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Mittelbayerische Zeitung: Leiartikel zur Euro-Krise

Geschrieben am 06-08-2012

Regensburg (ots) - Babylon in Berlin

Glaubt man dem Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker, leben wir in
Deutschland im Luxus. Und zwar deswegen, weil wir es uns erlauben
können, mit der Euro-Schuldenkrise Innenpolitik zu machen. Juncker
hat für seine Aussagen viel Schelte abbekommen. Aber er hat recht.
Während in Griechenland und in Spanien die Menschen täglich die
Auswirkungen der Krise spüren, weil ihre Jobs in Gefahr sind, ihre
Ersparnisse, ihre Zukunft, leben wir in Deutschland noch auf einer
Insel der Glückseligkeit. Die Auswirkungen der Krise nehmen wir nur
als Geschützdonner in der Ferne war, wenngleich der eine oder andere
Querschläger doch die Ruhe stört. Weil es aber meistens noch ruhig
ist, sprechen wir seit Wochen über nichts anderes mehr als darüber,
ob wir wirklich weiter alles tun müssen, um die Krise zu bekämpfen -
oder die Reißleine ziehen. Knapp mehr als die Hälfte der Bundesbürger
würde Letzteres befürworten, Griechenland aus dem Euro drängen und am
besten zur guten alten D-Mark zurückkehren. Es ist diese Klaviatur,
auf der Populisten spielen. Erste Etüden gab es von der FDP zu hören,
nun hat die CSU eine ganze Partitur mit dem Titel "werft die Griechen
raus - oder: alle wollen unser Geld" geschrieben. Sie wird nun von
Söder, Dobrindt und Co. aufgeführt. Vorweg: Das für die
Christsozialen entscheidende, vielleicht alles entscheidende Jahr
2013, in dem in Bayern der Landtag und dann der Bundestag gewählt
werden, wirft seine Schatten bereits voraus. Weil diese Wahlen vom
Thema Schuldenkrise überschattet sein werden, ist es nur legitim, es
bereits jetzt schon zu besetzen; das machen die anderen Parteien
schließlich auch. Derzeit etwa erleben die Genossen von der SPD, dass
sich ein lange als chancenlos geltender Sigmar Gabriel aus der
Babypause mit Ideen zur Lösung der Krise zum Spitzenkandidaten
mausert. Die "Hau den Griechen"-Nummer der CSU mag zum Gassenhauer
werden. Sie ist aber auch gefährlich. Erstens, weil eine knappe
Mehrheit für das Ende der Krisenbekämpfung und der Rückkehr zur
D-Mark auch heißt, dass es eine knappe Mehrheit dagegen gibt. Die mag
sich an den Stammtischen nicht so laut zu Wort melden, aber sie sind
da. Es ist die Gruppe derjenigen, die wissen, dass ein Ende des Euro
- was ein Ausstieg Griechenlands letztlich einleiten würde - eine
Rückkehr in die 1990er bedeuten würde. Allerdings ohne Nostalgie,
dafür mit allen Nachteilen bis hin zu Zöllen und Schlagbäumen an den
Grenzen. Die Ausstiegsforderungen an Griechenland, die am Wochenende
zu hören waren, sind zwar nicht an Athen gerichtet, sondern an
München, Augsburg, Nürnberg oder Regensburg, an Bayern also. Sie
werden aber auch in New York, London oder sonstwo vernommen.
Wenngleich dort die Namen Söder oder Dobrindt nicht unbedingt eine
Rolle spielen, so sind deren Aussagen für die Märkte doch ein Indiz
dafür, dass Deutschland eben nicht mehr mit einer Stimme spricht. Das
ist die zweite Gefahr: Wenn Deutschland, das international als der
Stabilitätsanker in der stürmischen See der Schuldenkrise gilt, nun
weiter darüber streitet, was zu tun ist, ist ein wirkliches Ende des
Euro vielleicht nur noch eine Frage der Zeit. Denn warum sollte man
einer Frau Merkel noch glauben, wenn ihre eigene Koalition nicht
einmal ihrer Meinung folgt? Das babylonische Sprachgewirr in Sachen
Euro, das in Deutschland herrscht, speist sich aus der
Verunsicherung, und nährt zugleich die Verunsicherung weiter. Aus der
Bibel haben wir gelernt, dass Sprachgewirre die Arbeit an einem
gemeinsamen Projekt unmöglich machen. Daher ist es dringend nötig,
wieder mit einer Stimme zu sprechen. Es wäre höchste Zeit, dass die
Kanzlerin sich an die Menschen wendet. Interviews alleine reichen
nicht mehr. Merkel war nie die Basta-Politikerin, und das war in der
Krisenbewältigung auch gut so. Aber jetzt ist Zeit für ein Machtwort
an die eigene Truppe. Und für eine Erklärstunde für die deutschen
Bürger. Noch scheut man in Berlin diesen Schritt ganz offensichtlich.
Aber vergeht noch mehr Zeit, wird das Stimmengewirr unübertönbar.
Auch für die Kanzlerin.

Von Christian Kucznierz, MZ



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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