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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu EU/Terror in Paris

Geschrieben am 17-11-2015

Regensburg (ots) - von Daniela Weingärtner, MZ

Nach den Anschlägen von Paris versichert sich Frankreich der
Unterstützung seiner Bündnispartner. Es wählt dafür ausgerechnet den
Weg über Artikel 42,7 der EU-Verträge, der im Fall eines Angriffs auf
ein Mitgliedsland der Union alle anderen zur Hilfe verpflichtet.
Genau diese vertraglich festgeschriebene Beistandsverpflichtung hatte
die französische Linke vor 15 Jahren gegen die geplante EU-Verfassung
in Stellung gebracht. Man fürchtete eine Militarisierung Europas und
die Verwicklung in die Kriegshändel der Nachbarn. Vergeblich wiesen
Befürworter der EU-Verfassung darauf hin, dass eine ähnliche
Beistandsklausel schon seit den 90er Jahren besteht und nationale
Parlamente wie der Bundestag einem möglichen Militäreinsatz zuvor
zustimmen müssten. Es gehört zur bitteren Ironie dieser Tage, dass
nun ausgerechnet eine linke französische Regierung den damals stark
kritisierten Passus in Anspruch nimmt, sich im Krieg mit dem
Islamischen Staat erklärt und die anderen EU-Staaten in die
Beistandspflicht nimmt. Verkehrte Welt: Nun treibt die Nachbarn die
Sorge um, in Frankreichs Krieg gegen den IS verwickelt zu werden. Es
ist das erste Mal, dass die EU als Verteidigungsgemeinschaft auf die
Probe gestellt und der Bündnisfall in dieser Form ausgerufen wird.
Doch Artikel 42,7 erwähnt ausdrücklich, dass der besondere Charakter
der jeweiligen nationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dabei
berücksichtigt werden muss. Wenn sich also Deutschland weder an
Luftschlägen über Syrien noch an möglichen Einsätzen am Boden
beteiligen will, dann muss Frankreich das respektieren und sich mit
zusätzlicher Unterstützung in Mali - wie sie die deutsche
Verteidigungsministerin nun angeboten hat - zufrieden geben.
Frankreichs Präsident Hollande hätte auch Artikel 222 der EU-Verträge
bemühen können, der alle militärischen Mittel der Union im Fall einer
Naturkatastrophe oder eines Terroranschlags mobilisiert. Davon haben
ihn womöglich zwei Erwägungen abgehalten. Zum einen würde in diesem
Fall die EU-Kommission die Regie übernehmen. In einer so dramatischen
Lage will sich "La Grande Nation" nicht den Bürokraten in Brüssel
unterordnen und keine nationale Souveränität aus der Hand geben.
Außerdem hat Präsident Hollande mehrfach betont, dass es sich nicht
um einen Terrorakt sondern um eine Kriegserklärung handele. Und für
kriegerische Auseinandersetzungen ist der Artikel 222 nicht
zuständig. Bleibt die Frage, warum sich Frankreich nicht an die Nato
gewandt hat. Auch dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist gerade die
französische Linke USA-skeptisch bis antiamerikanisch eingestellt.
Die Nato ist die transatlantische Achse, die Amerikaner geben im
Bündnis den Ton an. Zum Zweiten wurde Russland, nachdem Putin die
Krim annektiert hatte, aus allen Nato-Zirkeln verbannt. Angesichts
der wachsenden Bedrohung durch den Islamischen Staat wird aber
Russlands Hilfe in Syrien dringend gebraucht. Wenn Frankreich nun die
europäische Karte spielt und die Nato außen vor lässt, baut man Putin
damit eine goldene Brücke. Wie gut das funktioniert, zeigte sich
schon gestern. Der russische Präsident vereinbarte mit seinem
französischen Kollegen eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste und
der Militärs beim Kampf gegen den IS. Angesichts dieser Entwicklungen
scheint die Wertegemeinschaft Europa, wo demokratische Institutionen
über das Wohl von 450 Millionen Europäern entscheiden, nur noch eine
nostalgische Reminiszenz zu sein. Zwar rücken Europas Regierungen
angesichts des Terrors enger zusammen. Doch sie setzen dabei auf
längst überwunden geglaubte Mittel. Der archaische Terror des IS
bombt Europa ins 20. Jahrhundert zurück.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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