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Südwest Presse: LEITARTIKEL · GRÜNE

Geschrieben am 22-11-2015

Ulm (ots) - Beinfreiheit für alle

Von Gunther Hartwig In neun Bundesländern regieren die Grünen mit,
in Baden-Württemberg stellen sie sogar den Ministerpräsidenten. Das
ist für eine Partei, die sich ursprünglich ganz aufs Opponieren
versteifen wollte, eine respektable und inzwischen von Mitgliedschaft
wie Anhängern durchaus angestrebte Machtposition in Deutschland. Doch
mit dieser gefestigten Stellung im Parteiensystem der Republik
verschwinden keineswegs die Probleme, die aus der Spannung zwischen
dem Selbstverständnis der Grünen und ihrer Rolle als bedeutender
Einflussfaktor in der Politik von Bund und Ländern resultieren. Es
hat Zeiten in ihrer Parteigeschichte gegeben, in denen Flügelkämpfe
den Grünen härtere Zerreißproben beschert haben. Inzwischen laufen
die internen Konflikte ebenso zivilisiert wie routiniert ab, was
freilich nicht bedeutet, dass sie verschwunden sind. Doch gemessen an
den existenziellen Kontroversen, die sich Realpolitiker und
Fundamentalisten früher geliefert haben, erinnern die Parteitage der
Grünen heute doch sehr an die eher harmoniebeflissenen
Veranstaltungen der etablierten Wettbewerber - sieht man einmal von
der offenen Konfrontation der Parteischwestern CSU und CDU am
vergangenen Freitag in München ab. Die erklärte Formel der Grünen in
einer aktuell höchst brisanten Gemengelage lautet: Geschlossenheit in
Vielfalt. Die Partei versucht damit zu verdecken, dass sie in der
Flüchtlingsfrage und beim Kampf gegen den Terrorismus mit sich selbst
um Antworten ringt, nicht anders als Union und SPD auch. Die Grünen
sind dabei genauso weit von einfachen und kohärenten Lösungen
entfernt wie die Konkurrenz aus der schwarz-roten Koalition. Davon
zeugt nicht zuletzt die Bildung eines Koordinierungskreises innerhalb
der Partei, der sich als "unabhängige Strömung" bewusst von Realos
und Linken abgrenzt. Gerade im Angesicht komplexer Herausforderungen
fällt den Grünen der Spagat zwischen Gründungsidealen und
Herrschaftspragmatismus schwer. Die großen Alternativen von Krieg und
Frieden, von Freiheit und Sicherheit, von Umweltzerstörung und
Nachhaltigkeit sind in dieser Partei schon immer mit Leidenschaft und
zuweilen auch mit dem Mut zu moralischem Rigorismus diskutiert
worden. Allerdings muss man feststellen, dass es den Grünen
unterdessen an beeindruckenden Köpfen und streitbaren Geistern nicht
weniger mangelt als den Volksparteien - vielleicht ist das ja ein
unvermeidlicher Tribut an gesellschaftliche Anschlussfähigkeit und
den Alltag einer Funktionspartei, die sich als Regierungspartner
sowohl der SPD wie der CDU empfiehlt. So ist es im Vorfeld der drei
Landtagswahlen im nächsten Frühjahr und im Blick auf die
Bundestagswahl 2017 nicht verwunderlich, dass sich die Grünen um eine
möglichst uneingeschränkte Beinfreiheit für alle bemühen. Schließlich
will die Partei Winfried Kretschmann als Regierungschef in Stuttgart
behalten und Juniorpartner der SPD in Mainz bleiben. Deshalb war es
einzelnen Delegierten in Halle zwar erlaubt, den von Kretschmann und
anderen Ländervertretern der Grünen im Bundesrat mitverantworteten
Asylkonsens als faulen und bitteren Kompromiss zu verurteilen. Aber
niemand in der Partei kann Kretschmann daran hindern, in der
Flüchtlingskrise auch künftig seinen Weg zwischen Humanität und
Pragmatismus zu finden, zwischen Realitätssinn und Wertekompass. Was
das mittelfristig für das Profil und die Erfolgsaussichten der
Bundespartei bedeutet, bleibt indes offen.



Pressekontakt:
Südwest Presse
Ulrike Sosalla
Telefon: 0731/156218


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