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ROG: Internet-Giganten müssen Druck aus Russland widerstehen

Geschrieben am 26-02-2019

Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen appelliert an globale
Internet-Plattformen, sich dem Druck der russischen Regierung zu
widersetzen und die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Der
Suchmaschinenanbieter Google setzt seit einigen Wochen die
Zensurforderungen der russischen Medienaufsicht um und entfernt
verbotene Inhalte aus seinen Suchergebnissen. Facebook und Twitter
sollen durch Gerichtsverfahren und Geldstrafen dazu gebracht werden,
mit den Behörden zu kooperieren. Zur gleichen Zeit diskutiert die
Staatsduma über einen Gesetzentwurf, um russische Internetnutzerinnen
und -nutzer bei Bedarf vom weltweiten Netz zu trennen.

"Google macht sich zum Handlanger der Zensoren, wenn es verbotene
Seiten in Russland nicht mehr anzeigt. Statt sich dem Druck zu
beugen, sollten große Unternehmen ihre Marktmacht einsetzen, um
Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen und Nutzerdaten vor
staatlichem Zugriff zu schützen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian
Mihr. "Internet-Giganten wie Google, Facebook und Twitter haben
entscheidenden Einfluss darauf, ob sich Bürgerinnen und Bürger in
Russland künftig noch frei im Internet äußern und informieren können
oder ob die Regierung dem chinesischen Beispiel folgt und kritische
Diskussionen im Keim erstickt."

GOOGLE ZEIGT VERBOTENE SEITEN NICHT MEHR AN

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass sich Google dem Druck der
russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor beugt und einen Teil
der in Russland blockierten Inhalte dort nicht mehr als
Suchergebnisse anzeigt. Anders als russische Provider ist Google zwar
nicht mit dem "Register verbotener Internetseiten" - der schwarzen
Liste - der Behörde verbunden, erhält aber russischen Medien zufolge
tägliche Updates von Roskomnadsor (http://ogy.de/pq9d). Während der
Löschprozess bei russischen Providern automatisiert abläuft, würden
bei Google Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Fall zu Fall über die
Löschungen entscheiden. Rund 70 Prozent der von Roskomnadsor
beanstandeten Inhalte soll Google inzwischen aus seinen
Suchergebnissen entfernt haben. (http://ogy.de/3kuk) So tauchen
Hinweise auf die Walkie-Talkie-App Zello, mit der Fernfahrer 2017
Proteste organisiert hatten, in Russland nicht mehr in der
Google-Suche auf. Auf den offiziell ebenfalls verbotenen
Messengerdienst Telegram hingegen wird dort weiterhin verlinkt.

Im Dezember war Google in Russland zu einer Geldstrafe von 500.000
Rubel (ca. 6.700 Euro) verurteilt worden (http://ogy.de/c8vt). Wenig
später drohte die Medienaufsicht dem Unternehmen mit neuen, um ein
Vielfaches höheren Strafen und damit, die Suchmaschine komplett zu
sperren, sollte sie sich nicht an russische Gesetze halten
(http://ogy.de/l4y8). Im September 2018 hatte Google Werbevideos des
Oppositionspolitikers Alexej Nawalny von YouTube entfernt, in denen
er vor den Gouverneurswahlen zu Protesten gegen die Heraufsetzung des
Rentenalters aufrief. Das Unternehmen betonte, sich damit an
russische Gesetze zu halten. (http://ogy.de/bez5)

Auch Facebook und Twitter stehen in Russland zunehmend unter
Druck. Im Januar leitete die Medienaufsicht Roskomnadsor ein
Verwaltungsverfahren gegen die beiden US-Unternehmen ein, da sie
gegen russische Gesetze verstoßen würden (http://ogy.de/9c3w).
Insbesondere geht es dabei um die Vorgabe, persönliche Daten
russischer Nutzerinnen und Nutzer ausschließlich auf Servern
innerhalb Russlands zu speichern. Die russischen Behörden verhandeln
seit Jahren über diesen Punkt mit den Unternehmen, ohne bisher
konkrete Zusagen erhalten zu haben.

GESELLSCHAFTLICHE KONTROLLE INTERNATIONALER ONLINE-PLATTFORMEN

Die globalen Internet-Plattformen stehen zunehmend vor einem
Dilemma. Da sie angesichts ihrer Größe inzwischen in vielen Ländern
von zentraler Bedeutung für den öffentlichen Diskurs sind, wird
einerseits gefordert, dass sie nicht allein auf Basis ihrer Community
Standards Inhalte löschen dürfen. Andererseits ist die Betonung der
Community Standards gerade in autokratischen Staaten häufig die
einzige Möglichkeit, um illegitime Löschforderungen staatlicher
Stellen auf der Basis willkürlicher Gesetze zu ignorieren. Ende 2018
legte Facebook Pläne für ein globales Aufsichtsgremium vor, das sich
mit gezielten Desinformationskampagnen ebenso befassen soll wie mit
Online-Belästigung und Mobbing oder Aufrufen zu Gewalt. In den
kommenden Monaten will das Unternehmen zusammen mit diversen
politischen und gesellschaftlichen Gruppen Details zu Zusammensetzung
und Arbeitsweise des Gremiums ausarbeiten.

Reporter ohne Grenzen steht hierzu intensiv mit Facebook im
Austausch, zum Beispiel über das ROG-Büro in San Francisco. Zentral
ist dabei die Frage, in welchem Verhältnis bei Entscheidungen des
etwa 40-köpfigen Expertenrates Facebooks Community Standards,
nationale Gesetze und internationale Menschenrechtsnormen zueinander
stehen sollen. Reporter ohne Grenzen plädiert dafür, die Community
Standards im Lichte völkerrechtlicher Prinzipien weiterzuentwickeln.
So entstünde ein "digitales Hausrecht" der Konzerne, welches im
Einklang mit den nationalen Gesetzen demokratischer Staaten steht -
und gleichzeitig die Möglichkeit bietet, nationale Gesetze
autoritärer Staaten als illegitime Instrumente der Zensur nicht
akzeptieren zu müssen, weil sie völkerrechtliche Prinzipien
missachten. (http://ogy.de/x4x9)

NEUES GESETZ ÜBER ABGEKOPPELTES RUSSISCHES INTERNET

In Russland wurde in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von
Gesetzen erlassen, die die Presse- und Meinungsfreiheit erheblich
einschränken (http://ogy.de/ndm9). So sind Artikel über
Homosexualität oder Drogen ebenso verboten wie Beiträge, die
angeblich religiöse Gefühle verletzen oder zu Extremismus aufrufen.
Anbieter von Kommunikationsdiensten müssen Inhalte von
Online-Kommunikation sechs Monate lang auf Vorrat speichern. Sie sind
verpflichtet, den Behörden auf Anfrage Daten von Nutzerinnen und
Nutzern herauszugeben und dem Geheimdienst beim Mitlesen
verschlüsselter Nachrichten zu helfen. Zudem dürfen Internetdaten
russischer Bürgerinnen und Bürger ausschließlich auf Servern
innerhalb Russlands gespeichert werden. Als sich das
Karriere-Netzwerk LinkedIn weigerte, dies umzusetzen, wurde es 2016
gesperrt. Beim Versuch, den Messengerdienst Telegram komplett zu
blockieren, hingegen scheiterten die russischen Behörden im
vergangenen Jahr (http://ogy.de/nn4o).

Über ein neues Gesetz, das es möglich machen soll, russische
Internetnutzerinnen und -nutzer vom weltweiten Netz zu trennen,
beriet die Staatsduma Mitte Februar in erster Lesung. Offiziell geht
es laut den Erläuterungen zum Gesetzentwurf darum, "eine unabhängige
Infrastruktur für ein störungsfreies Funktionieren des Internets zu
schaffen" und Cyberangriffe aus dem Westen abzuwehren
(http://ogy.de/mowd). Konkret heißt dies:
Telekommunikationsunternehmen sollen jeglichen russischen
Internetverkehr zukünftig über Austauschpunkte leiten, die die
Medienaufsicht Roskomnadsor kontrolliert. Die Kommunikation zwischen
Internetnutzerinnen und Nutzern soll im Land bleiben und nicht über
ausländische Server laufen, wo die Informationen möglicherweise
abgefangen werden können. In kritischen Situationen sollen
unerwünschte Nachrichten also weder nach Russland hinein noch aus
Russland heraus gelangen.

Dabei ist unklar, ob sich diese Pläne technisch überhaupt umsetzen
lassen (http://ogy.de/w0rs). Provider befürchten massive Störungen im
Internetverkehr; der Rechnungshof kritisierte die enormen Kosten für
das Projekt. Der russische Unternehmerverband warnte in einem Brief
an die Duma, Russland könne nicht ohne Weiteres von den wichtigsten
ausländischen Servern abgetrennt werden, über die große Teile des
Geschäftsverkehrs russischer Konzerne laufen (http://ogy.de/rvso).

WENDE BEI DER INTERNET-KONTROLLE: JETZT KOMMT ES AUF DIE GROSSEN
AN

Auch vor dem kompletten Abschalten des Netzes schrecken russische
Behörden in kritischen Momenten nicht zurück. So wurde das mobile
Internet in der südrussischen Teilrepublik Inguschetien im Herbst
2018 zeitweise abgeschaltet, als die Bevölkerung gegen die
Verschiebung der administrativen Grenze zur Nachbarrepublik
Tschetschenien protestierte. Die großen Mobilfunkanbieter erklärten
nach Beschwerden von Nutzern, sie hätten auf Anweisung der Behörden
gehandelt (http://ogy.de/pvza).

Die russische Menschenrechtsorganisation Agora spricht in ihrem
gerade veröffentlichten jährlichen Bericht zur Freiheit des Internets
in Russland von einer "fundamentalen Wende" der russischen
Regierungspolitik bei der Kontrolle des Internets
(http://ogy.de/v5ze). Nachdem sich gezeigt habe, dass sich der
Informationsfluss im Netz durch das bloße Sperren von Seiten und der
exemplarischen Verfolgung einzelner Bloggerinnen und Blogger nicht
vollständig kontrollieren lasse, stünden nun die großen nationalen
wie internationalen Internetservice-Anbieter im Fokus. Denn erst wenn
sie kooperieren, lässt sich die Kommunikation zwischen den Menschen
effektiv überwachen und die Verbreitung unerwünschter Information
wirklich verhindern.

Weitere Informationen zur Pressefreiheit in Russland finden Sie
unter www.reporter-ohne-grenzen.de/russland.

Grundlagen der Internetzensur in Russland einfach erklärt in
unserem Video: http://ogy.de/lauj



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink / Juliane Matthey
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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