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Mittelbayerische Zeitung: Der Papst, der kein Wunder vollbrachte / Benedikts Bayernvisite konnte nicht die Koordinaten der Kirche verschieben. Es wäre auch zu viel verlangt.

Geschrieben am 09-09-2016

Regensburg (ots) - Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern
etwas länger, lautet ein Sprichwort, das all zu hochfliegende
Erwartungen aufs Korn nimmt. Es passt gut zur Bilanz zehn Jahre nach
dem Besuch von Papst Benedikt in Regensburg. Was sollte er nicht
alles vollbringen: Die Menschen im Bistum missionieren. Die so
genannten "lauen" Gläubigen fortan unverbrüchlich für die katholische
Kirche entflammen. Spuren hinterlassen, die auch nach zehn Jahren
tief sind. Oft schwingt in der Frage nach dem "was bleibt" ein
versteckter Vorwurf mit, der unberechtigt ist. Benedikt hat kein
Wunder vollbracht. Wie könnte er auch? Die Wahrheit ist: Die
Neuevangelisierung der Hundert- oder wenigstens Zehntausenden ist
ausgeblieben. Die Entfremdung der Kirche von den Menschen hat sich in
den vergangenen zehn Jahren weiter fortgesetzt. Kirchen bleiben
vielerorts leer. Die Zahl der Kirchenaustritte bewegt sich auf hohem
Niveau. Wer anderes erwartet hatte, musste enttäuscht werden. Ein
Glaubensereignis allein verschiebt nicht die Koordinaten der
katholischen Kirche in Deutschland. Letztlich muss jeder Mensch für
sich allein eine Antwort finden, wie weit er Glauben und Religion in
sein Leben lässt. Hat Benedikt in Regensburg zumindest die Grenzen
des tatsächlich Machbaren ausgelotet? Unbestritten ist, dass er
sympathisch für seine Kirche geworben hat. In Erinnerung bleibt das
Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Stadt erfasste. Es ließ erahnen,
was möglich ist, wenn viele Menschen "guten Willens" sind. Eingeprägt
hat sich der Ausnahmezustand, der an vier Tagen das Leben prägte -
inklusive gesperrter A3, die zum Busparkplatz umfunktioniert wurde.
Alles auch ein wenig verrückt - aber auf die schöne Art. Bei mir, der
Ungläubigen, blieben die Minuten haften, in denen Benedikt XVI. am
11. September in der Dämmerung mit dem Hubschrauber einschwebte, für
mich verwoben mit einem Gefühl der Spannung darauf, was Regensburg
bewegen wird. Jeder, der damals dabei war, könnte so eine Geschichte
erzählen. Sie fügen sich gemeinsam zu einem unsichtbaren Puzzle. Was
einen Platz in den Geschichtsbüchern bekommen hat und behalten wird,
ist Benedikts Islam-Rede an der Uni Regensburg. Brisant auch heute,
wo sich Terroristen den Islam zur Beute machen und missbrauchen. Der
Vortrag sollte eine Einladung zum Dialog zwischen den Kulturen sein.
Was eint die beiden Weltreligionen? Wie lautet der gemeinsame
Wertekanon, der Menschen zusammenrücken lässt, statt sie zu spalten?
Die Antworten sind damals ausgeblieben. Nicht allein, weil dafür
mindestens ein mittelschweres Wunder nötig gewesen wäre. Das
provozierende Zitat zum Verhältnis des Islams zur Gewalt, das
Benedikt als Denkanstoß wählte, war zu schroff und blockierte ein
Miteinander. Im Rückblick räumt er selbst ein, dass er die
politischen Folgen unterschätzte. Richtig diagnostiziert hatte der
Papst aber die Kernfrage einer bis heute ausstehenden Generaldebatte
über das Christentum und den Islam. Sie würde bei allen
Verletzbarkeiten und Empfindlichkeiten von beiden Seiten auch Härte
verlangen. Stellvertretend geführt wird sie derzeit in Deutschland
angesichts großer Flüchtlingsströme und einem Aufeinanderstoßen
unterschiedlicher Kulturen von der Politik. Die Debatte bleibt dabei
leider sehr im Kleinklein verhaftet. Sie kreist um Burkas und
Burkinis, die in weiten Landstrichen Deutschlands noch keiner der
jetzt hoch Besorgten jemals zu Gesicht bekam. Die CSU gebärdet sich
als Wahrer der christlichen Werte. Traditionelle Konservative
entflammen urplötzlich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Sie beackern ein Feld, das Kirchenführer preisgegeben haben. Sie
könnten bessere, gemeinsame Antworten liefern. Was bringt das
Christentum und der Islam im 21. Jahrhundert? Wo sind die
Schwachstellen? Das ließe sich, für den Anfang, gerne in Sachen
Gleichberechtigung von Mann und Frau durchdeklinieren. Genau
betrachtet: Ein Wunder wäre gar nicht schlecht.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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