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BERLINER MORGENPOST: Ungerechte Rente / Leitartikel von Philipp Neumann zur "Respekt-Rente"

Geschrieben am 21-01-2019

Berlin (ots) - Kurzform: Künftige Altersarmut kann die neue Rente
nicht verhindern. Dafür braucht es mehr Jobs, mehr Rückkehrchancen in
Vollzeit oder schlicht höhere Löhne. Nein, diese Rentenpläne sind
purer Aktionismus, der vor allem auf die Landtagswahlen in
Ostdeutschland zielt, wo sich CDU und SPD gegen die AfD behaupten
müssen. Die Rente ist das Thema, bei dem die AfD rein gar nichts
anzubieten hat. Die "Respekt-Rente" ist populistischer Unfug.

Der vollständige Leitartikel: Jetzt kommt also die
"Respekt-Rente". Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) unternimmt im
Auftrag der schwarz-roten Koalition den Versuch, etwas
zusammenzubringen, was nicht zusammengehört: Er will das System der
Rentenversicherung mit dem System der Grundsicherung
zwangsverheiraten. Vier solcher Anläufe gab es in den vergangenen
sieben Jahren schon. Nun soll es endlich klappen. Die Begründung: Es
ist ungerecht, wenn jemand nach 35 Jahren Arbeitsleben nur so viel
Geld bekommt wie jemand, der gar nicht gearbeitet hat. Auf den ersten
Blick erscheint das nachvollziehbar. Der zweite Blick aber zeigt:
Rente und Grundsicherung sind zwei völlig verschiedene Systeme. Wer
sie verbindet, schafft neue Ungerechtigkeiten. So könnten Rentner,
denen die Politik großzügig "Respekt" zollt, ohne eigenes Zutun mehr
Alterseinkünfte bekommen als jene, die brav ihre Beiträge gezahlt
haben, aber leider nur 34 Jahre lang. Diese Rentner bekommen dann
nicht nur keinen "Respekt". Sie dürften sich an der Nase herumgeführt
fühlen. Was für ein groteskes Ergebnis. Dass die Rentenpolitik voll
ist von solchen aus guter Absicht heraus entstandenen
Ungerechtigkeiten, macht es nicht besser. Die Rentenversicherung
basiert auf dem Prinzip, dass hohe Einzahlungen einen Anspruch auf
eine hohe Rente bewirken. Niedrige Beiträge führen zu niedrigen
Renten. Wer jahrelang zu niedrigen Stundenlöhnen oder in Teilzeit
gearbeitet hat oder gar arbeitslos war, der erhält eine niedrige
Rente. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Das ist
beklagenswert. Aber der Missstand lässt sich nicht dadurch lösen,
dass diese Menschen plötzlich einen extra Rentenbonus bekommen. Mit
welchem Recht? Aus Mitleid? Für alle, die nicht von ihrer Rente leben
können, gibt es die Grundsicherung im Alter. Diese Leistung richtet
sich nicht danach, was jemand früher eingezahlt hat, sondern danach,
ob er oder sie Hilfe des Staates benötigt, weil nichts anderes mehr
geht. Es ist niemandem zu wünschen, dass er vom untersten sozialen
Netz in Deutschland aufgefangen werden muss. Aber anders als in
anderen Industriestaaten - siehe USA - gibt es dieses Netz immerhin.
Die anhaltende Diskussion, dass man niemandem zumuten könne, davon zu
leben, entwertet diese Sicherheitslinie. Genau das ist auch die
Botschaft der "Respekt-Rente": Die Grundsicherung ist schlecht. Wen
wundert es, dass dadurch das Vertrauen in den Sozialstaat erodiert?
Altersarmut ist in jedem einzelnen Fall eine schreckliche Erfahrung.
Aber anders als die politische Diskussion vermuten lässt, ist sie in
Deutschland kein massenhaftes Problem. Die Angst davor, die ist weit
verbreitet. Aber aktuell bekommen nur drei Prozent der Rentner
Grundsicherung im Alter. Davon haben drei Viertel schon vorher
staatliche Fürsorgeleistungen wie Arbeitslosengeld II bezogen. Den
meisten dieser Menschen kann auch die "Respekt-Rente" nicht mehr
helfen: Sie erfüllen die Voraussetzungen wie 35 Jahre Arbeitsleben
nicht. Ihnen wäre mit bedarfsorientierten Hilfen wie höherem Wohngeld
mehr geholfen. Unter dem Strich sind es deshalb auch nur rund 150.000
Menschen, die überhaupt von der "Respekt-Rente" profitieren. Auch
künftige Altersarmut kann die neue Rente nicht verhindern. Dafür
braucht es mehr Jobs, mehr Rückkehrchancen in Vollzeit oder schlicht
höhere Löhne. Nein, diese Rentenpläne sind purer Aktionismus, der vor
allem auf die Landtagswahlen in Ostdeutschland zielt, wo sich CDU und
SPD gegen die AfD behaupten müssen. Die Rente ist das Thema, bei dem
die AfD rein gar nichts anzubieten hat. Die "Respekt-Rente" ist
populistischer Unfug.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell


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