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Landeszeitung Lüneburg: "Neuanfang sieht anders aus" / Renate Backhaus (Grüne) kritisiert Zeitplan der Endlager-Kommission und beklagt mangelhafte Bürgerbeteiligung

Geschrieben am 05-05-2016

Lüneburg (ots) - Die ewig aktuelle und noch lange nicht
beantwortete Frage lautet: Wo wird das Endlager für hoch radioaktiven
Müll gebaut? Ein Kommission soll nun, nach zwei Jahren Arbeit, einen
Bericht vorlegen, wie und nach welchen Kriterien gesucht werden soll.
Dazu gab es kürzlich öffentliche Konsultationen. Diese seien aber
"ein Witz" gewesen, urteilt Renate Backhaus vom BUND im Gespräch mit
unserer Zeitung.

Nach mehr als zwei Jahren Arbeit will die Endlager-Kommission um
den 10. Juni herum ihren Abschlussbericht vorlegen. Kürzlich gab es
öffentliche Konsultationen des Berichts. Wo hakt es noch?

Renate Backhaus: Bei der Konsultation gab es eigentlich nur einen
Entwurf des Berichts mit großen Lücken - und bedauerlicher Weise
wurde noch nicht einmal der Entwurf selbst diskutiert, sondern aus
allen Kapiteln Kernthesen vorgestellt, über die wir abstimmen
sollten. Daraus hat sich eine heftige Diskussion entwickelt, an der
ich mich mit - ziemlich verärgert - beteiligt habe.

Warum ziemlich verärgert?

Backhaus: Wenn man einen Bericht bewerten soll, aus dem ein Gesetz
werden soll, kann man kaum zum Beispiel aus einem Kapitel von 40
Seiten eine These machen, diese besprechen und dann sagen, darüber
hätte eine öffentliche Beteiligung stattgefunden. Kapitel 7 etwa war
komplett leer, es gab nur Überschriften - trotzdem wurde daraus eine
These entwickelt. Ich habe für den BUND Fragen dazu gestellt, die aus
meiner Sicht nicht oder nur unbefriedigend beantwortet wurden. Das
war eher eine Alibi-Veranstaltung zur Diskussion des Berichts.

Nach zwei Jahren Arbeit klingt das ein wenig dürftig.

Backhaus: Was heißt dürftig? Der Arbeit der Kommission liegt das
Standortauswahlgesetz zugrunde. Dort ist festgehalten, dass die
Kommission bis zum 30. Juni arbeitet und dann aufgelöst wird. Es ist
zwar richtig, dass man die Arbeit der Kommission befristet, denn es
soll nicht unendlich diskutiert werden. Aber so wie der Bericht
derzeit aussieht, kann ich mir nicht vorstellen, dass er bis zum 30.
Juni fertig wird. Entscheidende Punkte wie die Suchkriterien - also
die Frage, ob in Salz, Ton oder Granit eingelagert werden soll und in
welchen Behältern - liegen noch nicht vor. Wir vom BUND haben schon
immer gesagt, dass die Zeit zu knapp sein könnte. Ein halbes Jahr
mehr Zeit wäre notwendig. Damals hat man einen Neuanfang zugesagt -
mit Transparenz und Beteiligung der Bürger. Wenn dieser Bericht aber
bis zum 30. Juni fertig und bis zum 15. Juli dem Bundestag vorgelegt
werden soll, bleiben nur höchstens 14 Tage Zeit zur Beteiligung der
Bürger. Das ist in meinen Augen keine Bürgerbeteiligung. Der Bericht
wird viele Kompromisse beinhalten. Aber wenn Kompromisse keine
Transparenz haben, entsteht nur wieder der Nährboden für
Verdächtigungen, Spekulationen und Skepsis. Wenn wir dafür werben
wollen, dass in diesem Land ein Endlager gebaut wird, muss man von
vornherein dafür sorgen, dass es eine größtmögliche Transparenz gibt.

Auch einer der beiden Kommissionsvorsitzenden, Michael Müller, hat
eingeräumt, dass es zu wenig Zeit für die Beteiligung der
Öffentlichkeit geben wird, wenn der Bericht bis 30. Juni fertig wird.

Backhaus: Richtig. Sogar offiziell heißt es also schon, dass die
Zeit zu kurz ist. Es gibt aber noch keine Anhaltspunkte dafür, dass
die Kommission länger arbeiten kann. Ich sage: 14 Tage sind ein
schlechter Witz. Vor allem auch deshalb, weil sich die Frage stellt,
was denn die Kommission überhaupt mit den Ergebnissen der
Bürgerbeteiligung macht. Die können gar nicht mehr im Bericht
berücksichtigt werden. Das ist kein Neuanfang, so wie er damals
versprochen wurde.

Die Kommission wird nach derzeitigem Stand aber zum 30. Juni
aufgelöst. Was schlagen Sie vor?

Backhaus: Wir reden über Atommüll, der für eine Million Jahre
sicher eingelagert werden soll. Ein halbes Jahr Verlängerung der
Kommissionsarbeit sollte angesichts dieser Relation doch nicht
unmöglich sein. Aber das muss der Bundestag entscheiden.

Wie sieht es mit der ewigen Frage aus, ob Gorleben aus dem Rennen
ist oder nicht?

Backhaus: Gorleben ist bis heute nicht aus dem Rennen. In einer
der vergangenen Kommissionssitzungen gab es heftigen Krach, als ein
Papier vorgelegt wurde, im dem der gesamte Ablauf zu Gorleben
dargestellt war und mit der Einschätzung endete, dass Gorleben
politisch nicht durchsetzbar sei. Dieses Papier wurde am Ende nicht
beschlossen, es gab Stellungnahmen gegen dieses Papier unter anderem
von der CDU. Anders ausgedrückt: Der alte Streit kochte wieder hoch.
Wie angesichts dieser Gemengelage der Bericht - auch mit dem Kapitel
Gorleben - bis 30. Juni fertig sein soll, ist mir völlig unklar.

Die Kommission sucht keinen Endlager-Standort, sondern bereitet
nur die Suche vor. Planmäßig soll ein geeigneter Standort 2031
gefunden sein. Das stößt auf Skepsis. Jörg Sommer von der Deutschen
Umweltstiftung sagt, vor 2050 werde das nichts. Sind Sie ähnlich
skeptisch?

Backhaus: Ich würde mich nicht auf Zahlen festlegen wollen. Aber
ich halte den bisherigen Zeitplan für unglaublich ambitioniert. Wir
brauchen so schnell wie möglich ein Endlager - auch weil die
Genehmigungen für die Zwischenlager Ende der 2030er-Jahre alle
ablaufen. Wenn ich sehe, wie sehr es schon bei der Erstellung des
Kommissionsberichts knirscht, bin ich sehr skeptisch, dass der
Zeitplan auch nur ansatzweise eingehalten werden kann.

Die Regierungskommission hat sich kürzlich auf einen historischen
Deal zur Finanzierung der nuklearen Altlasten geeinigt. Die
Atomkonzerne sollen gut 23,3 Milliarden Euro an einen
öffentlich-rechtlichen Fonds zahlen, der Zwischen- und Endlagerung
managen soll. Zudem sollen sie Stilllegung und Abriss der Meiler
sowie die endlagergerechte Verpackung des Mülls komplett bezahlen.
Dafür sollen 19,8 Milliarden Euro der bisherigen Rücklagen in Höhe
von fast 40 Milliarden Euro bei den Konzernen verbleiben. Ist
angesichts des klaren Votums der Kommission von 19:0 der Druck auf
die Atomkonzerne groß genug, dass sie in den Deal einwilligen?

Backhaus: Das kann ich nicht beurteilen. Denn einerseits hat die
Kommission bestimmt nicht ohne Beteiligung der
Elektrizitäts-Versorgungs-Unternehmen, kurz EVU, im Hintergrund
gearbeitet, andererseits klagen ja derzeit die Energiekonzern noch
auf Entschädigungen wegen des Atomausstieges, den die Bundesregierung
nach der Fukushima-Katastrophe beschlossen hatte. Es war sicher ein
schwieriger Kompromiss, bei dem auch die derzeit schwierige
wirtschaftliche Situation der Energiekonzerne berücksichtigt und
zugleich die Milliardenrücklagen gegen einen Totalausfall im Fall
einer Pleite abgesichert werden sollten. Unterm Strich sind die EVUs
meiner Ansicht nach gut bedient mit diesem Kompromiss.

Glauben Sie, dass die Fondsmittel angesichts langfristiger Risiken
ausreichen?

Backhaus: Es wird viel über Zahlen geredet. So wird die Höhe der
Rückstellungen mit knapp 40 Milliarden Euro angegeben. Man muss aber
wissen, dass ein Teil der Rückstellungen, die die Konzerne in ihren
Büchern haben, Sachwerte sind, die erst einmal zu Geld gemacht werden
müssen. Wer kauft denn den Konzernen später zum Beispiel Kraftwerke
ab? Auch das Zinsrisiko ist hoch. Für mich steht im Moment nur fest:
Es gab diesen Kompromiss, bei dem offenbar nicht mehr herauszuholen
war. Was - nüchtern betrachtet - nicht in Ordnung ist, denn jeder
sollte für seinen Müll zahlen und nicht den Steuerzahler dafür
aufkommen lassen. Und warum sollten die prognostizierten Kosten
ausgerechnet für den großen Zeitraum des Rückbaus von Kernkraftwerken
und des Endlager-Baus am Ende tatsächlich im Rahmen bleiben? Man
muss dabei nicht einmal an die im Vergleich dazu sehr kleinen
Projekte wie Elbphilharmonie und Hauptstadtflughafen erinnern.

Der WWF lobt den Atom-Deal dennoch, weil mit dem Kompromiss die
Steuerzahler vor einem Totalausfall bewahrt werden. Greenpeace sieht
im Deal einen teuren Ablasshandel...

Backhaus: Es ist wie beim viel zitierten Glas Wein, das halb voll
oder halb leer ist.

Und wie sehen Sie das Glas? Ablasshandel oder einzig machbarer
Kompromiss?

Backhaus: Offensichtlich der einzig machbare Kompromiss.

Zur Person

Renate Backhaus ist eine der Symbolfiguren des Widerstandes gegen
die Atomenergie. Die Mutter von drei erwachsenen Kindern ist seit
Jahrzehnten politisch aktiv. Sie war von 1986 bis 2001 Abgeordnete im
Lüneburger Kreistag; 13 Jahre Grünen-Fraktionsvorsitzende und von
1991 bis 1993 stellvertretende Landrätin. Von 1996 bis 2008 war die
Reppenstedterin Landesvorsitzende des BUND Niedersachsen und von 1997
bis ebenfalls 2008 Mitglied im Bundesvorstand des BUND - natürlich
auch als atompolitische Sprecherin.

Das Interview führte

Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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