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Neue Westfälische (Bielefeld): Drei Landtage neu gewählt Die Mitte schrumpft Thomas Seim

Geschrieben am 13-03-2016

Bielefeld (ots) - Die Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt,
Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg werden nach diesem Wahlsonntag
wohl im Amt bleiben. Das war so nicht zu erwarten und zeugt
mindestens vordergründig - bei allen Herausforderungen, denen sich
die Politik derzeit gegenüber sieht - von einem gewissen Maß an
Stabilität unserer Demokratie. Noch. Denn die Dramatik des
Ergebnisses für unsere demokratische Verfasstheit offenbart sich in
den krassen Verschiebungen der Wähleranteile. Die demokratische Mitte
in Deutschland ist kleiner geworden. Dies gilt um so mehr, als die
Wahlbeteiligung gegen den Trend der vergangenen Jahre deutlich
angestiegen ist. Der Grund für die Verschiebungen dürfte in der
Flüchtlingsfrage, also in den Bemühungen der Bundesregierung liegen,
mit dem Zustrom von Menschen fertig zu werden. Aber die
Flüchtlingsfrage allein kann diese tektonischen Verschiebungen in der
Mittelschicht zu Gunsten der rechten AfD nicht erklären. Die Gefahr
der aktuellen politischen Lage liegt darin, dass auf dem Thema der
hunderttausendfachen Völkerwanderungen der Neuzeit das Thema der
sozialen Gerechtigkeit eine neue Dimension gewinnt, die die handelnde
Politik derzeit zu wenig in den Blick nimmt. Es macht sich eine tiefe
Unzufriedenheit in der Mittelschicht in Deutschland breit. Das
Aufstiegsversprechen, das über Jahrzehnte als Basis des sozialen
Friedens für breiteste Bevölkerungsschichten diente und
funktionierte, gibt es de facto nicht mehr. Auch das spiegeln die
Ergebnisse vom Sonntag. Keine Partei kann sich mehr ihrer
traditionellen Mehrheiten sicher sein. In Rheinland-Pfalz ist mit
Julia Klöckner eine Nachwuchshoffnung der Union abgewatscht worden.
In Baden-Württemberg, dem Stammland der Union, aus dem auch
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stammt, hat der irrlichternde
CDU-Kandidat Guido Wolf erdrutschartig verloren. Das war bislang
unvorstellbar. Die beiden Kandidaten, die orientierungslos durch die
Republik gelaufen sind und glaubten, ihre CDU-Mitgliedschaft allein
sichere schon den Erfolg, sind gescheitert. Für die SPD immerhin
mildert ein neuer Star die bitteren Ergebnisse in Sachsen-Anhalt und
Baden-Württemberg ab, in denen sie auf den Status einer Randgruppe
abgesunken ist: Malu Dreyer hat in Rheinland-Pfalz gezeigt, dass man
auch eine sehr schwierige Ausgangslage noch in einen überzeugenden
Sieg verwandeln kann. Mit Geduld und Zielstrebigkeit hat sie sich
nicht in die vordergründigen Scharmützel um die Flüchtlingspolitik
begeben, sondern sich auf ihre Themen im Land konzentriert und gute
Landespolitik im Blick auf den sozialen Ausgleich gemacht. Für die
SPD ist Dreyers Ergebnis ein Triumph, aus dem sie viel lernen kann
und den die Volkspartei auch dringend braucht, um die Ergebnisse in
Magdeburg und Stuttgart zu verarbeiten sowie die schlechten
Umfragewerte im Bund wieder verbessern zu können. Die Unzufriedenheit
breiter Teile der deutschen Mittelschicht über fehlende Gerechtigkeit
in unserer Republik erklärt auch das Votum für die AfD. 10 bis 14
Prozent im Westen, mehr als 20 Prozent im Osten für ein politisches
Angebot, das aus nicht viel mehr als Destruktion und
antidemokratischer Denunziation besteht - das muss die Demokraten im
Land besorgt machen. "Wehret den Anfängen" lautet die Botschaft, die
davon ausgeht. Die Bildung politischer Mehrheiten - so die wichtigste
Analyse des Sonntags - ist schwieriger geworden. Die Zeit, in der es
der Normalzustand der Demokratie war, dass sich eine große
Volkspartei mit einer kleineren Interessen- oder Klientelpartei zu
einer Mehrheit in Koalitionen zusammenfinden konnte, scheint zu Ende
zu gehen. Selbst große Koalitionen aus CDU und SPD bringen nicht
immer automatisch eine Mehrheit. Die zentrale Frage aber lautet: Wie
kann es den etablierten Parteien gelingen, die politische Mitte des
Landes wieder breiter hinter sich zu versammeln? Vieles deutet darauf
hin, dass diese Herausforderung nach einer Wiederentdeckung des
Themas der sozialen Gerechtigkeit verlangt. Das macht die Politik
auch im Bund wieder spannend. Man darf vermuten, dass es schon bald
mit dem Frieden in der Großen Koalition vorbei sein wird und der
Wahlkampf um neue Mehrheiten im Bund spätestens im Herbst beginnt.



Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de


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