(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Scherbenhaufen beim Brexit / Theresa May hat sich beim Poker um den Austrittsvertrag gründlich verzockt. Von Jochen Wittmann

Geschrieben am 15-01-2019

Regensburg (ots) - Und so kam es, wie es kommen musste.
Premierministerin Theresa May strich eine historische Niederlage ein.
Zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum und 73 Tage, bevor das
Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union austreten soll,
stimmte das britische Unterhaus über den von May verhandelten
Austrittsvertrag ab und hat ihn abgelehnt. Das mit Abstand wichtigste
Gesetzesprojekt in Mays Amtszeit ist gescheitert. Sollte in der
verbleibenden und täglich kürzer werdenden Frist bis zum 29. März
keine anderweitige Lösung gefunden werden, steuert Großbritannien auf
den Klippen-Brexit, auf das No-Deal-Szenario, auf den ungeregelten
und daher mit allen möglichen chaotischen Konsequenzen verbundenen
Austritt zu. Das Tragische an der ganzen Sache ist, dass dieser
Ausgang ebenso vorhersagbar wie vermeidbar und daher nicht notwendig
war. Theresa May muss dafür die Verantwortung übernehmen. Nach dem
Ausgang des Brexit-Referendums im Juni 2016 war klar, dass ein Riss
durch alle Parteien ging, dass es in keiner einzigen Partei eine
klare Mehrheit für die Richtung gab, die Großbritannien einschlagen
sollte. Aber May hat den Brexit von Anfang an als eine rein interne
Angelegenheit für die Konservative Partei behandelt. Es gab Avancen
von Labour-Abgeordneten zur Zusammenarbeit, aber die
Premierministerin war der irrigen Ansicht, dass sie innerhalb ihrer
zerstrittenen Partei einen konsensfähigen Weg finden würde. Das stand
von Anfang unter einem schlechten Stern. Statt die Hand auszustrecken
und zu versuchen, die politische Kluft zu Labour zu überbrücken, hat
die Premierministerin aktiv gegen eine Mitarbeit des Parlaments
gearbeitet und ging bis vor den Obersten Gerichtshof, um zu
verhindern, dass Volksvertreter ein Mitspracherecht bei der
Gestaltung des Brexit haben. Zum Glück unterlag sie. Ein weiterer
Fehler vom May war es, die Verhandlungen als Geheimsache zu behandeln
und nur ihren engsten Vertrauten Einblick in ihre Pläne zu geben.
Schließlich hatte ihre Bereitschaft, den rechten Flügel ihrer Partei
zu bedienen und auch noch den kompromisslosesten Brexit-Ultras
entgegenzukommen, Porzellan bei den moderaten Kräften zerschlagen und
das Vertrauen in sie als ehrliche Vermittlerin zerstört. Und am
schlimmsten war wohl, dass sie so viel Zeit verschwendet hat. Nur
etwas mehr als 50 Sitzungstage hat das Unterhaus bis zum 29. März
jetzt noch - wie soll da ein Ausweg aus dem Schlamassel gefunden
werden? Eine Verlängerung nach Artikel 50 wäre möglich, und die EU
hat diesbezüglich Bereitschaft signalisiert, aber Theresa May beharrt
stur und starr darauf, dass Großbritannien am 29. März den Austritt
vollzieht. Das verstärkt das Misstrauen und lässt Abgeordnete aller
Parteien denken, dass die Premierministerin weiterhin auf Zeit
spielen wird, um einen Brexit auf jeden Fall zu erzwingen. Nach dem
Motto: Wenn schon nicht nach meinem Deal, dann halt ohne Deal. Es ist
kein Wunder, dass in dieser Situation Parlamentarier, auch in Mays
eigener Regierungsfraktion, bereit sind, die Reißleine zu ziehen. Es
gibt Überlegungen zu einem, wie es die "Sunday Times" nannte, "sehr
britischen Coup". Labour-Abgeordnete wollen sich mit Torys und
Liberaldemokraten zusammentun, um die Geschäftsordnung des Parlaments
zu ändern. Das Primat der Regierung, Gesetze einzubringen, würde
abgeschafft. Stattdessen könnten Hinterbänkler die Tagesordnung
kontrollieren und selbst Gesetze einbringen, womit ein Weg gefunden
wäre, einen No Deal zu verhindern und womöglich ein zweites
Referendum auf den Weg zu bringen. Es wäre ein verzweifelter Schritt.
Aber man lebt in verzweifelten Zeiten. Es steht zu viel auf dem
Spiel, als dass man es nicht versuchen sollte.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

670550

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Kommentar / Grenzen sind markiert = VON GREGOR MAYNTZ Düsseldorf (ots) - Die AfD hat es in der Hand, aus dem generellen Prüf- und dem Verdachtsstatus für Teile ihrer Organisation wieder herauszukommen. Sie muss sich konsequenter von extremistischen Äußerungen und Trends abgrenzen und es nicht bei Lippenbekenntnissen belassen. Doch da liegt das Problem. Euro-Aversion und Migranten-Furcht allein hätten ihr Zuspruch in Wellen beschert und sie in den Wahlen mal triumphieren und mal scheitern lassen. Sie hat es stattdessen verstanden, einen Bereich von gut zehn Prozent des Wählerpotenzials mehr...

  • Rheinische Post: Kommentar / Dieses Großbritannien ist für die EU gefährlich = VON MATTHIAS BEERMANN Düsseldorf (ots) - Zweieinhalb Jahre nach dem Referendum, bei dem eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU gestimmt hat, ist das Klima auf der Insel so vergiftet wie vielleicht noch nie in der jüngeren Geschichte des Vereinigten Königreichs. In London herrscht blankes politisches Chaos, und im Land wächst die Wut - in beiden Lagern. In einer solchen Situation liegt die Suche nach einem Notausgang nahe, und es gibt ja sogar einen: Die britische Regierung könnte ihre Austrittserklärung einseitig zurückziehen, den Brexit mehr...

  • Westfalenpost: Eine politische Dummheit - Zum Unwort des Jahres, "Anti-Abschiebe-Industrie" Hagen (ots) - Anti-Abschiebe-Industrie. Ein Kampfbegriff? Ein Wortungetüm? Eine sprachliche Entgleisung? CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat den Begriff im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik Deutschlands benutzt und damit genau das getan, was so ziemlich alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte derzeit zu Recht kritisieren: Er hat als Spitzenpolitiker einer Regionalpartei, die an der Bundesregierung beteiligt ist, zur Verrohrung der Sprache beigetragen; er hat sich genau der Art von Wortwahl bedient, die allenthalben mehr...

  • BERLINER MORGENPOST: Die EU muss sich bewegen / Leitartikel von Christian Kerl Berlin (ots) - Es gilt, nun alles zu versuchen, in einem zweiten Anlauf den Vertrag doch noch im Parlament durchzusetzen. Ohne Hilfe der EU wird das nicht gehen. Die Union hat hart verhandelt, sie wollte ein Exempel statuieren und hat Premierministerin May dafür in den Verhandlungen vor die Wand laufen lassen. Das Ergebnis ist nun zu besichtigen. Jetzt ist es an der Zeit für die EU-Spitzen, über ihren Schatten zu springen und Kompromisse anzubieten, auch bei der irischen Grenzfrage. Noch ist es nicht zu spät, May den Rücken zu stärken. mehr...

  • Badische Zeitung: Nein zum Brexit-Deal: May erlebt ihr Waterloo / Von Peter Nonnenmacher Freiburg (ots) - Was nun? Schon aus technischen Gründen, wegen der erforderlichen Verabschiedung neuer Gesetze, ist ein Austritt Großbritanniens aus der EU zum 30. März eigentlich gar nicht mehr drin. Am dringlichsten ist, dass sich im Parlament jetzt eine Mehrheit formiert, die eine "No Deal"-Katastrophe, den "Sprung über die Klippe", verhindert. In einer Lage wie dieser, ohne Konsens im Parlament, ohne funktionsfähige Regierung, kann man nur hoffen, dass sich die britische Politik mit oder ohne May möglichst schnell wieder fängt. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht