Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu CDU/CSU: Union in der Schulz-Falle von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 26-02-2017 |
Regensburg (ots) - Erstens kommt es anders und zweitens als man
denkt. Dieses augenzwinkernde Bonmot trifft in etwa den jetzigen
Zustand der Union. Mit der Nominierung des "Mister Gerechtigkeit"
Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat hatte man weder in der CDU-
noch in der CSU-Zentrale gerechnet. Merkel, Seehofer und Co. wäre
zweifellos lieber gewesen, der Noch-SPD-Chef Sigmar Gabriel wäre
angetreten und hätte ehrenvoll gegen die Kanzlerin verloren.
Vielleicht hätte man der lange Zeit zutiefst frustrierten und
gedemütigten SPD dann noch mal eine Regierungskoalition angeboten.
Eine von Merkels Gnaden. Nicht nur die überraschende Personalie der
SPD hat man in der Union falsch eingeschätzt. Es herrscht auch
weitgehend Ratlosigkeit, wie man Schulz den Wind aus den Segeln
nehmen kann. Nur langsam dämmert den Unionsspitzen, dass sie den
populären Versprechungen des SPD-Kanzlerkandidaten etwas
Substanzielles entgegen halten müssen. Aber das können Merkel und
Seehofer derzeit nicht. Die Union steckt in der Schulz-Falle. Die
ersten Reaktionen aus CDU und CSU auf Schulz' Nominierung waren dann
auch mehr Schnappatmung, denn ein wirkliches Anti-Schulz-Programm.
Die beiden Generalsekretäre der Unionsparteien wetterten gegen die
"Rolle rückwärts" von Schulz, der die Agenda 2010 zertrümmern will.
Angela Merkel rief gebetsmühlenhaft zum Festhalten an den
Arbeitsmarktreformen von vor 13, 14 Jahren auf, was weder besonders
originell, noch zugkräftig ist. Oder Finanzminister Wolfgang Schäuble
wiederholte zum x-ten Male die alte Leier: "Den Deutschen geht es so
gut wie lange nicht." Das mag ja, betrachtet man die
Durchschnittszahlen, tatsächlich so sein. Doch die Menschen leben
nicht in Durchschnittswerten, sondern in ganz konkreten Umständen.
Und dazu gehört auch der Druck sowie die Furcht vor dem Abstieg, die
mit der Agenda 2010 deutlich verstärkt wurden. Dass hinter dem
deutschen "Jobwunder" etwa auch Millionen prekäre
Arbeitsverhältnisse, lediglich befristete Arbeitsverträge, Zeit- und
Leiharbeit sowie Minijobs stecken, wollen CDU und CSU offenbar
vergessen machen. Schulz dagegen knüpft genau an dieser Stelle an,
legt den Finger in die richtige Wunde, trifft den Nerv vieler
Menschen. Auch derer, denen es eigentlich noch gut geht. Doch das
könnte sich morgen schon ändern. Soziologen sprechen bereits von
einer "prekären Mitte", die eine "Abstiegsgesellschaft" prägten. Nun
sollte man nicht jeden Befund von Soziologen auf die Goldwaage legen,
doch dass Deutschland trotz hoher Beschäftigung, trotz enormer
Steuereinnahmen und brummender Konjunktur eine soziale Schieflage
aufweist, ist nicht von der Hand zu weisen. Jungen Leuten etwa fällt
es immer schwerer, eine Familie zu gründen und eine vernünftige
Wohnung zu finden, wenn sie sich im Job von Befristung zu Befristung
hangeln müssen. Auf der anderen Seite streichen Topmanager und
Kapitaleigner märchenhafte Einkommen und Gewinne ein, während die
kleinen Sparer wegen der Niedrigzinspolitik Geld verlieren. Die Union
würde einen Riesenfehler begehen, wenn sie diese Probleme einfach
unter den Tisch kehren würde, nur weil sie von Martin Schulz auf die
Tagesordnung gesetzt wurden. Der SPD-Kandidat hat noch keine
Antworten, sondern nur wohlklingende Verheißungen. Aber auch die
Union steht blank da. Ihr Konzept für vernünftige Arbeitsverhältnisse
kann doch nicht ernsthaft lauten: Finger weg von der Agenda 2010 und
in der Sozialpolitik: her mit mehr Mütterrente, wie es Horst Seehofer
immer wieder verlangt. Um Schulz den Weg ins Kanzleramt zu verlegen
und um Rot-rot-Grün zu verhindern, muss sich die Union viel mehr
einfallen lassen als: Merkel macht's noch mal.
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