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Landeszeitung Lüneburg: ,,Die Prophezeiungen bewahrheiten sich" -- Interview mit Greenpeace-Experte Karsten Smid zu Klimawandel/Dürre in den USA

Geschrieben am 09-08-2012

Lüneburg (ots) - Dürren gab es schon immer in den USA oder
Südeuropa. Nicht aber so oft. "Man kann zwar mal Sechsen würfeln,
aber nicht ständig", sagen Klimaforscher. Allein 2011 gab es in den
USA elf Wetterextreme. Jetzt leidet die US-Kornkammer unter einer
Rekord-Trockenheit. Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid erwartet
"Klimasprünge mit weltweit enormen Verwerfungen."

In den USA vertrocknet die Ernte, in Russland brennen die Wälder,
auf Grönland schmilzt das Eis. Erleben wir Vorboten dessen, was noch
kommt?

Karsten Smid: Die Wissenschaft kann zwar solche Einzelereignisse
nicht ursächlich auf den Klimawandel zurückführen, aber in der Tat
geschieht jetzt, was uns die Klimaforscher prophezeit haben. Immer
mehr Studien kommen zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit
extremer Wetterlagen wie der derzeitigen Dürre in den USA zunimmt und
dass sie unwahrscheinlich wären, wenn wir keinen Klimawandel hätten.
Also bleibt unter dem Strich die Erkenntnis, dass dies die ersten
Auswirkungen des Klimawandels sind. Die Wissenschaftler scheinen ihre
lange geübte Vorsicht bezüglich solcher Aussagen abzulegen. Am
Sonntag warnten US-Klimatologen ebenso wie Potsdamer Klimaforscher im
Februar, dass wir mehr Wetterextreme erwarten müssen. Karsten Smid:
Anfang des Jahres wurde ein mehrere Hundert Seiten starker
IPCC-Report zu Klimaxextremen veröffentlicht, in dem der Weltklimarat
bereits zu dem Schluss kam, dass die zunehmende Häufigkeit und
Heftigkeit gerade von Hitzewellen auf den Klimawandel zurückzuführen
sind. Dieser Report wurde allerdings wenig beachtet.

Welche Folgen hat der Klimawandel gerade in den Kornkommern der
Menschheit?

Karsten Smid: Wir erleben gerade in den USA die Folgen: Es kommt
zu enormen Ernteeinbußen. Und da die Landwirtschaft ein globaler
Markt ist, steigen die Preise für die zentralen Getreidesorten massiv
an -- also für Weizen, Mais und Soja. Letzteres verteuert die
Fleischproduktion, weil viele Soja-Produkte im Tierfuttermarkt
landen. Amerikaner und Deutsche werden sich hohe Lebensmittelpreise
noch leisten können. Leiden werden die Menschen in Ländern der
Dritten Welt, vor allem in Afrika. Müssen wir wieder Hungerrevolten
infolge steigender Getreidepreise fürchten? Karsten Smid: Noch gibt
es dafür keine Anzeichen, doch es kann natürlich sehr schnell zu
Hungerrevolten kommen. Schon jetzt sind aber Millionen Menschen auf
der Flucht vor den Folgen des Klimawandels -- weil ihr Boden sie
nicht mehr ernähren kann, weil Dürren sie aus ihrer Heimat
vertreiben.

Bietet grüne Gentechnik mit der Entwicklung hitzeresistenter Arten
eine Antwort?

Karsten Smid: Das sind nicht mehr als Heilsversprechen der
Gen-Industrie auf Basis von Wunschträumen. Nimmt man die jetzige
Dürre in den USA unter die Lupe, wird dort schon auf der Hälfte der
Äcker Gen-Mais angepflanzt -- aber der verdörrt genauso wie der nicht
manipulierte. Diese Heilsversprechen -- selbst, wenn sie eingelöst
werden können -- würden auch das Grundprob"lem nicht lösen. Wir
müssen den Ausstoß der Treibhausgase reduzieren, sonst können wir die
Folgen nicht mehr handhaben.

Fast 40 Prozent dieser Klimakiller werden in Zusammenhang mit der
Lebensmittelproduktion in die Atmosphäre geblasen. Stoßen die
katastrophalen Dürren ein Umdenken an?

Karsten Smid: In den USA erfolgt in dieser Hinsicht derzeit eine
interessante Entwicklung. Die US-Wetterbehörde meldete das wärmste
Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen für den Zeitraum von Juli
2011 bis Juni 2012. Infolgedessen kommen die Klimaskeptiker richtig
ins Schwitzen mit ihrer These, den Klimawandel gäbe es schlicht
nicht. Allerdings führt das bei den Konsequenzen aus dieser
Erkenntnis keineswegs zu einem echten Umdenken. Technologiefixiert,
wie die amerikanische Gesellschaft ist, wird eher geplant, wie man
sich an die Folgen des Klimawandels anpassen kann. Das sind
allerdings gefährliche Gedanken. In Deutschland hat man gerade Geo-
und Climate-Engineering eine klare Absage erteilt, also
beispielsweise Erwägungen, über die Düngung des Meeres der Atmosphäre
Kohlendioxid zu entziehen oder über künstlich erzeugte Wolken eine
Abkühlung zu erreichen. Wir müssen das Problem an den Wurzeln
bekämpfen. Und das heißt: Die Emission von Treibhausgasen muss
vermindert werden.

Röstet der heiße Sommer auch die Wahlkampfkampagne der
Klimaskeptiker von der Tea Party?

Karsten Smid: Immerhin hat sogar der Chef von Exxon Mobil, Rex
Tillerson, vor dem "Council for Foreign Relations" eingeräumt, dass
der Klimawandel real ist. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat Exxon
eine aggressive Kampagene finanziert, die den Klimawandel bestritt.
Nun hält Tillerson den Klimawandel zwar für eine der fünf größten
aktuellen Herausforderungen, gleichwohl aber für handhabbar. Die
Klimaerwärmung lässt den Wüstengürtel längs des Äquators wachsen.
Also nicht nur in den USA, sondern auch im südlichen Australien und
im Norden Indiens.

Wirft der Klimawandel alle Konzepte gegen den Hunger über den
Haufen?

Karsten Smid: In der Tat. Wie Klimawandel und Marktmechanismen
ineinander greifen, erleben wir gerade aktuell in den USA. Ernten
verdorren, Preise steigen, Menschen verhungern. Noch ist das
Welthungerproblem vor allem eines der Umverteilung, denn insgesamt
produziert die Landwirtschaft genug Kalorien, um alle Menschen zu
ernähren. Eine steigende Weltbevölkerung und vertrocknende
Anbauflächen werden dies Problem allerdings noch verschärfen.

In Regionen wie dem Süden der USA oder Sibirien vermuten
Klimaforscher Kippelemente, also Systeme, die bei Überschreiten eines
Grenzwertes eine Kaskade verheerender Konsequenzen nach sich ziehen.
Droht uns ein schlagartiges Chaos?

Karsten Smid: Dies kann nicht ausgeschlossen werden, auch wenn wir
nicht wissen, wo die Grenzwerte liegen, deren Überschreiten ganze
Klimasysteme kollabieren lassen. Alarmierende Meldungen gibt es etwa
aus der Arktis. Dort schmilzt das arktische Meereis schneller als von
den Wissenschaftlern prognostiziert. Die Meereisbedeckung nimmt
dramatisch ab, infolgedessen die Reflektion des Sonnenlichts -- was
die Erwärmung noch mal antreibt. Zudem gehen auf dem
nordamerikanischen Kontinent die borealen Wälder, also die
Nadelwälder südlich der Tundra zurück. Auch, weil die vom Klimawandel
geschwächten Bäume massiv vom Borkenkäfer befallen sind. Damit
verliert das größte zusammenhängende Waldgebiet der Erde an Wert als
Kohlenstoffspeicher. Aufgrund solcher und anderer
Rückkopplungseffekte können wir nicht davon ausgehen, dass sich das
Klima langsam und stetig erwärmt. Vielmehr sind Klimasprünge zu
erwarten, die weltweit zu enormen Verwerfungen führen können. Wir
sehen das jetzt auch bei der Hitzewelle in den USA: Die extemen
Temperaturen verstärken sich selbst. Das Hochdruckgebiet stabilisiert
sich selbst und je größer es ist, desto länger kann es sich halten --
und löst eine Dürre aus.

Sind wir angesichts dieser Risiken nicht schon zu spät dran mit
der von Ihnen geforderten Reduzierung der Treibhauskiller?

Karsten Smid: Nein, es ist nicht zu spät. Wir können das
Schlimmste noch verhindern. Weil wir bisher zu viel Zeit verloren
haben, müssen wir bereits jetzt die Vorboten des Klimwandels erleben.
Die Techniken beherrschen wir alle, mit denen sich der CO2-Ausstoß
vermindern lässt. Was fehlt, ist der politische Wille, wie man bei
den Weltklimakonferenzen der Vereinten Nationen jedes Mal wieder neu
feststellen muss. Es fehlt am Umdenken. Wir müssen die Alarmzeichen
ernst nehmen und endlich die Treibhausgase drastisch reduzieren.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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