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Landeszeitung Lüneburg: Kultur der Gier aufbrechen / Ethiker Dr. Martin Booms plädiert für Verantwortungseliten statt Leistungseliten

Geschrieben am 13-03-2014

Lüneburg (ots) - Die Haftstrafe für Uli Hoeneß wegen
Steuerhinterziehung ist nach Ansicht der schleswig-holsteinischen
Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) ein kraftvolles Signal für
die Steuermoral. Aber ist das Delikt des Bayern-Präsidenten ein
Zeichen für Dekadenz der Eliten? Oder den Verfall der Werte? Ethiker
Dr. Martin Booms glaubt das nicht: "An den Eliten wird nur eine
allgemein laxe Moral sichtbar. Das darüber debattiert wird, ist ein
gutes Zeichen."

Zumwinkel, Schwarzer, Hoeneß - erleben wir, wie die Eliten den
Gemeinsinn über Bord kippen?

Dr. Martin Booms: Diese Analyse wäre mir zu kurz gegriffen.
Natürlich bestimmen derzeit prominente Einzelfälle die Debatte. Aber
man sollte jetzt nicht den Fehler machen, in eine plumpe
Eliten-Schelte zu verfallen. Das wäre zu billig, denn in Wertefragen
stinkt der Fisch in der Regel einmal nicht vom Kopf. In den
sogenannten Eliten kommt zumeist nur sichtbar zum Vorschein, was als
Wertehaltung tief in der Gesellschaft insgesamt verankert ist - so
auch bei der Steuermoral. Eine breitere Wertedebatte ist daher
notwendig. Nur mit dem Zeigefinder auf andere - nämlich "die da oben"
- zu zeigen, ist jedenfalls arg bequem: Denn wenn es doch immer die
anderen sind, brauche ich mir über mein eigenes Verhalten ja keine
Gedanken zu machen.

Der Boulevard liebt es, den dreistesten Hartz-IV-Abzocker
anzuprangern. Ist es angesichts der unterschiedlichen Dimensionen
nicht doch so, dass die größten Sozialschmarotzer eher in Villen
hinter hohen Mauern leben?

Dr. Booms: Jedenfalls ist Sozialbetrug keineswegs einseitig in der
sogenannten "Unterschicht" beheimatet - und umgekehrt gibt es kein
Privileg der sogenannten "Oberschicht" auf gesellschaftliche
Anerkennung. Vielmehr sollten wir überhaupt einmal dieses
Oben-Unten-Schema überdenken. Nach welchen Kategorien bemessen wir
denn, wer oben oder unten steht? Was macht denn eine Elite zur Elite?
Hier dürfen nicht nur äußere Leistung oder Erfolg zählen, sondern
Verantwortung. Zur Verantwortungselite zählt dann, wer integer und
verantwortungsvoll handelt: egal, ob er Hartz IV bezieht oder
Millionenbeträge bewegt. Umgekehrt kann zur "Unterschicht" im
moralischen Sinne nach einem solchen Schema auch gehören, wer aus
bisheriger Sicht zur "Spitze" der Gesellschaft zählt.

Handelt der genauso verwerflich, der bei seiner Kilometerpauschale
drei Kilometer dazumogelt?

Dr. Booms: Entscheidend für den "großen" wie den "kleinen"
Steuerbetrug ist doch das Motiv: In beiden Fällen geht es darum, sich
persönlich zu bereichern zulasten der Allgemeinheit. Aus ethischer
Sicht besteht da kein Unterschied. Nur der Umfang ist beim viel
zitierten "kleinen Mann" geringer, weil er einfach weniger
Möglichkeiten hat. In der Summe verursachen allerdings die
vermeintlich kleinen Steuerhinterziehungen ebenfalls einen enormen
Schaden.

Also irrte Peer Steinbrück, als er sagte, die Eliten könnten ein
System stürzen?

Dr. Booms: Tatsächlich ist mir diese Diagnose zu einseitig. Denn
erstens ist es ja nicht so, dass wir in Deutschland durchgängig
korrumpierte Eliten haben, auch wenn diese Auffassung sehr populär
ist - die aktuellen Schlagzeilen betreffen konkrete Einzelfälle,
nicht die gesamte Elite. Und zweitens wurzelt das Problem nicht in
der Elite, sondern dort bekommen viel tiefer verankerte
gesellschaftliche Wertehaltungen lediglich im Wortsinne ein Gesicht.
Wenn Gier, Profitmaximierung und mangelnde Verantwortung überhaupt
das Problem sind: Wo kommt das denn her? Wir haben eine Gesellschaft,
in der man mit einer "Geiz-ist-geil"-Kampagne erfolgreich werben
kann; im Sportbereich hat Jürgen Klopp die Gier zu einer positiven
Tugend erhoben - das zeigt, dass die Gier allgemein anerkannt ist.
Nach welchen Kriterien legen denn die ganz normalen Bürger ihre
kleinen Ersparnisse an? Sie orientieren sich in der Regel danach, wo
die maximale Rendite winkt - die Prokon-Pleite ist hier ein
aufschlussreiches Beispiel. Das ist aber nichts anderes als blanke
Profitmaximierung von unten. Wo soll auch ein anderes Denken
herkommen? Wenn man sich die Ausrichtung des Bildungssystems in
Schule und Hochschule anschaut, geht es immer mehr um
nutzenorientierte Qualifizierung, Leistungssteigerung, Verdichtung
etc. Da darf man sich doch nicht wundern, dass am Ende an der Spitze
Menschen stehen, die genau eine solche einseitige Leistungskultur
vertreten.

Also müssen wir die offenbar gültige Vorfahrt für
Nutzenmaximierung aus der Bildung herauslösen?

Dr. Booms: Es gilt, wieder mehr Wertebewusstsein und ethische
Orientierungskompetenz zu vermitteln. Diejenigen, die sich
verantwortlich verhalten - nicht nur im Großen, sondern auch im
alltäglichen sozialen Miteinander - verdienen gesellschaftliche
Anerkennung. In den vergangenen Jahrzehnten ist das Pendel zu sehr in
Richtung der Leistungseliten ausgeschlagen. Das muss man nicht
komplett zurückdrehen, aber ergänzen und relativieren.

Hat der Leistungssport die Vorbildfunktion, die Politiker nun
durch Hoeneß beschädigt sehen?

Dr. Booms: Der Leistungssport folgt einem Wertesystem, nach dem
der Beste und Leistungsfähigste gewinnen soll, ohne Mitleid und
Rücksicht für den Absteiger. Für den Bereich des Sports ist dieser
Wertemaßstab in Ordnung, darin besteht sogar sein Reiz. Problematisch
wird es aber, wenn er auf andere gesellschaftliche Bereiche
übertragen wird. Menschliches Miteinander funktioniert nicht nach dem
Prinzip des Leistungssports.

Ist der Staat mitverantwortlich für die sinkende Steuermoral, weil
er den Fiskus nicht aufrüstet?

Dr. Booms: Wichtig ist sicherlich, dass die Leute das Gefühl
haben, dass der Staat bei großen Einkommen und Unternehmen genauso
genau hinschaut wie bei den normalen Bürgern. Auch die
strafbefreiende Selbstanzeige muss auf den Prüfstand gestellt werden,
obwohl sie - vom Ergebnis her - sehr ertragreich ist. Moralisch halte
ich sie für fragwürdig, weil sie keine Steuerehrlichkeit fördert,
also keine Gesinnungsänderung bewirkt, sondern lediglich taktisches
Verhalten befördert. Viele Steuerhinterzieher, wie wohl auch Hoeneß,
warten ab, ob das Risiko, entdeckt zu werden, irgendwann höher wird
als der Profit - und ziehen dann den Joker der Selbstanzeige.

Hierzulande wird Griechenland gerne belächelt, weil es Athen nicht
gelingt, die Bürger zum Gemeinwohl beitragen zu lassen. Wie weit ist
es mit unserer gesellschaftlichen Solidarität?

Dr. Booms: Ich bin für Deutschland gar nicht so pessimistisch. Es
gibt ja gelebte Solidarität: So steigt etwa das gemeinnützige
Engagement seit Jahren stetig. Entscheidend ist, sich klar zu machen,
dass eine gelebte Form von Gemeinsinn essentiell ist für jede Form
von Gesellschaft. Wenn niemand mehr bereit ist, seine Eigeninteressen
bis zu einem gewissen Grad zugunsten der Allgemeinheit
zurückzustecken, geht eine Gesellschaft zugrunde. In Deutschland
werden aber intensive moralische Debatten über diese Fragen geführt
und offen ausgetragen - das ist ein gutes Zeichen.

Wenn wir alle kleine Sünder sind - entlastet dies den großen
Sünder Hoeneß mit seinem 140-Millionen-Spielfonds?

Dr. Booms: Zum einen: Darauf hinzuweisen, dass moralische Fragen
"unten" wurzeln, heißt ja nicht, dass nun alle Menschen Dreck am
Stecken haben. Das wäre schrecklich, dann wäre ohnehin alles
verloren. Es bedeutet nur, sich vor Doppelmoral zu hüten. Zum
anderen: Es entlastet Hoeneß definitiv nicht. Er hat in einem
riesigen Ausmaß Steuern hinterzogen und damit das Gemeinwohl
geschädigt. Und diese Tat ist ihm auch voll zuzurechnen: Wem, wenn
nicht einem gestandenen Manager und erfolgreichen Unternehmer muss
man die volle Handlungsherrschaft über die eigenen finanziellen
Aktivitäten zusprechen?

Hoeneß sieht sich selbst als Wohltäter, weil er dem alkoholkranken
Gerd Müller oder dem Brandstifter Breno beistand. Hat er Bonuspunkte
verdient?

Dr. Booms: Es ist ihm sicherlich hoch anzurechnen, was er für
andere getan hat. Aber man kann diese Dinge nicht miteinander
verrechnen. Die moralische Integrität betrifft immer die Person im
Ganzen. Man kann sich nicht moralisch aufsplitten, indem man sagt,
als Person des gesellschaftlichen Lebens tue ich Gutes und helfe
Schwächeren, und dafür lasse ich als Privatperson bei der Steuer dann
fünfe gerade sein.

Zeugt die Hoeneß-Debatte eher von einem Werteverfall oder im
Gegenteil von wachsenden moralischen Ansprüchen?

Dr. Booms: Ich glaube, die Sensibilität für moralische Fragen
wächst in der Gesellschaft. Das zeigt sich auch an den aktuellen
Debatten, die ich begrüße. Allerdings nur, solange es dabei nicht zu
einer persönlichen Hexenjagd kommt mit dem einzigen Ziel, jemanden an
den Pranger zu stellen. Das hat niemand verdient, auch keine Frau
Schwarzer oder ein Herr Hoeneß. Sehr wohl muss man aber diskutieren,
ob die betreffenden Personen noch die Rolle im öffentlichen Leben
weiter wahrnehmen dürfen, die sie bisher innehatten.

Darf Hoeneß seine Rolle noch weiterführen?

Dr. Booms: Eindeutig nein. Denn zum einen fehlt es ihm offenkundig
an moralischen Maßstäben. Aber auch als Finanzmensch hat er sich als
erschreckend orientierungslos erwiesen: Hoeneß scheint sowohl
moralisch als auch finanziell die Kontrolle über sich verloren zu
haben. Er taugt damit weder im einen noch im anderen Bereich länger
als Vorbild.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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