(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Weniger wäre mehr: Leitartikel zum XXL-Bundestag von Reinhard Zweigler

Geschrieben am 09-10-2018

Regensburg (ots) - Als Herzkammer der Demokratie wird der Deutsche
Bundestag gern bezeichnet. Vor allem in wohlfeilen Sonntagsreden. In
der tristen demokratischen Realität wächst dieses Herz von
Wahlperiode zu Wahlperiode bedenklich. Seit der Bundestagswahl 2017
zählt das Bundesparlament 709 Mitglieder. So viele wie noch in der
Geschichte der Bundesrepublik. Allerdings stößt dieses XXL-Parlament
damit auch immer mehr an seine Grenzen. Und dabei geht es weniger um
immer mehr Räume für die Volksvertreter und ihre zahlreichen
Mitarbeiter, sondern vor allem um das Funktionieren dieses
arbeitenden Gremiums. Auch für die oberste Volksvertretung scheint
gleichsam das Grundgesetz der Bürokratie zu gelten: je mehr
Abgeordnete es gibt, umso mehr werden Posten erfunden, damit jeder
und jede seine, ihre Wichtigkeit beweisen kann. Hinzu kommt, dass
vielköpfige Parlamente auch viel Geld kosten. Für die
Abgeordnetenbezüge, für - selbstverständlich steuerfreie -
Aufwandspauschalen, für die Pensionsvorsorge, für Büros, Mitarbeiter,
für eine riesige Verwaltung, wissenschaftliche Dienste, Ausschüsse
etc. Fast eine Milliarde Euro im Jahr überweist der Finanzminister
mittlerweile an die Parlamentskasse. Der Bundestag ist uns nicht nur
lieb, er ist auch sehr teuer. Je mehr Abgeordnete in ihn gewählt
werden, umso mehr muss der Steuerzahler berappen. Wobei es noch die
traumhafte Besonderheit gibt, dass die Abgeordneten des Deutschen
Bundestages jeweils selbst mehrheitlich über die Höhe ihrer Bezüge
entscheiden. Und weil Diätenerhöhung so ziemlich das Unpopulärste
ist, was der Bundestag beschließen kann, wird auch immer wieder
versucht, solche Entscheidungen möglichst unbemerkt durchzuschleusen.
Was natürlich gar nicht möglich ist. Um die eigentliche Kernfrage
jedoch, wie viele Abgeordnete braucht das deutsche Parlament für eine
effektive, bürgernahe Arbeit tatsächlich, drücken sich nicht nur
Politik, Parteien und Fraktionen, sondern auch die übrige
Gesellschaft herum. Seit Jahren. Dass der jetzige Mega-Bundestag von
der Anzahl der Mandatsträger her eigentlich zu groß ist, geben die
meisten Abgeordneten selbst zu. Allerdings fehlt den Fraktionen zu
einer notwendigen Reform des Wahlrechts offenbar der Mumm. Kein
Wunder, denn das würde für manche den Verlust des eigenen Mandats,
des Wahlkreises bedeuten. Und wer gibt den gut bezahlten, aber auch
extrem arbeitsaufwendigen Polit-Job schon gerne und noch dazu
freiwillig ab? Hintergrund der unaufhörlichen Vergrößerung des
Parlaments ist die Besonderheit des komplizierten deutschen
Wahlsystems, das eine Mischung aus direkter Wahl - der
Wahlkreisabgeordneten per Erststimme - sowie indirekter Wahl - über
die Landeslisten der Partei per Zweitstimme. Hat eine Partei, etwa
die CSU, mehr Direktmandate gewonnen, als ihr nach dem
Zweitstimmen-Ergebnis eigentlich zustehen, nennt man das
Überhangmandate. Für diese Mandate erhalten die anderen Fraktionen
wiederum sogenannte Ausgleichsmandate. Weil die CSU im Vorjahr in
Bayern sämtliche Direktmandate errang, erhielten die anderen
Fraktionen allein 15 Ausgleichsmandate. Vorschläge zu einer Reform
des Wahlrechts, die im Kern auf eine Verringerung der
Abgeordnetenzahl hinauslaufen müsste, gibt es viele. Der Königsweg,
den alle beschreiten könnten, wurde allerdings noch nicht gefunden.
Eine grundgesetzliche Begrenzung der Ausgleichsmandate und damit der
Gesamtzahl der Abgeordneten auf 630, wie sie der frühere
Bundestagspräsident Norbert Lammert wollte, würde vor allem die
kleineren Parteien benachteiligen. Eine Verringerung der derzeit 299
Wahlkreise auf etwa 250 würde am Widerstand in den Ländern und
Regionen scheitern. Ein Teufelskreis.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

657785

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Datenleck bei Google Bielefeld (ots) - Google Plus schließt für Verbraucher: Damit ist der Versuch des Suchmaschinengiganten auch offiziell gescheitert, Facebooks Quasi-Monopol bei klassischen sozialen Netzwerken anzugreifen. Schon lange ist Google Plus eher tot als lebendig, es ist weder sexy genug noch hat es die Alleinstellungsmerkmale, um Nutzer von Facebook wegzulocken. Auslöser ist ein Datenleck, das zwar nicht die Dimensionen des Cambridge-Analytica-Skandals hat, aber Parallelen aufweist. Unabhängig von der rechtlichen Bewertung hat Google viel mehr...

  • Badische Zeitung: Die AfD und die Schule: Diskussion muss sein / Kommentar von Thomas Steiner Freiburg (ots) - Zum Erlernen von Demokratie gehört es dabei auch, dass die Lehrkräfte nicht so tun müssen, als hätten sie keine eigene Meinung. Was wären das auch für Vorbilder? Die AfD aber stellt die Lehrerschaft unter Verdacht, wenn sie eigens anbietet, vermeintliche Indoktrination durch Lehrkräfte weiterzumelden. Damit dokumentiert sie ein Misstrauen in die Schulkultur. Und sie maßt sich eine Rolle an, die einer politischen Partei nicht zukommt, sondern den Schulbehörden und Eltern. Allerdings kann ihr Vorgehen auch Ausgangspunkt mehr...

  • BERLINER MORGENPOST: Auf Kosten der Berliner / Leitartikel von Christine Richter zum Diesel-Fahrverbot Berlin (ots) - Kurzform: Nach den Fahrverboten in anderen deutschen Städten hat das Berliner Verwaltungsgericht am Dienstag nun auch Diesel-Fahrverbote für einzelne Straßen in Berlin verhängt. Weil die Politik zu viel Zeit verstreichen ließ, Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung umzusetzen, weil die Luft an einigen Stellen in der Innenstadt über die vergangenen Jahre wahrlich schlechter geworden ist, weil die Gesundheit der Menschen zu Recht an erster Stelle steht. Die Leidtragenden sind wieder einmal die Menschen, die auf das Auto mehr...

  • Rheinische Post: Deutsche leiden deutlich weniger unter Strom-Blackouts als Franzosen und Belgier Düsseldorf (ots) - In Deutschland kommt es erheblich seltener zu Stromausfällen als in den stärker von der Atomkraft abhängenden Ländern Frankreich und Belgien. Das geht aus einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags für die Grünen-Fraktion hervor, das der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Mittwoch) vorliegt. Demnach gab es 2015 in Frankreich pro Netzkunde Stromausfälle über insgesamt 57,6 Minuten und 2016 über 52,6 Minuten. In Deutschland dagegen summierten sich die Blackout-Minuten pro Netzkunde 2015 auf nur  mehr...

  • Rheinische Post: Grünen-Fraktionschef Hofreiter gibt Bundesregierung Schuld an Diesel-Fahrverboten Düsseldorf (ots) - Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter weist der Bundesregierung die Schuld an weiteren Diesel-Fahrverboten zu. "Die Bundesregierung hat Berlin durch ihre mittlerweile dreijährige Diesel-Blockadehaltung ohne Not Fahrverbote eingebrockt", sagte Hofreiter der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Mittwoch). "Fahrverbotskanzlerin" Merkel und "Fahrverbotsminister" Scheuer ließen Kommunen im Regen stehen. "Damit müssen selbst Städte wie Berlin, die längst im Rahmen ihrer Möglichkeiten die schlechte Luft auf den Straßen reduziert mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht