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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Gustl Mollath: Zurück zur Souveränität von Pascal Durain

Geschrieben am 06-08-2013

Regensburg (ots) - Gustl Mollath ist frei. Das ist ein wichtiges
Zeichen dafür, dass die Justiz bereit sein muss, Fehler zuzugeben.

Diese Nachricht überraschte nicht nur Gustl Mollath: Der 1.
Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat den Beschluss des
Landgerichts Regensburg aufgehoben - der 56-Jährige bekommt einen
neuen Prozess, er wird mit sofortiger Wirkung aus der Psychiatrie
entlassen. Ministerpräsident Horst Seehofer und Justizministerin
Beate Merk fällt wenige Wochen vor der Landtagswahl ein Stein vom
Herzen. Mollath ist wieder ein freier Mann. Vorerst. Er ist zwar
obdach- und mittellos, doch seine Unterstützer, die diese
Entscheidung für längst überfällig erachteten, werden ihn mit Jubel
und knallenden Korken in Empfang nehmen. Das OLG hat entschieden,
dass ein Attest, das Mollaths Gefährlichkeit belegen sollte, doch als
"unechte Urkunde" im juristischen Sinne zu werten ist. Das sah die 7.
Strafkammer in Regensburg vor einer Woche noch anders. Jetzt kommt es
endlich dazu, worauf Mollath und die Öffentlichkeit gewartet haben:
Der Nürnberger bekommt einen neuen Prozess; alle Anschuldigungen
wegen Schwarzgeldverschiebungen, aufgestochenen Reifen oder
gefährlicher Körperverletzung werden neu aufgerollt. Die Richter aus
Nürnberg haben mit dieser Entscheidung dem Rechtsstaat und den
Strafverfolgungsbehörden einen großen Gefallen getan. Nicht weil
Mollaths Freispruch damit feststeht, sondern weil die Robenträger
endlich Klarheit darüber schaffen können, ob hier ein Unschuldiger
festgehalten wird, der die Mächtigen erzürnte. Das Ansehen der Justiz
wird so nicht weiter in Zweifel gezogen. Schaut man sich die
Entscheidung des OLG genauer an, fällt auf, dass die Nürnberger genau
so entschieden haben, wie es Strafrechtler wie der Regensburger
Professor Henning Ernst Müller bereits nach dem Beschluss des
Landgerichts gefordert beziehungsweise kritisiert haben. Das Attest
taugt als Beweismittel einfach nicht, damit kann es nicht zulasten
Mollaths gewertet werden. Kein Wort über die schweren und bewussten
Verstöße des damaligen Vorsitzenden Richters, Otto Brixner. Er ließ
Mollath hinter Gittern schmoren, ohne ihn anzuhören. Er rief bei den
Finanzbehörden an, um zu erklären, dass man Mollath und seine
Anschuldigungen nicht ernst nehmen müsse. Erneut entsteht so der
Eindruck, dass es auch das OLG nicht wagte, Amtsanmaßungen und
-überschreitungen eines Kollegen zu rügen. Zumindest öffentlich. Der
Fall Mollath hat eines bewiesen: Auch die Gerichte und die Justiz
machen Fehler. Das ist völlig normal. Ein Rechtssystem mit dem
Anspruch, unfehlbar zu sein, kann es auch nur in Unrechtsstaaten
geben. Schon deswegen ist der Fall Mollath kein Einzelfall. Doch
gerade der Justiz fehlt eine Kultur, mit ihren eigenen Fehlern
verantwortlich umzugehen. So gibt es zum Beispiel bis heute keine
Statistik oder amtliche Zahlen über Fehlurteile und
Falschverurteilungen. Ralf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof,
glaubt, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil sei. Wirft man
dann einen Blick auf die hohen Hürden des Wiederaufnahmerechts,
manifestiert sich der Vorwurf, dass es Richtern schwerfällt,
Konsequenzen aus dem eigenen Versagen zu ziehen oder gegen diejenigen
vorzugehen, die Recht und Gesetz vertreten sollen. Gustl Mollath
verdankt seine Freiheit vor allem seinem Glück. Glück, dass er
Unterstützer hat, die nicht müde wurden, jedes noch so kleine Detail
öffentlich zu machen. Das Glück, dass Medien diese Zustände
aufgriffen und anprangerten. Und das Glück, dass die Regensburger
Richter, die für Richter Brixner und gegen die Wiederaufnahme
entschieden, nicht das letzte Wort in dieser Sache hatten. Das OLG
hat den Fall einer anderen Kammer zugeteilt. Nun hat der 56-Jährige
das bekommen, was er immer haben wollte: Die Chance auf einen fairen
Prozess und einen Freispruch erster Klasse (erwiesene Unschuld). Ob
Mollath tatsächlich frei von jeder Schuld ist, kann nur der Prozess
zeigen - und die Richter können ihre Souveränität beweisen, die so
lange vermisst wurde.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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