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Landeszeitung Lüneburg: Das Comeback des Atomkoffers Dr. Peter Rudolf, Sicherheitsexperte von der Denkfabrik SWP: Die US-Politik, Frieden durch Stärke zu erzwingen, kann Konflikte mit Russland und Chi

Geschrieben am 31-05-2018

Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler

Lüneburg. Was unter der Regierung von Barack Obama auf den Fluren
des Pentagon nur geflüstert werden durfte, hat unter Donald Trump
Eingang in die Nationale Sicherheitsstrategie gefunden: In der
Weltpolitik hat eine neue Ära begonnen, die dadurch gekennzeichnet
ist, dass die USA von Russland und China im Ringen um Einfluss
herausgefordert werden. Die USA wollen diese Herausforderer in die
Schranken weisen. Das "ist gefährlich - für die internationale
Ordnung wie für die weltweite Sicherheit", schreibt Dr. Peter Rudolf
in einer neuen Studie für die Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP), die die Bundesregierung berät. Im Interview der Woche führt
Dr. Rudolf aus, dass sich in einer Welt der Großmachtrivalitäten der
Stellenwert der nuklearen Abschreckung ändere. Von einem
Hintergrundfaktor wie nach dem Kalten Krieg zu einem dominanten.
Längst haben die USA Mini-Atombomben im Arsenal, die aus der Sicht
des Weißen Hauses bei regionalen Konflikten leichter einsetzbar
scheinen, sei es mit Russland im Osten Europas oder mit China im
Pazifik. Die Fähigkeit zu einem begrenzten Nuklearkrieg solle die
Glaubwürdigkeit der Abschreckung erhöhen. Doch der Sicherheitsexperte
warnt: "Wenn die USA weiter eine geopolitische Verständigung
verweigern bei gleichzeitiger Bewahrung der militärischen
Überlegenheit, ist mit einer Verschärfung von Großmachtkonflikten" zu
rechnen. Dann müsste Berlin sich entscheiden, wie weit die
Unterstützung der USA gehen solle.

Ist militärische Überlegenheit das richtige Mittel, um den
relativen Abstieg der USA aufzuhalten? Dr. Peter Rudolf: Unabhängig
davon, ob richtig oder falsch, ist der Gedanke im amerikanischen
Militär und Sicherheitsestablishment verwurzelt, dass die USA ihre
militärische Überlegenheit wahren müssen. Die USA verstehen sich nach
wie vor als Führungsmacht in allen strategisch wichtigen Regionen,
also vor allem Ostasien und dem Persischen Golf. Hier soll
Überlegenheit gewahrt werden, um in Krisen die Oberhand gewinnen zu
können. Ein Gedanke, den US-Präsident Donald Trump teilt.

Beschleunigt Trump den Machtzuwachs Chinas, indem er den Westen
und multinationale Systeme schwächt? Rudolf: Das zeichnet sich ab,
nimmt man etwa die aktuelle Diskussion in Australien als Beispiel:
Dort wird erörtert, welche Optionen Australien hat, wenn die USA als
Schutzmacht ausfallen oder was es heißt, wenn China wirtschaftlich
weiter erstarkt und die USA ihre globale Rolle nicht mehr ausfüllen.
Aber nicht nur in Canberra hat Trump ein Umdenken ausgelöst, sondern
auch in Seoul und Berlin.

Ist die US-Atomstrategie, die den Einsatz von Atombomben mit
relativ geringer Sprengkraft ermöglicht, die richtige Antwort auf
eine Welt hybrider Kriege oder ein Schritt in Richtung Apokalypse,
weil Atomkrieg führbar erscheint? Rudolf: Das ist schwer zu
beantworten, weil atomare Abschreckung per definitionem ein Konstrukt
ist, das auf die Wirkung in den Köpfen der Gegner angelegt ist. Im
Konfliktfall wird aber immer noch für sinnvoll erachtet, die
Eskalationsdominanz innezuhaben, also die Fähigkeit, auf die
nächsthöhere Stufe der Gewalt eskalieren zu können. Das sind uralte
atomstrategische Überlegungen, die jetzt eine Renaissance erfahren,
weil man vermutet - ob zu Recht oder Unrecht -, dass Russland
versucht sein könnte, einen Krieg etwa in den baltischen Staaten mit
einer begrenzten nuklearen Eskalation zu beenden, also dem Einsatz
einer Atomwaffe mit relativ geringer Sprengkraft, bevor die USA
überlegene konventionelle Kräfte einsetzen könnten.

Wie glaubwürdig ist eine abgestufte atomare Abschreckung gerade
gegenüber Russland, wenn diese noch nicht einmal die Eroberung der
Krim verhindern konnte? Rudolf: Glaubwürdigkeit ist das Grundproblem
jeder atomaren Abschreckung, gerade auch in ihrer erweiterten
Variante. Die USA nehmen ihre Verbündeten unter den Atomschirm. Im
Kalten Krieg lautete die Frage: Sind die USA bereit, New York für
Berlin zu opfern? Heute stellt sich die Frage in Bezug zum Beispiel
auf Tallin. Trumps Zweifel an der Gültigkeit der Sicherheitsgarantien
für die NATO-Verbündeten haben selbstverständlich Zweifel an der
amerikanischen Entschlossenheit gesät, für Partner in die Bresche zu
springen.

Unter Xi Jinping errichtet China Mauern zur See, betrachtet Asien
klar als den eigenen Hinterhof. Löst der Pazifik den Atlantik als
Kampfzone der Rivalen ab? Rudolf: Der Atlantik ist relativ beruhigt,
während in Asien ein Hegemonialkonflikt im Gange ist. China will die
führende Macht werden, beansprucht deshalb die Oberhoheit über das
südchinesische Meer. Das hat auch etwas mit Nuklearstrategie zu tun,
weil das südchinesische Meer zur sicheren Bastion für Pekings mit
Atomraketen bestückte U-Boote ausgebaut werden soll. Dies soll die
Verwundbarkeit des chinesischen Arsenals gegenüber amerikanischen
Präventivschlägen verringern.

Taugt das außenpolitische Konzept der Republikaner - "Frieden
durch Stärke" - vor dem Hintergrund der Entwicklung im Iran und
Nordkorea als Leitschnur gegenüber ambitionierten Mittelmächten?
Rudolf: Das Konzept geht auf Ronald Reagan zurück. Die historische
Erinnerung daran, dass dessen Aufrüstungsdirektive in den achtziger
Jahren die Sowjetunion in die Knie gezwungen habe, ist in der
republikanischen Partei eine Erzählung mit Legendencharakter. Dass
der Zusammenbruch der UdSSR tatsächlich ein sehr viel komplexeres
Geschehen war und dass Stärke ohne gleichzeitige Entspannung und
Sicherheitszusagen wie in den Fällen Iran und Nordkorea
konfliktverschärfend sein kann, wird dabei übersehen.
Zwischenzeitlich waren die USA erfolgreich mit dem diplomatischen
Versuch, den Iran zu einer Aufgabe der Urananreicherung zu bewegen.
Jetzt hat die Trump-Administration diesen Weg beendet, ohne aber über
eine Alternative zu verfügen.

War es nicht konsequent von den Mullahs und Kim angesichts der
Schicksale von Gaddafi und Saddam Hussein, nach der Atombombe zu
streben? Rudolf: Das ist vermutlich die Lehre, die Nordkorea gezogen
hat. Der Iran ist ein komplexerer Fall, weil es dort einige
miteinander konkurrierende Machtzentren gibt. Wenn Trumps
Sicherheitsberater Bolton in Bezug auf Nordkorea von der "libyschen
Lösung" spricht, dürften in Pjöngjang die Alarmglocken schrillen, hat
Gaddafi doch einst sein Chemiewaffenprogramm aufgegeben, bevor er vom
Westen fallen gelassen wurde. Der einzige Staat, der bisher ein
laufendes Atomwaffenprogramm aufgegeben hat, ist Südafrika. Der Iran
hat sein Programm nun für zumindest zehn Jahre ausgesetzt. Ob er es
einfach so reaktivieren könnte, ist offen.

Gibt es in Washington Verständnis für die Einkreisungsängste in
Moskau und Peking? Rudolf: Es gibt zwar in Washington viele Stimmen,
doch in der Trump-Administration dürfte es zu wenig
Einfühlungsvermögen geben, um zu realisieren, dass die eigene
Aufrüstung und die eigene Rhetorik von der anderen Seite als
bedrohlich wahrgenommen wird. Zudem ist die Einstellung verbreitet,
dass die USA als friedliebende Demokratie an sich für andere Staaten
keine Bedrohung darstellen kann.

Wie groß ist die Gefahr, dass das südchinesische und das
ostchinesische Meer wie die Nordsee des 20. Jahrhunderts zur
Aufmarschzone werden? Rudolf: Das Risiko einer Krise in dieser Region
ist gegeben. China verfolgt offensichtlich eine Salamitaktik beim
Ausbau seines eigenen Einflusses. Dabei bleibt man beim Ausbau seiner
eigenen militärischen Fertigkeiten und dem Stützpunktausbau auf
Inseln unterhalb der Schwelle, die in den USA als bedrohlich
angesehen werden könnte. Derzeit wird in der US-Regierung darüber
debattiert, ob es nicht Zeit wäre, darauf bestimmter zu reagieren als
bisher. Es ist erheblicher Zündstoff angehäuft, denkt man etwa daran,
was passieren könnte, wenn sich Taiwan unabhängig erklärt.

Wäre ein Schwenk zu mehr geopolitischer Verständigung unter einem
demokratischen Präsidenten denkbar oder ist das Vormachtsdenken tief
in der DNA der USA verankert? Rudolf: Schwer zu sagen, wann es wieder
einen demokratischen US-Präsidenten geben könnte. Unter Obama war die
US-Politik gegenüber Russland zurückhaltender. Zwar wurden Sanktionen
nach der Eroberung der Krim verhängt, doch es wurden keine Waffen an
die Ukraine geliefert, die das Kräfteverhältnis hätten ändern können
und zudem wurde der Beitritt Kiews auf Eis gelegt. Aber ich kann mir
keine US-Administration vorstellen, die Russland oder China
bereitwillig Einflusszonen zuspricht.

China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner, Russland die
geografisch nächste Großmacht. Wie kann sich Deutschland
positionieren, sollte die westliche Vormacht Konflikte schüren?
Rudolf: Wenn es zu einem stärkeren Konflikt mit China kommt, dürften
die USA Solidarität einfordern - etwa, indem sie Druck auf deutsche
Unternehmen ausüben, die Zusammenarbeit mit China einzustellen. Auch
bei den Russland-Sanktionen trägt die deutsche Wirtschaft den
Löwenanteil der wirtschaftlichen Last.

Hat der kleine westliche Zipfel am eurasischen Kontinent, den wir
Europa nennen, Glück, dass die neuen Großmachtrivalitäten weit weg im
pazifischen Raum spielen werden? Rudolf: Glück vielleicht nur
insofern, als Europa im Pazifik keine militärische Rolle spielen
wird. Die wirtschaftlichen Folgen wären allerdings sehr schmerzhaft,
wenn die Globalisierung zurückgedreht wird, weil sich
Produktionsketten auflösen. Gerät der US-Handel mit China unter den
Sicherheitsvorbehalt, wird das auch Europa treffen.

Unter Trump ist sogar der deutsche Export ein nationales
Sicherheitsrisiko für die USA. Gibt es eine rote Linie, bei deren
Überschreiten die deutsche Politik härter zurückschlagen sollte?
Rudolf: Bei Stahl wäre mit einiger Phantasie die US-Argumentation
noch nachvollziehbar, bei Autos ist sie nur der bizzare Versuch, den
Druck zu erhöhen. Jetzt steht Europa vor der Frage, ob es um
Ausnahmegenehmigungen bittet oder mit anderen Staaten in der
Welthandelsorganisationen eine Front bildet. Die Erkenntnis wird
reifen, dass man auch härter kontern könnte - etwa über amerikanische
Internetkonzerne, die in Europa Profit machen, aber wenig Steuern
zahlen.

Nur ein einiges Europa hätte im Konzert der Großen eine Stimme von
Gewicht. Treffen Europa die Zentrifugalkräfte um Großbritannien und
jetzt Italien gerade zur falschen Zeit? Rudolf: Sicher wäre ein
Europa, das außenpolitisch einig agiert, ein gewichtiger Akteur.
Bräche nun auch noch Italien weg, wäre Europa erheblich geschwächt.



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell


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