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Rheinische Post: EKD-Vize Kurschus: Friedensstrategie stößt in Syrien an Grenzen / "Mit dem IS kann man nicht verhandeln"

Geschrieben am 22-12-2015

Düsseldorf (ots) - Die stellvertretende Ratsvorsitzende der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die westfälische Präses
Annette Kurschus, kritisiert den Kampfeinsatz der Bundeswehr gegen
die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. "Grundsätzlich bin
ich der Meinung, dass es wenig hilfreich ist, auf Gewalt mit Gewalt
zu antworten", sagte Kurschus der in Düsseldorf erscheinenden
"Rheinischen Post" (Dienstagausgabe): "Und ich frage mich mit vielen
anderen, wo genau der militärische Einsatz in Syrien hinführen soll."
Allerdings habe diese Argumentation ein Problem: "Die Schwierigkeit
ist, dass der IS kein Staat ist. Wir haben es hier mit Menschen zu
tun, mit denen man letztlich nicht verhandeln kann." Deshalb komme
"man da an Grenzen, wenn man sich für den Vorrang von Verhandlungen
und Friedensübereinkünfte ausspricht", und deshalb gelte: "Wir sind
nicht unter allen Umständen gegen den Einsatz."

Originaltext:

Präses Kurschus, welche Themen will der neue Rat angehen? Kurschus
Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass Kirche immer weniger eine
selbstverständliche und alle angehende Größe unserer Gesellschaft
ist. Auch wenn es natürlich stimmt, dass nach wie vor zwei von drei
Deutschen einer christlichen Kirche angehören. Also werden wir
versuchen, Kirche als eine wesentliche gesellschaftliche Akteurin
darzustellen. Wir sind in den existenziellen Fragen des Lebens
auskunftsfähig. Mit Michael Diener sitzt erstmals ein Evangelikaler
im Rat. Erwarten Sie Auseinandersetzungen? Kurschus Ich gehe davon
aus, dass die Synode Herrn Diener bewusst deswegen in den Rat gewählt
hat, damit wir auch dieses Spektrum des Protestantismus abbilden. Es
gibt viele Menschen, die hier beheimatet sind. Da wird es sicher hier
und dort auch einmal Kontroversen geben. Und wenn sich Herr Diener da
als Brückenbauer engagiert, dann stärkt das den Protestantismus
insgesamt. Ihre Lehrer haben mal zu Ihnen gesagt, dass sie sich
regere Beteiligung im Unterricht von Ihnen gewünscht hätten. Sind Sie
ein stiller Mensch? Kurschus Tatsächlich zögere ich lange und wäge
ab, ehe ich mich in Gremien - früher war es der Schulunterricht - zu
Wort melde mit meiner Meinung. Manchmal zögere ich vielleicht zu
lange. Das ist ein Phänomen, dem ich selber auf der Spur bin. Ich
vermute, diese Zurückhaltung ist einer starken inneren Zensur
geschuldet. Nun sind Sie Vize-Ratsvorsitzende. Haben Sie da auch
gezögert? Kurschus Das ist so, aber nicht in dem Sinn, dass man mich
jetzt überredet und gedrängt hätte. Ich übernehme diese Aufgabe nicht
als Privatmensch, sondern als Vertreterin einer großen Landeskirche.
Was hat Sie überzeugt? Kurschus Mir wurde deutlich, wie stark die
Erwartung meiner eigenen Kirche ist. Auch vonseiten der
Kirchenkonferenz und der EKD wurde ich zur Kandidatur ermutigt. Als
mir dann nach meiner Vorstellungsrede eine sehr warme Herzlichkeit in
der Synode entgegenschlug, habe ich mich schon gefreut. Die Stimmung
gegenüber den Flüchtlingen kippt gerade ... Kurschus Wir sind als
Christen dafür verantwortlich, dass auch die Menschen, die angesichts
der großen Herausforderungen Befürchtungen und Besorgnisse äußern,
nicht sofort in eine bestimmte Ecke gestellt werden. Diese Menschen
verdienen auch Respekt. Es darf keine Tabuisierung von Ängsten geben.
Wie würden Sie diesen Menschen begegnen? Kurschus Ich höre erst mal
offen zu und versuche nachzuvollziehen, woher die Ängste kommen.
Oftmals entspringen Vorurteile daraus, dass es keine realen
Begegnungen mit dem Fremden gibt. Gerade für Ängste gegenüber dem
Islam scheint das zu gelten. Überall, da wo es diese Begegnungen
gibt, verringern sich Befürchtungen. Das zeigt sehr anschaulich eine
in diesen Tagen veröffentlichte Studie der EKD. Viele haben Zweifel
angesichts politischer Einmischung von der Kanzel. Kurschus Es kommt
darauf an, wie wir das tun. Wir können unsere Bedenken, Anstöße oder
auch Ermutigungen einbringen. Es gibt zu Recht eine große
Empfindlichkeit, wenn wir als moralische Besserwisser und schlauere
Tagespolitiker auftreten. Mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger
zu winken, halte ich für eine Anmaßung gegenüber einer Politik, die
Entscheidungen über Krieg und Frieden ja nicht leichtfertig fällt.
Grundsätzlich bin ich allerdings der Meinung, dass es wenig hilfreich
ist, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Und ich frage mich mit
vielen anderen, wo genau der militärische Einsatz in Syrien hinführen
soll. Der EKD-Friedensbeauftragte hat den Einsatz abgelehnt. Was
sendet das für eine Botschaft an unsere Soldaten? Der IS greift auch
Christen an. Kurschus Genau diese Debatte haben wir in der
Kirchenkonferenz am Abend vor der Bundestagsabstimmung geführt. Wir
sind nicht unter allen Umständen gegen den Einsatz, sehen aber nicht,
wie der militärische Einsatz auf eine Friedenslösung zielen soll. Wo
jetzt ein militärisches Reagieren stattfindet, wünschen wir uns ein
viel stärkeres und umfassenderes friedenspolitisches Agieren. Was
müsste denn in einem Friedenskonzept stehen? Kurschus Die
internationale Gemeinschaft ist ja gerade in einem mühseligen Prozess
dabei, ein solches Konzept für Syrien zu entwickeln. Natürlich kommt
man da an Grenzen, wenn man sich für den Vorrang von Verhandlungen
und Friedensübereinkünfte ausspricht. Die Schwierigkeit ist, dass der
IS kein Staat ist. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, mit denen
man letztlich nicht verhandeln kann. Hat es etwas Weltfremdes, sich
immer nur den Frieden zu wünschen? Kurschus Für die Menschen, die vor
Krieg und Terror aus Syrien und aus dem Irak nach Deutschland
fliehen, ist der Wunsch nach Frieden sehr konkret und weltlich. Was
wir hier auf Erden schaffen können, sind klare Schritte zum Frieden
hin. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass wir mit unseren Mitteln dazu
beitragen können, dass aktuelle Kriegsherde auf längere Sicht
befriedet werden. Auch Deutschlands Waffenlieferungen tragen dazu
bei, dass anderswo Menschen Krieg gegeneinander führen. Wenn wir von
Frieden sprechen, hat das deshalb auch mit Selbstkritik und
Selbstverpflichtung zu tun. Friedensbemühungen beinhalten, dass ich
mir selbst den Spiegel vorhalte und nicht nur mit dem Finger auf
andere zeige. Ich persönlich werde die Hoffnung auf Frieden nie
aufgeben. Friede auf Erden ist uns von Gott verheißen, und diese
Verheißung werde ich nicht preisgeben. Wie wichtig ist gerade jetzt
der Dialog zwischen den Religionen? Kurschus Vor allem Information
ist wichtig. Als Kirche sind wir aufgefordert, hier aktiv zu werden.
Auch das zeigt übrigens die aktuelle EKD-Studie. Wir müssen dafür
sorgen, dass Menschen von klein auf Kenntnisse über ihre Religion
haben. Deshalb brauchen wir auch islamischen Religionsunterricht in
unserem Land. Der Islam wird zu unserer Gesellschaft gehören. Es wäre
fatal, wenn wegen der Terroranschläge Religion als solche in
Misskredit geriete. Ich halte Religion für etwas fundamental
Wichtiges im menschlichen Leben. Fundamentalismus dagegen ist eine
Spielart, die es zwar in allen Religionen gibt, die eine Religion
jedoch verzerrt und ihr nicht selten das Gegenteil dessen entlockt,
was sie will: Gewalt statt Frieden. Wie verbringen Sie Weihnachten?
Kurschus Ich besuche am Heiligen Abend Menschen, die arbeiten müssen,
in einer Flüchtlingseinrichtung und bei einer Tafel. Abends freue ich
mich auf die Christvesper und dann auf den Gottesdienst am ersten
Weihnachtsfeiertag. Anschließend werde ich mit meinem Vater und
meinen Brüdern und deren Familien bei mir zu Hause zusammensein.



Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2621


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