(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Ein Fall von Staatsversagen: Dass sächsische Behörden den Selbstmord von Dschaber al-Bakr nicht verhindern konnten, ist ein Skandal. Von Reinhard Zweigler

Geschrieben am 13-10-2016

Regensburg (ots) - War es unheimliche Ignoranz, schlichte
Überforderung oder gar das stillschweigende Gewährenlassen? Dass
sächsische Justizbehörden den Selbstmord des mutmaßlichen Terroristen
Dschaber al-Bakr nicht verhindern konnten, ist ein Fall von
Staatsversagen, ist ein juristischer und politischer Skandal. Und
dies war leider nicht das erste Mal, dass Polizei und Justiz des
Freistaates beim Einsatz gegen gefährliche Extremisten und
Terroristen dramatisch versagten. Die jüngsten Sprengstoffanschläge
von Dresden sind bislang nicht aufgeklärt. Und das Mördertrio NSU
konnte jahrelang unbehelligt von Zwickau aus agieren. Hinter den
vielen Pannen in Sachsen steckt offenbar kein böser Zufall, sondern
eine unfähige und unwillige politische Leitung. Der mutmaßliche
Bombenbauer aus Syrien konnte sich am Wochenende trotz Großeinsatzes
der Polizei in Chemnitz unbehelligt aus dem Staube machen. Nur
couragierten Landsleuten in Leipzig war es zu verdanken, dass der
Terrorist Tage später in der sächsischen Messestadt gefasst werden
konnte. Doch selbst dieser glückliche Umstand wurde durch die
Unfähigkeit in der Justizvollzugsanstalt Leipzig zunichte gemacht.
Die gestrigen Erklärungsversuche des Dresdner Justizministers und des
Chefs der JVA in Leipzig waren dürftig. Sie offenbarten eine
himmelschreiende Unfähigkeit, mit einem solch brisanten Fall
umzugehen. Beide bemäntelten zudem ihre Fehler mit gesetzlichen
Vorschriften, mit dem Gutachten einer Anstaltspsychologin und anderem
mehr. Wer jedoch im Fall eines potenziellen Selbstmordattentäters
einen Suizid in der Gefängniszelle ausschließt, der ist schlicht am
falschen Platz, dem mangelt es vor allem an gesundem
Menschenverstand. Der Brisanz des Falles waren sich die beteiligten
sächsischen Behörden offenbar nicht bewusst. Wer so offen seine
Unfähigkeit demonstriert wie Sachsens Justizminister Sebastian
Gemkow, darf in Deutschland nicht länger ein Ministeramt innehaben.
Es ist höchste Zeit, dass sein Chef, Ministerpräsident und
Bundesratspräsident Stanislaw Tillich, seinen Unionskollegen
abberuft. Doch das wird Tillich allem Anschein nach nicht tun. Der
Dresdner Regierungschef handelt offenbar lieber nach der Devise: nur
keine Fehler eingestehen, nur keine Konsequenzen ziehen. Dabei wäre
es mit dem Rauswurf des unglücklichen Ministers, gleichsam als
politisches Bauernopfer, ohnehin nicht getan. Auch die Strukturen und
die Geisteshaltung der Behörden im Kampf gegen Terroristen und
Extremisten müssen verändert werden. In Sachsen, aber auch anderswo
in Deutschland. Mit dem Tod des Terrorverdächtigen in Leipzig
verlieren die deutschen Sicherheitsbehörden offenbar auch eine
wichtige Quelle für Informationen über das Wirken der
Terrororganisation "Islamischer Staat". Hätte al-Bakr nämlich
ausgesagt, was mit Blick auf eine daraus folgende Reduzierung seiner
Strafe durchaus möglich gewesen wäre, hätten die Behörden Einblick in
den weitgehend verschlossenen Kosmos von islamistischen Terroristen
erlangen können. Es hätte vermutlich klarer werden können, wie diese
Islamisten Anhänger und Selbstmordattentäter rekrutieren und führen.
Bislang gehen die Erfolge deutscher Sicherheitsbehörden im Kampf
gegen diese Terroristen vor allem auf Hinweise befreundeter Dienste
zurück. So oder so muss das Staatsversagen in Sachsen aufgeklärt
werden. Rückhaltlos. Und es müssen Konsequenzen gezogen werden. Nicht
nur personelle.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

600814

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Ceta-Urteil Bielefeld (ots) - Die Anhänger des umstrittenen Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada können aufatmen: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe legt dem Vertrag keine größeren Steine in den Weg. Zumindest bis auf weiteres. Das ist zunächst einmal eine gute Botschaft für Sigmar Gabriel. Der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef hat sich wie kaum ein anderer Politiker in der EU für dieses Abkommen ins Zeug gelegt, auch gegen große Widerstande in seiner Partei. Ob die komplexen Bestimmungen mit den Anforderungen des Grundgesetzes mehr...

  • Rheinische Post: Ceta nachbessern Kommentar Von Michael Bröcker Düsseldorf (ots) - Das vorläufige Ja aus Karlsruhe zum Freihandelsabkommen Ceta ist noch kein Freispruch. SPD-Chef Sigmar Gabriel sollte leise jubeln, die Demokratiedefizite sind offensichtlich. Die Ceta-Kritiker haben in einigen Punkten recht. Wer entscheidet über Veränderungen des Abkommens? Der Gemischte Ausschuss, das Ceta-Steuerungsorgan, muss einen demokratischen Anker bekommen. Es kann nicht sein, dass etwa ein portugiesischer Vertreter der EU-Kommission ohne Votum des Bundestags Änderungen abnickt, die in Deutschland Rechtskraft mehr...

  • Rheinische Post: Gutes Missverständnis Kommentar Von Lothar Schröder Düsseldorf (ots) - Die Wahl des neuen Literaturnobelpreisträgers ist ein Missverständnis. Weil sie erstens nicht so revolutionär ist, wie sich die Königliche Akademie zu Stockholm das vielleicht gedacht oder erhofft haben mag. Die Entscheidung ist nicht einmal spektakulär jung angesichts des 75-jährigen Singer-Songwriters Bob Dylan, dessen größte Erfolge jetzt auch schon etliche Jahre zurückliegen. Das größte Missverständnis aber trifft uns und unsere Anspruchshaltung. Als sei der Literaturnobelpreis eine Weltmeisterschaft wie jede mehr...

  • Rheinische Post: Die Überforderung der sächsischen Justiz Kommentar Von Martin Kessler Düsseldorf (ots) - Mit dem vermeidbaren Suizid des mutmaßlichen IS-Terroristen Dschaber al Bakr ist die Pannenserie der sächsischen Justiz perfekt. Selten haben sich die Behörden eines Bundeslandes mehr blamiert als die des angeblichen Musterknaben des Ostens. Auch wenn es ungerecht ist, nun alles auf die einzelnen Beteiligten an dieser beispiellosen Pannenserie abzuwälzen, muss sich die CDU-geführte Landesregierung schon fragen lassen, warum sie den Rechtsstaat einem solch wackeligen Justizapparat anvertraut. Die Unfähigkeit der mehr...

  • NOZ: NOZ: Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten fordert zentrale Haftanstalt für Terrorverdächtige Osnabrück (ots) - Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten fordert zentrale Haftanstalt für Terrorverdächtige Niedersächsischer Landesvorsitzender Oelkers: "Reguläre Gefängnisse zur Unterbringung nicht geeignet" Osnabrück. Terrorverdächtige sollten nach dem Willen der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten in Niedersachsen zentral in Deutschland untergebracht werden. Vorsitzender Uwe Oelkers sagte im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag): "Es kann nicht sein, dass potenzielle Terroristen in regulären mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht