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Erdogan-Besuch: Bundesregierung muss Freilassung von Journalisten fordern

Geschrieben am 25-09-2018

Berlin (ots) - Erdogan-Besuch: Bundesregierung muss Freilassung
von Journalisten fordern

(Diese Meldung auf der ROG-Webseite: http://ogy.de/d8dw)

Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel
und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf, in ihren Gesprächen
mit dem türkischen Präsidenten die verheerende Lage der
Pressefreiheit in der Türkei mit Nachdruck anzuprangern. Recep Tayyip
Erdogan wird am Donnerstag (27.09.) für einen dreitägigen
Staatsbesuch nach Deutschland reisen. Mehr als 100 Journalisten
sitzen derzeit in türkischen Gefängnissen. Mit der Schließung von
rund 150 Medien seit dem Putschversuch im Juli 2016 wurde der
Medienpluralismus in der Türkei weitgehend zerstört. Nach einem
Führungswechsel bei der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet
vor knapp drei Wochen ist eine der letzten Bastionen der
Pressefreiheit weggebrochen.

"Dialog darf kein Selbstzweck sein. Die Bundesregierung und der
Bundespräsident müssen in ihren Gesprächen mit dem türkischen
Präsidenten Erdogan öffentlich konkrete Namen von in der Türkei
inhaftierten Journalisten nennen und ihre Freilassung fordern", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Solange die beispiellose
Unterdrückung der Pressefreiheit in der Türkei anhält, sollten sich
die Bundesregierung und die EU genau überlegen, ob sie die
Beziehungen zu Ankara normalisieren wollen."

Auch nach der Freilassung des deutsch-türkischen
WELT-Korrespondenten Deniz Yücel Mitte Februar (http://ogy.de/8c43)
und der Ausreise der deutschen Journalistin Mesale Tolu im August
(http://ogy.de/283q) hat sich die Situation für unabhängige Medien
und Journalisten in der Türkei nicht verbessert. Das Land gehört
neben China, Syrien, dem Iran und Vietnam zu den Ländern mit den
meisten inhaftierten Medienschaffenden weltweit (http://ogy.de/qs8r).
Kritik an der Regierung, die Arbeit für eine "verdächtige" Redaktion,
der Kontakt mit einer heiklen Quelle oder die bloße Nutzung eines
verschlüsselten Messenger-Dienstes reichen aus, um Journalisten wegen
Terrorismus-Vorwürfen zu inhaftieren.

DUTZENDE JOURNALISTEN WEGEN IHRER ARBEIT IN HAFT

Von den mehr als 100 inhaftierten Journalisten sitzen nach
ROG-Informationen mindestens 27 in direktem Zusammenhang mit ihrer
journalistischen Tätigkeit im Gefängnis. In Dutzenden weiteren Fällen
ist ein direkter Zusammenhang wahrscheinlich, lässt sich aber derzeit
nicht nachweisen, da die türkische Justiz die Betroffenen und ihre
Anwälte oft für längere Zeit über die genauen Anschuldigungen im
Unklaren lässt. Bei Deniz Yücel etwa lag die Anklageschrift erst ein
Jahr nach seiner Festnahme vor.

Der 68-jährige Journalist Ahmet Altan und die 74-jährige
Journalistin Nazli Ilicak sitzen seit über zwei Jahren im Gefängnis.
Sie wurden am 16. Februar zusammen mit Ahmet Altans Bruder Mehmet
Altan (65) zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt
(http://ogy.de/7zul). Ihnen wird eine Beteiligung am Putschversuch im
Juli 2016 vorgeworfen. Mehmet Altan wurde nach fast zwei Jahren Haft
Ende Juni freigelassen (http://ogy.de/x8kx). Das türkische
Verfassungsgericht hatte knapp sechs Monate zuvor seine Freilassung
angeordnet (http://ogy.de/wcmi).

KRITISCHER JOURNALISMUS AUF DER ANKLAGEBANK

Die meisten Inhaftierungen erfolgen aufgrund von Terrorvorwürfen.
Am 1. Juli waren 57 Medienschaffende wegen "Propaganda für eine
Terrororganisation" oder wegen "Veröffentlichung von Statements einer
Terrororganisation" angeklagt (http://ogy.de/ti8m). Reporter ohne
Grenzen ist in zahlreichen Prozessen in der Türkei als
Prozessbeobachter vor Ort.

Anfang Juli verurteilte ein Gericht in Istanbul sechs ehemalige
Kolumnisten der mittlerweile geschlossenen Zeitung Zaman wegen
"Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" zu langjährigen
Haftstrafen (http://ogy.de/ur2s).

Im April verurteilte ein Gericht im Hochsicherheitsgefängnis
Silivri nahe Istanbul 13 Redaktionsmitglieder der Zeitung Cumhuriyet
wegen "Unterstützung einer Terrororganisation" zu Haftstrafen
zwischen zweieinhalb Jahren und acht Jahren und sechs Wochen, unter
ihnen Geschäftsführer Akin Atalay, Chefredakteur Murat Sabuncu und
Investigativjournalist Ahmet Sik (http://ogy.de/eo46). Einen weiteren
Mitarbeiter, den Buchhalter Emre Iper, verurteilte das Gericht wegen
"Terrorpropaganda" zu drei Jahren und sechs Wochen Gefängnis. Bis zu
einem Urteil im Berufungsverfahren bleiben die Mitarbeiter auf freiem
Fuß, sie dürfen die Türkei jedoch nicht verlassen. Die Anklageschrift
ist von sachlichen Fehlern durchzogen und stützt sich vor allem auf
falsche Interpretationen von Zeitungsartikeln sowie auf bloße
Kontakte zwischen Journalisten und ihren Informanten.

PROZESSE GEGEN JOURNALISTEN GEHEN WEITER

Mit dem Ende der Sommerpause gehen die Journalisten-Prozesse in
der Türkei weiter. Seit Ende vergangener Woche stehen Ahmet Altan,
Mehmet Altan und Nazli Ilicak in ihrem Berufungsverfahren in Istanbul
vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft fordert, die lebenslange
Haftstrafe zu bestätigen. Die nächste Verhandlung ist am 2. Oktober
(http://ogy.de/9dur).

Am 9. Oktober geht das Verfahren gegen den langjährigen
Türkei-Korrespondenten von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu,
weiter. Wegen der Teilnahme an einer Solidaritätsaktion für die
pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem wirft ihm die Staatsanwaltschaft
"Propaganda für eine terroristische Organisation" vor. Önderoglu
drohen bis zu 14 Jahre Haft. Am 16. Oktober wird der Prozess gegen
Mesale Tolu fortgesetzt. Das Verfahren gegen Deniz Yücel geht am 20.
Dezember weiter.

MEDIENPLURALISMUS ZERSTÖRT

Unter dem zweijährigen Ausnahmezustand wurden ganze Teile der
Medienlandschaft mit einem Federstrich beseitigt. Die Tageszeitung
Cumhuriyet war die wichtigste noch verbliebene unabhängige Zeitung.
Am 7. September wurde jedoch der Stiftungsvorstand durch
regierungsnahe Personen neu besetzt (http://ogy.de/sxaa). Mindestens
20 Redaktionsmitglieder wurden entlassen oder haben gekündigt.
Weitere unabhängige türkische Medien, die noch nicht geschlossen
wurden, wie etwa die Zeitungen Evrensel und Birgün, haben nur eine
geringe Auflage.

Ein weiterer Wendepunkt für die Medienlandschaft in der Türkei war
der Verkauf der Dogan-Mediengruppe an einen regierungsnahen
Unternehmer (http://ogy.de/ebxo). Zur größten Mediengruppe in der
Türkei gehörten unter anderem die Fernsehsender CNN Türk sowie die
auflagenstarke Tageszeitung Hürriyet.

Nach dem Verkauf der Dogan-Mediengruppe gehören nun neun der zehn
meistgesehenen Fernsehsender und neun der zehn meistgelesenen
überregionalen Tageszeitungen regierungsfreundlichen Unternehmen.
Schon vor der Repressionswelle seit dem Putschversuch hatte die
zunehmende Medienkonzentration in der Türkei die Freiräume für
unabhängigen Journalismus immer weiter eingeengt, wie die Recherchen
des Projekts Media Ownership Monitor zeigen (http://ogy.de/240f).

ROG-AKTIONEN WÄHREND STAATSBESUCHS

Anlässlich des Staatsbesuches von Präsident Erdogan ruft ROG in
einem Bündnis mit anderen Journalistenorganisationen und
Menschenrechts-NGOs am 28. September ab 11 Uhr zu einer Kundgebung
für die in der Türkei inhaftierten Journalisten auf
(http://ogy.de/ts8n).

Mit zwei bildstarken Aktionen wird ROG am 27. September um 9:30
Uhr am Flughafen Tegel und am 28. September um 17:30 in der Nähe des
Schlosses Bellevue zudem ein Zeichen gegen die Einschränkungen der
Pressefreiheit in der Türkei setzen (http://ogy.de/yy9j).

Im Vorfeld des Staatsbesuchs hat Steinmeier neben dem türkischen
Exiljournalisten Can Dündar und der Journalistin Mesale Tolu auch
Vertreter von Reporter ohne Grenzen getroffen (http://ogy.de/j5fo).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz
157 von 180 Staaten. Weitere Informationen über die Lage der
Journalisten vor Ort finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei.



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink / Juliane Matthey
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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