(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Die EU geht volles Risiko / Europa hat in der Ukraine Erwartungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind. Das könnte sich böse rächen. Leitartikel von Daniela Weingärtner

Geschrieben am 16-09-2014

Regensburg (ots) - Für die Abgeordneten des Europaparlaments war
die feierliche Zeremonie gestern im Straßburger Plenarsaal eine
Premiere. Zum ersten Mal wurde ein Nachbarschaftsabkommen zeitgleich
unterzeichnet. Per Videoschaltung spendeten sich die Parlamentarier
in Kiew und Straßburg gegenseitig Beifall. Doch die symbolträchtigen
Bilder konnten nicht vergessen machen, dass es eine leere Hülle war,
über die abgestimmt wurde. Am Freitag hatte die EU den
wirtschaftlichen Kern des Vertrages nach Gesprächen mit russischen
und ukrainischen Vertretern für 15 Monate ausgesetzt. Ist dieses
Zugeständnis das richtige Signal? Erteilt es nicht vielmehr Putins
völkerrechtswidrigen Handlungen den europäischen Segen? Immerhin
erhält die EU durch diesen Schachzug ein zusätzliches Druckmittel in
die Hand. Handelskommissar De Gucht schickte gestern eine deutliche
Warnung nach Moskau: Sollte Russland seinen Handelskrieg gegenüber
der Ukraine fortsetzen, werde auch der wirtschaftliche Teil des
Abkommens sofort in Kraft gesetzt. Festzuhalten ist, dass der Ukraine
durch die Aufschiebung keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen.
Die zunächst für eine Übergangszeit beschlossenen
Einfuhrerleichterungen für ukrainische Waren bleiben in Kraft, die
Zahlen belegen deren Wirksamkeit eindrucksvoll: Um 15 Prozent sind
die Importe in die EU seit Juni gestiegen. Die ökonomischen Nachteile
trägt fast ausschließlich die europäische Seite, die für weitere 15
Monate keinen zollfreien Zugang zum ukrainischen Markt erhält. Diese
Frist soll genutzt werden, um russische Bedenken zu prüfen und
möglichst aus der Welt zu schaffen. In Moskau sorgt man sich, dass
billige europäische Waren über die Ukraine nach Russland eingeführt
werden könnten und den einheimischen Produzenten das Geschäft
ruinieren. Die russischen Vorbehalte sind spätestens seit November
bekannt, als der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch die
Unterschrift unter das Abkommen in letzter Sekunde verweigerte. Schon
damals hatten sich Beobachter gefragt, wieso die Europäer so
unbedarft in diese Krise stolperten. War denn der negative Effekt des
Assoziierungsabkommens auf die russische Wirtschaft nicht bedacht
worden, bevor man den politischen Prozess in Gang setzte? Hatte
niemand die wirtschaftlichen Folgen durchgerechnet und das politische
Erdbeben vorhergesehen? Diese Fragen stellen sich zehn Monate später
unverändert. Das stümperhafte außenpolitische Agieren bescherte der
EU zwei Hypotheken, an denen sie noch lange knabbern wird: Putin
annektierte die Krim und mischte sich in der Ostukraine ein, zwischen
Ost und West begann eine neue Eiszeit. Viele junge Ukrainer brachten
hohe Opfer, um ihr Land gegen den russischen Hegemonieanspruch zu
verteidigen und in eine demokratische Zukunft unter europäischem Dach
zu führen. Daraus leiten sie nun den moralischen Anspruch ab, rasch
Mitglied der EU zu werden. Doch die Bereitschaft der Europäer, die
Ukraine in absehbarer Zeit als neunundzwanzigstes Mitgliedsland zu
akzeptieren, geht gegen null. Es rächt sich nun nicht nur die
stümperhafte Politik der europäischen Regierungen und der
EU-Kommission, die das Abkommen mit Kiew so gedankenlos vorantrieben.
Es rächt sich auch die revolutionsbegeisterte Rhetorik vieler
Politiker aus allen politischen Lagern. Sie verpassten die Chance,
den Menschen in der Ukraine reinen Wein einzuschenken. Enttäuschte
Liebe könnte sich rasch in ihr Gegenteil verkehren. Das Risiko
besteht, dass sich eine ganze Generation junger Ukrainer von Europa
und seinen Werten abwendet.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

547273

weitere Artikel:
  • WAZ: Das riecht nach Abzocke. Kommentar von Matthias Korfmann Essen (ots) - Auf den ersten Blick ist das ja ein perfektes Geschäft: Arme Städte bekommen ohne große Investition sofort viel höhere Einnahmen aus der Geschwindigkeitskontrolle. Möglich machen das Spezialfirmen, die jeden "Blitzer" in eine Art Gelddruckmaschine verwandeln, die rund um die Uhr zuverlässig funktioniert. Auf Wunsch sucht die Firma sogar den Standort aus. All jene, die immer schon den Eindruck hatten, dass es bei der Tempoüberwachung nicht nur um Verkehrssicherheit, sondern auch ums "Melken" von Autofahrern geht, werden mehr...

  • Allg. Zeitung Mainz: Ein Glücksfall / Kommentar zu Gauck Mainz (ots) - Wenn ein 74-Jähriger vor einer Schulklasse spricht und dabei nationale Aufmerksamkeit findet, dann heißt das schon was, heutzutage. So erging es Joachim Gauck, als er vor Schülern in Berlin dazu aufrief, "rechtsradikalen Spinnern" entgegenzutreten. Er kann auch flapsig und ist auch dann authentisch. Natürlich ist das nicht seine bevorzugte Tonalität. Zu Beginn seiner Amtszeit wurde er ein bisschen belächelt, weil er immerzu über Freiheit sprechen wollte. Mittlerweile begegnet die weit überwiegende Mehrheit der Nation mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Falsche Zielscheibe / Kommentar zum bayerischen Asylgipfel Regensburg (ots) - So schnell geht's in der Politik: Die Opposition wollte bei der Sondersitzung eigentlich das geballtes Waffenarsenal auf Ex-Staatssekretärin Christine Haderthauer richten. Doch da die CSU-Frau lieber fern blieb, richtet man das Fadenkreuz auf Sozialministerin Emilia Müller. Sie habe Bayern viel zu spät und nicht ausreichend auf Flüchtlingsströme vorbereitet. Doch der Vorwurf greift zu kurz. Wer hätte wissen können, dass die Zahl der Asylbewerber in diesem Jahr in diesem Ausmaß steigen und statt 22 000 vielleicht mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Es ist immer 20.15 Uhr / Kommentar zum US-Videodienst Netfix Regensburg (ots) - Netflix, das Unternehmen, das schon den amerikanischen Fernsehmarkt revolutionierte, expandiert ins Land des Sonntagabend-Krimis. Ob es eine Eroberung wird, bleibt abzuwarten. Denn die Erwartungen sind nach dem monatelangen Hype hoch - vielleicht zu hoch. Deutschland ist mit seinen vielen frei verfügbaren Sendern, die sich durch Werbung finanzieren und einen Großteil ihrer Sendungen in Mediatheken frei zugänglich machen, ein grundsätzlich anderer Markt als die USA. Zudem tummeln sich mit Amazon, Maxdome, Sky oder mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): medien-info: korrektur funktion kampeter Kampeter (CDU) wirft Grünen Verrat an den Idealen der Bürgerrechtsbewegung vor Bielefeld (ots) - Steffen Kampeter (CDU), stellvertretender Landesvorsitzender der NRW -CDU, warnt in einem Gespräch mit der in Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen (Mittwochsausgabe) die Grünen in Thüringen davor, sich an einer Landesregierung unter Führung der Linkspartei zu beteiligen."Wenn die Grünen der SED-Nachfolgeorganisation an die Macht verhelfen würden, ist das ein Verrat an den Idealen der Bürgerrechtsbewegung aus denen "Bündnis 90 /Die Grünen" in der DDR einst hervorgegangen sind", so der CDU-Politiker. Er setze mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht