(Registrieren)

Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Freispruch für den Ex-Präsidenten Kluges Gericht THOMAS SEIM

Geschrieben am 27-02-2014

Bielefeld (ots) - Christian Wulff ist vor nunmehr zwei Jahren zu
Recht zurückgetreten vom Amt des Bundespräsidenten. Er hatte die
Balance verloren zwischen dem, was legal, und dem, was legitim ist.
Er hatte sich entfremdet von jenen, für die und in deren Interesse er
vorgab zu handeln. Er hatte sich verstrickt in eine Affäre, die dem
Grunde nach keine war, aber durch seinen Dilettantismus eine wurde.
Man mag zu seinen Gunsten annehmen, dass man im Verlauf eines solchen
Vorgangs automatisch einen gewissen Tunnelblick entwickelt und sich
von der Realität und den durch sie bestimmten notwendigen Reaktionen
entfernt. Aber selbst dann bleibt als Urteil über den
Bundespräsidenten: Er war nicht in der Lage, sich und sein ihn
umgebendes Beraterfeld so zu organisieren, dass er persönlichen
Vorteil und die Stärke des Egos nicht über Ehre und Verpflichtungen
des Amtes stellte. Der Rücktritt war nicht nur richtig, er war
zwingend. Gestern ist Christian Wulff vom Vorwurf der Vorteilsannahme
freigesprochen worden. Das ist ein gutes Urteil. Bei den Ermittlungen
und der Verhandlung gegen Wulff ging es nicht um knapp 720 Euro, die
ein Freund angeblich für ihn bezahlte und mit denen er eine
wohlwollende Handlung des Politikers auslösen oder begleichen wollte.
Auf die Höhe der Summe oder des Schadens kommt es natürlich nicht an,
wenn es um Unrecht geht. Da muss man nur die Frauen und Männer
fragen, die sich dafür verantworten mussten, dass sie ein Stück Wurst
aus der Fleischtheke ihres Metzgers selbst gegessen haben oder dass
sie im Müll ihres Arbeitgebers nach Nahrung suchten oder dass sie
einen Pfandbon gegen das eigene Unternehmen einlösten. Auch knapp 720
Euro hätten da als Plattform für eine Verurteilung reichen können. Es
geht und ging auch nicht darum, ob Wulff durch den Verlust von Amt,
Ansehen und privatem Glück schon genug gestraft sei, wie oft zu hören
und zu lesen war. Das alles hätte eine Verurteilung nicht
relativieren dürfen. Wohl aber ging es um die Vorverurteilung eines
Menschen. Es ging um die Fehler der ermittelnden Beamten und
Behörden. Es ging auch um die Angemessenheit von Ermittlungsaufwand
und -ertrag. Vor allem ging es darum, dass die Staatsanwaltschaft
offenbar voreingenommen war. Mag sein, dass sie sich vom Furor der
öffentlichen Meinung, für den auch wir Medien mitverantwortlich sind,
hat hinreißen lassen, aber als sie ihre Ermittlungen mit 24
Sonderermittlern aufnahm, da war sie in der Pflicht, auch Hinweise
für die Unschuld von Christian Wulff zu suchen. Anders als in den
angelsächsischen Staaten sollen die Staatsanwälte nicht Täter zur
Strecke bringen, sondern die Wahrheit ans Tageslicht. Wenn die
Wahrheit dazu taugt, dann sitzen auch die Täter anschließend zu Recht
auf der Anklagebank. Wenn sie dazu nicht taugt, dann kann es keine
Anklage geben. In Hannover haben die Staatsanwälte in besonders
erschreckender Art und Weise ihre Pflicht vergessen. Auch Medien
haben nicht immer und nicht in jedem Detail alle gebotene Sorgfalt an
den Tag gelegt. Auch die Medien sind in besonderer Verantwortung, wie
aktuell der Fall des ehemaligen SPD-Abgeordneten Edathy zeigt. Aber
Medien sind anders als Staatsanwälte nicht Teil eines
rechtsstaatlichen Verfahrens, sie bilden es nur ab. Am Ende dieses
Verfahrens, das hoffentlich abgeschlossen bleibt, ist der Freispruch
für Christian Wulff zwingend. So wie der Rücktritt es vor zwei Jahren
war. Gut, dass es einen Richter gab, der diesen Unterschied erkannt
und mit seinem Urteil durchgesetzt hat.



Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

514448

weitere Artikel:
  • Westfalenpost: Westfalenpost zur Haltung der EU vor und nach dem Umsturz in der Ukraine Hagen (ots) - In Sachen Ukraine gibt die viel gescholtene Außenpolitik der EU kein ganz schlechtes Bild ab. Das hat auch damit zu tun, dass die anderen Mitspieler ihrerseits nicht gerade glänzen. Die US-Diplomatie hat den Vorschlag, die UN sollten vermitteln, sowie ein viel beachtetes Kraftwort ("Fuck the EU!") beigesteuert. Das war's .Und Russlands vermeintlicher Alleskönner Putin hat weder seinen Schützling Janukowitsch halten noch sein Herzensprojekt Sotschi zur politik- und protestfreien Idylle machen können. Da steht die EU mehr...

  • Westfalenpost: Westfalenpost zum Freispruch für Christian Wulff Hagen (ots) - Erleichtert! Dieses Wort benutzte Christian Wulff, um zu beschreiben, wie er sich fühlt. 741 Tage nachdem die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption eröffnet hat, kann Wulff das juristische Kapitel - zumindest vorläufig - zu den Akten legen. Wulff fühlt keinen Triumph. Und keine Genugtuung. Dafür nämlich sind während der gesamten Affäre zu viele Fehler gemacht worden. Am Ende, so scheint es, gibt es keinen Gewinner - aber viele Verlierer.

    Verlierer Nummer eins ist die Staatsanwaltschaft Hannover. mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zum WULFF-FREISPRUCH Ulm (ots) - Das Urteil war glasklar: Richter Frank Rosenow unterdrückte gestern auch den leisesten Zweifel am Freispruch Christian Wulffs. Der Ex-Bundespräsident sei "uneingeschränkt unschuldig", betonte Rosenow. Es ist endlich Recht gesprochen - ist damit auch der Schlussstrich unter die Affäre Wulff gezogen? Juristisch in jedem Fall und die Hannoveraner Staatsanwaltschaft sollte nicht den Fehler machen, das Verfahren durch eine Revision in die Länge zu ziehen. Die Frage, ob sich Wulff nun für den Gegenwert von 720 Euro zu Gefälligkeiten mehr...

  • Rheinische Post: Kommentar / Putin und die Krim = Von Godehard Uhlemann Düsseldorf (ots) - Greift Russland in der Ukraine militärisch ein, ist Europa herausgefordert. Die Ukraine ist Uno-Mitglied. Sie beteiligt sich zum Beispiel an Einsätzen in Afghanistan und im Kosovo. Sie ist international geschätzt und anerkannt. Das Land steckt in der Krise. Das Beschwören angeblich russischer Interessen rechtfertigt aber nie und nimmer die Abtrennung der mehrheitlich kremlaffinen Krim. Die Nato- und EU-Länder Polen, Ungarn Rumänien und die Slowakei sind zu Recht beunruhigt, weil Präsident Putin russische Truppen mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zu Wulff Stuttgart (ots) - Ein Freispruch erster Klasse also - das Landgericht Hannover ist sowohl Wulffs Behauptungen wie seinen Erinnerungslücken in allen Punkten gefolgt. Für das ehemalige Staatsoberhaupt ist das eine späte Genugtuung. Fazit: Wulff ist am Ende einer - nicht zuletzt medial angeheizten - Kampagne nicht über strafbare Verfehlungen gestürzt, sondern über die eigenen Füße. Manches Entlastende in diesem Prozess mag skurril geklungen haben, vieles Belastende hat arg konstruiert gewirkt. Nicht alle Verteidigungslinien waren jeden mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht