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Ärzte ohne Grenzen: EU-Türkei-Deal aus humanitärer Perspektive gescheitert

Geschrieben am 19-03-2018

Athen/Berlin (ots) - Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen
wirft der EU und ihren Mitgliedstaaten vor, durch den EU-Türkei-Deal
großes Leid verursacht zu haben. Zwei Jahre nach dem maßgeblich von
Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgehandelten Abkommen herrschen in
den überfüllten EU-Hotspots für Asylsuchende auf den griechischen
Inseln sehr schlechte Lebensbedingungen und Gewalt. Trotzdem steigt
die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge, allein in den ersten beiden
Märzwochen kamen 589 Menschen neu auf den Inseln an.

"Der EU-Türkei-Deal ist alles andere als ein Erfolg. Die EU und
ihre Mitgliedstaaten haben aus humanitärer Sicht versagt - allen
voran die Bundesregierung, die diesen Deal auf Kosten der Flüchtenden
maßgeblich ausgehandelt hat", sagt Florian Westphal, Geschäftsführer
Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. "Die Kliniken von Ärzte ohne
Grenzen auf Lesbos, Chios und Samos sind überfüllt mit verzweifelten
Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, und die fürchten,
zurückgeschickt zu werden. Diese Menschen werden heute genauso im
Stich gelassen wie bereits schon vor zwei Jahren. Jeden Tag behandeln
unsere Mitarbeiter Wunden, sowohl physische als auch psychische, die
diese Politik geschaffen hat. Nach den Behandlungen können sie nichts
Anderes tun, als diese Menschen zurück in die gleichen Zelte,
überfüllten Container und in den Schwebezustand zu schicken, die das
Leid hervorrufen. Ist dieser unerträgliche Teufelskreis die
Erfolgsgeschichte, die die EU weiterhin feiert?"

Die EU-Hotspots auf Lesbos und Samos sind überfüllt. In Lesbos
leben 5.400 Menschen in einem Lager für höchstens 2.300 Personen, in
Samos 2.000 Menschen in einem Lager für höchstens 700 Personen. Die
Lebensbedingungen sind inakzeptabel. Im Hotspot Moria auf Lesbos gibt
es oft kein fließendes Wasser, Toiletten und Waschräume sind oft
nicht benutzbar und verdreckt. Immer wieder werden die Teams von
Ärzte ohne Grenzen zu Zeugen von Gewalt. Es gibt in den Lagern
keinerlei Vorkehrungen, um besonders verletzliche Menschen wie Kinder
und Frauen wirksam vor Gewalt zu schützen. Am vergangenen Mittwoch
kam es in Moria erneut zu Ausschreitungen. Die Teams von Ärzte ohne
Grenzen behandelten 19 Patienten mit Panikattacken oder weil sie
Tränengas ausgesetzt wurden - darunter 11 Kinder und ein sechs Monate
altes Baby.

Selbst eine grundlegende Gesundheitsversorgung ist nicht
gewährleistet. Ärzte ohne Grenzen hatte sich im März 2016 aus Protest
gegen den EU-Türkei-Deal aus dem Lager Moria auf Lesbos
zurückgezogen. Derzeit betreibt die Organisation vor den Toren des
Lagers eine Klinik. Die Ärzte dort behandeln sehr viele Kinder unter
fünf Jahren, die auf Grund der schlechten Lebensbedingungen oft
mehrfach mit Atemwegserkrankungen, Durchfall und Hautkrankheiten in
die Klinik gebracht werden.

In den Lagern auf den griechischen Inseln herrscht ein
psychosozialer Notstand. Die schlechten Lebensbedingungen, die
Unsicherheit über ihre Zukunft und Gewalterfahrungen in ihrer Heimat
und auf der Flucht führen zu massiven psychischen Beschwerden. Erst
vergangene Woche versuchten erneut zwei junge Männer in Moria, sich
durch einen Stromschlag das Leben zu nehmen. "Ich habe mit vielen
Menschen gesprochen, die jegliche Hoffnung und ihr Gefühl von Würde
verloren haben", sagt Aliki Meimaridou, Psychologin von Ärzte ohne
Grenzen. "Menschen, die Folter und Gefangenschaft in ihren
Heimatländern überlebt haben, machen diese traumatischen Erlebnisse
jetzt erneut durch. Sie erzählen mir: Ich habe alles getan, um Gewalt
und Missbrauch zu entkommen, und jetzt bin ich wieder eingesperrt und
lebe in Angst und Unsicherheit."

"Der EU-Türkei-Deal ist keine Abmachung, die darauf abzielt,
Bedürftige zu schützen", so Westphal. "Sie verursacht Leiden für die
Menschen, die das Meer überqueren. Es ist eine Abmachung, die andere
von dieser Überfahrt abhalten soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat
immer wieder gesagt, das Türkei-Abkommen würde aus irregulärer
Migration legale Migration machen. Da es aber keine Alternative gibt,
riskieren weiterhin täglich Familien aus Ländern wie Syrien, dem Irak
und Afghanistan alles, um Griechenland zu erreichen. Die
EU-Verantwortlichen behaupten, Menschen zu schützen, indem sie
Grenzen sichern. Dies ist nicht nur falsch, sondern es funktioniert
auch nicht."

Ärzte ohne Grenzen fordert von der EU und ihren Mitgliedstaaten,
dringend den Transfer von Asylsuchenden auf das griechische Festland
auszuweiten, die Übersiedlung von Asylsuchenden in andere EU-Staaten
(Relocation) wiederaufzunehmen, zusätzliche Wohnmöglichkeiten auf dem
griechischen Festland zu schaffen und auf den griechischen Inseln die
medizinische und humanitäre Versorgung zu verbessern.



Pressekontakt:
Stefan Dold, Tel.: 030-700130-239, http://www.aerzte-ohne-grenzen.de,
@msf_de

Original-Content von: Ärzte ohne Grenzen, übermittelt durch news aktuell


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