiner bedeutendsten
Wahrzeichen und die Welt einen kulturellen Schatz von unermesslichem
Wert.

Ein schwacher Trost

Die Einsatzkräfte konnten die Gebäudestruktur "vor der
vollkommenen Zerstörung" retten. Der Nordturm, einer der beiden
markanten Glockentürme, und die Fassade drohten zwischenzeitlich
einzustürzen. Es ist ein schwacher Trost, dass er noch steht. Die
Hitze im Gebäude war so groß, dass die Löscharbeiten nur von außen
möglich waren. Der mittelalterliche Dachstuhl: völlig ausgebrannt.
Der 96 Meter hohe Dachreiter aus dem 19. Jahrhundert: eingestürzt.
Ein Großteil der Fenster - die berühmte Rose! - ist dem
Feuer zum Opfer gefallen. Der größte Teil der Schätze ist, soweit sie
sich forttragen ließen, zwar gerettet worden, darunter die für
Katholiken sehr wertvolle Dornenkrone Christi. Aber es wird noch
Wochen dauern, den gesamten Schaden zu überblicken.

Es macht fassungslos, dass in einer Zeit, in der es für nahezu
jede Herausforderung eine technische Lösung zu geben scheint, etwas
so Banales wie ein Feuer in so kurzer Zeit eine derart verheerende
Zerstörung anrichten kann. Das ist nicht anders als zu Zeiten der
Römer oder im Mittelalter. Was hat uns all der Fortschritt gebracht?
Es ist traurig (erneut) zu sehen, wie schwer es den Menschen fällt,
ihr kulturelles Erbe zu schützen. Die Zerstörung zeigt aber auch, wie
verletzbar wir sind: Mit unserem Erbe verlieren wir auch ein Stück
unserer Identität und somit letztlich ein Stück unserer selbst.

Noch ist es zu früh für die Schuldfrage. Auch die Untersuchungen
zur Brandursache werden ihre Zeit in Anspruch nehmen. Ein
Zusammenhang mit den Sanierungsarbeiten am Gebäude liegt nahe, die
Staatsanwaltschaft ermittelt. War es ein Unfall? Ein technischer
Defekt? Menschliches Versagen? Vorsatz? Zufall? Dummheit? Es ist
wichtig, dem auf den Grund zu gehen und Lehren daraus zu ziehen, um
künftig ähnliche Tragödien zu verhindern.

Versprechen und Verpflichtung

"Wir werden Notre-Dame wieder aufbauen", hat Frankreichs Präsident
Emmanuel Macron versprochen, noch während die Löscharbeiten in Gang
waren. Glücklicherweise ist die Kathedrale kunsthistorisch sehr gut
dokumentiert. Das könnte bei einem Wiederaufbau helfen.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Für die dringend notwendige,
aktuelle Sanierung reichte das vom französischen Staat
bereitgestellte Unterhaltsbudget schon nicht aus. Man kann nur
spekulieren, welche unvorstellbare Summe der Wiederaufbau kosten
wird. Nun regnet es Spenden. Die französischen Milliardäre und
Großunternehmen geben Hunderte Millionen Euro. Sogar in Deutschland
wird - gemeinsam mit der Unesco - für Notre-Dame gesammelt.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch Macrons Versprechen ist auch
eine Verpflichtung. Nicht nur bei der Kathedrale der Nation war der
Staat nicht dazu in der Lage, die notwendigen Gelder aufzubringen. In
vielen deutlich unbekannteren französischen Kirchen ist der Bedarf
enorm. Auch sie sind kulturelles Erbe.

Jahrzehnte wird der Wiederaufbau nach ersten Schätzungen dauern,
Generationen werden sich damit befassen müssen. Wenn er abgeschlossen
ist, wird die Kathedrale ein neues, altes Gesicht haben. Sie wird die
Narben der Katastrophe mit Würde tragen.

Das alte Notre-Dame aber ist unwiederbringlich verloren.



Pressekontakt:
Aachener Zeitung
Redaktion Aachener Zeitung
Telefon: 0241 5101-399
az-blattmacher@zeitungsverlag-aachen.de

Original-Content von: Aachener Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

683017

weitere Artikel:
  • Mittelbayerische Zeitung: Selbstbestimmt bis in den Tod / Schwerstkranke fühlen sich durch Strafrechts-Paragraf 217 in ihrer Würde verletzt. Karlsruhe sollte den Paragrafen anpassen. Von Jana Wolf Regensburg (ots) - Wie geht man mit Schwerstkranken um, die ihr Leiden nicht mehr ertragen können? Wie mit Menschen, die das Leben durch die Last ihrer Krankheit als entwürdigend empfinden und die sich nichts mehr wünschen, als dass es endet? Diese Fragen sind nicht nur ethisch sensibel, sie sind auch juristisch heikel. Patienten, Ärzte und Sterbehilfe-Vereine sind vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, weil sie zu Recht Klarheit in diesen Fragen fordern. Zwei Tage, gestern und heute, wird nun verhandelt. Das ist mit Karlsruher mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): ARD und ZDF berichten unzureichend vom Notre-Dame-Brand Versagt Stefan Brams Bielefeld (ots) - Als der Putsch 2016 in der Türkei das Land und die Welt erschütterte, versagten die öffentlich-rechtlichen Sender. Statt ihr Programmschema dem Weltereignis anzupassen und dauerhaft auf Sendung zu gehen, ordneten sie das Ereignis lieber ihren Programmabläufen unter. Peinlich war das! Auch wenn der Putsch in der Türkei und der Großbrand von Notre-Dame in Paris am Montag in ihrer Dimension nicht vergleichbar sind, fragt man sich schon, warum ARD und ZDF im wesentlichen Business as usual betrieben und - abgesehen von mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Sterbehilfe In höchster Not Carsten Heil Bielefeld (ots) - Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Der kann als Fundament unseres freiheitlich demokratischen Rechtsstaates verstanden werden. Es ist keine zeitliche Begrenzung vorgesehen. Also: Die Würde des Menschen endet nicht, weil bestimmte Bedingungen oder Situationen eingetreten sind. Wer aber bestimmt, was für den einzelnen Menschen würdig ist? Die Mehrheit sagte vermutlich: der Mensch selbst, für sich allein. Kein Beamter, kein Jurist, kein Theologe und auch kein Arzt kann mehr...

  • Das Erste, Mittwoch, 17. April 2019, 5.30 - 9.00 Uhr Gäste im ARD-Morgenmagazin Köln (ots) - 7.05 Uhr, Philipp Amthor, CDU, Mitglied des Innenausschusses und des Europaausschusses, Thema: Geordnetes Rückreisegesetz    Pressekontakt: Weitere Informationen unter www.ard-morgenmagazin.de Redaktion: Martin Hövel Kontakt: WDR Presse und Information, wdrpressedesk@wdr.de, Tel. 0221 220 7100  Agentur Ulrike Boldt, Tel. 0172 - 2439200 Original-Content von: ARD Das Erste, übermittelt durch news aktuell mehr...

  • Rheinische Post: Kommentar / Ubers Wette = Von Florian Rinke Düsseldorf (ots) - Die E-Mail endet zwar mit "kollegialen Grüßen", doch die vorangegangenen Zeilen zeigen das Gegenteil. Wegen Verstößen gegen das Personenbeförderungsrecht muss der Uber-Partner Safedriver Ennoo in Düsseldorf vorübergehend den Betrieb einstellen - und will deswegen direkt alle Mitarbeiter entlassen. Mehr soziale Kälte geht kaum. Und Uber? Der Fahrdienstvermittler tut mal wieder unbeteiligt. Die Bösen, das sind in seiner Welt die Mietwagen-Unternehmen, die sich nicht an die Regeln hielten, obwohl man sie doch darauf mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht