(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Martin Schulz in Israel

Geschrieben am 13-02-2014

Regensburg (ots) - von Stefan Stark, MZ

Es gibt keinen anderen Ort für einen deutschen Politiker, der mit
so vielen Fallstricken versehen ist wie das israelische Parlament.
Eine Rede vor der Knesset - noch dazu in der Muttersprache - bedeutet
einerseits natürlich eine große Ehre. Andererseits stellt sie eine
höchst diffizile Angelegenheit dar - egal ob nun die Bundeskanzlerin
spricht oder der Präsident des Europaparlaments. Es versteht sich aus
der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands heraus von selbst,
dass der Redner einen umfassenden Bogen spannen muss. Er muss die
historische Urschuld des Holocausts ansprechen und gleichzeitig das
Existenzrecht Israels betonen. Nun also hat Martin Schulz, der
Präsident des EU-Parlaments, einen Eklat ausgelöst - obwohl er das
oben genannte Pflichtenheft brav abgearbeitet hat und der Tenor
seiner Rede absolut israelfreundlich war. Er versicherte die
Solidarität gegen Bedrohungen von außen, er unterstützte das Recht
Israels, seine Menschen zu schützen und er erklärte, dass Israelis
und Palästinenser nur selbst Frieden schließen können. Doch einen
entscheidenden Fehler muss sich Schulz vorwerfen lassen: Als er die
hochbrisante Wasserfrage ansprach, hantierte er mit Zahlen, die er
ungeprüft übernahm. Das ist ein schweres diplomatisches Missgeschick,
mit dem sich Schulz angreifbar macht und das ultranationale Parteien
natürlich dankbar nutzen, um Tumulte zu provozieren. So machte sich
Schulz selbst zum Spielball der innenpolitischen Konflikte in Israel.
In dem Krawall geht völlig unter, dass der EU-Politiker eine durchaus
berechtigte Frage gestellt hat. Dass die Israelis vom knappen Wasser
im Westjordanland viel größere Mengen abschöpfen als die
Palästinenser, räumt etwa der frühere Botschafter Avi Primor ganz
offen ein. Dabei ist die Wasserverteilung ein zentraler Konflikt, der
bald die gesamte Region vor eine Zerreißprobe stellen könnte. Die
dünnhäutigen Reaktionen in der Knesset auf die Rede von Schulz rühren
aber nicht daher, weil ein Deutscher in der Knesset einen Fauxpas
begangen hat. Schulz wurde von den Politikern, die aus Protest den
Saal verließen, sehr wohl als ranghoher Vertreter der EU
wahrgenommen. Der Eklat zeigt vor allem, dass sich bei vielen
Politikern in Israel zunehmend die Angst vor einer Isolation
breitmacht. Man fühlt sich von den Europäern, die auf den Stopp des
illegalen Siedlungsbaus und eine Zwei-Staaten-Lösung drängen, im
Stich gelassen - und fürchtet gleichzeitig wirtschaftlichen Druck.
Natürlich kann ein EU-Parlamentspräsident nicht nur die Dinge sagen,
die allen gefallen. Doch wer sich von der EU gegängelt, bevormundet
und unter Druck gesetzt fühlt - wie Teile der israelischen Politik -
reagiert besonders empfindlich. Dann wird eine Kritik, die in einem
mehrseitigen Redemanuskript zwei Zeilen ausmacht, schnell zu einer
unerbetenen oder unverschämten Einmischung von außen skandalisiert.
Es war sicher nicht die Absicht von Schulz, mit seinem
Wasservergleich einen Eklat zu provozieren. Aber es ist ihm gelungen,
bei denen, die ihn falsch verstehen wollten, falsch verstanden zu
werden. Schulz, der EU-Kommissionspräsident werden will, wird nun vor
Augen geführt, wie groß die Fallhöhe bei einem Auftritt in der
Knesset sein kann. Dieses Forum ist eben nicht - so wie er erklärte -
mit dem EU-Parlament vergleichbar, wo ab und an durchaus raue Sitten
herrschen. Vielmehr ist es eine Art Bewährungstest für die hohe Kunst
der Diplomatie. Für den anstehenden Europawahlkampf mögen die
Schlagzeilen aus Israel dem SPD-Spitzenkandidaten Schulz sogar
nützlich sein. Ein Empfehlungsschreiben für den Kommissionsvorsitz
sind sie allerdings nicht. Seine politischen Gegner in Europa werden
die Knesset-Rede instrumentalisieren, um ihn für diesen Posten zu
diskreditieren.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

511891

weitere Artikel:
  • Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Fall Edathy Regensburg (ots) - von Reinhard Zweigler, MZ Sebastian Edathy galt lange Zeit als ein Hoffnungsträger der SPD. Selbst ein Ministeramt trauten viele dem Innenexperten aus Niedersachsen zu. Dass er bei der Benennung der Regierungsposten zuletzt nicht berücksichtigt und stattdessen der Saarländer Heiko Maas als Justizminister aufgeboten wurde, war wohl nicht nur für den ehemaligen Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses eine Enttäuschung. Die jüngsten Erkenntnisse im Fall rücken die Nichtberücksichtigung indes in ein anderes mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Debatte um den Landesentwicklungsplan Zurück zur Natur FELIX EISELE Bielefeld (ots) - Nein, einen zweiten Erdball hat niemand von uns im Keller. Auch wenn die globalen und regionalen Entwicklungen der vergangenen Jahre etwas anderes suggerieren. Dass allein in Nordrhein-Westfalen in den letzten 20 Jahren natürliche Flächen in der Größenordnung von 146.000 Fußballfeldern in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt wurden, sollte jedenfalls allen zu denken geben. Schließlich geht es in der Debatte nicht um ungenutzte Flächen. Es geht um Lebensraum für die Tierwelt, um pflanzliche Artenvielfalt, nicht mehr...

  • Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 14. Februar zur Sterbehilfe in Belgien Bremen (ots) - Es ist ein Tabubruch: Als erstes Land weltweit erlaubt Belgien die aktive Sterbehilfe für Minderjährige - ohne Altersgrenze. Auch die Bevölkerung steht dahinter. Voraussetzung bei Minderjährigen ist eine unheilbare Krankheit. Ein Psychologe muss bezeugen, dass der Minderjährige urteilsfähig und in der Lage ist, die Entscheidung zum Sterben zu fassen. Damit sind psychisch kranke Kinder und todkranke Babys ausgenommen. Dennoch ist das Gesetz unausgegoren. Wer will schon objektiv beurteilen, ob ein Kind wirklich reif mehr...

  • Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 14. Februar zur "Pille danach" Bremen (ots) - Es ist leicht, diejenigen als Ewiggestrige oder konservative Betonköpfe zu schelten, die gegen eine rezeptfreie Abgabe der "Pille danach" sind. Angemessen ist das nicht. Denn es geht nicht um die Bevormundung von Frauen, wie von der SPD behauptet. Es geht vielmehr um Patientenschutz. Wenn die Rezeptpflicht fällt, könnte das Mittel, ähnlich wie Aspirin, Schmerzsalben oder Hustensaft, frei in Apotheken verkauft werden. Aber ist das wirklich ein geeignetes Verfahren für die Abgabe eines hochdosierten Hormonpräparats mit mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Studie zum Mammographie-Screening Nichts für Lebenskünstler oder Feiglinge PETER STUCKHARD Bielefeld (ots) - Alle Verfahren der modernen Medizin, Krebserkrankungen möglichst früh zu erkennen, bergen Risiken. Die liegen erstens in der Methodik. Jede diagnostische Maßnahme kann falsche Sicherheit vortäuschen: Es wird kein Krebs entdeckt, obwohl der sich längst im Körper befindet. Oder: Die erste Diagnose legt einen Krebsverdacht nahe, der weiter abgeklärt werden muss. Das können erhöhte Werte beim prostataspezifischen Antigen-Test sein, das können verdächtige Polypen bei einer Darmspiegelung sein, das können verdächtige mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht