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Landeszeitung Lüneburg: Es wäre Frevel, Flächen aus der Produktion zu nehmen / Bauernpräsident Joachim Rukwied kritisiert EU-Öko-Vorgaben und idealisiertes Bauernbild

Geschrieben am 19-07-2012

Lüneburg (ots) - Twittern, bloggen, Videos streamen - Joachim
Rukwied, der neue Präsident des Deutschen Bauernverbandes, will auch
die neuen Medien nutzen, um die Akzeptanz für die Landwirtschaft zu
erhöhen. Öko-Vorgaben der EU kontert er: "Gerade unsere moderne,
arbeitsteilige Landwirtschaft arbeitet nachhaltig."

Inwieweit klaffen das Bild der Landwirtschaft, das sich der
Städter macht, und die Realität auseinander?

Joachim Rukwied: Die Wertschätzung für den Landwirt ist in der
Gesellschaft nach wie vor hoch. In einer aktuellen emnid-Umfrage
gelangte der Landwirt hinter Arzt und Lehrer auf Platz 3 der
angesehensten Berufe. Aber es klafft eine Diskrepanz zwischen
Realität und idealisierten Vorstellungen über moderne Produktions-
und Tierhaltungsverfahren. Obwohl wir weltweit die höchsten Standards
erreicht haben, findet dies in der Gesellschaft zu wenig Akzeptanz.
Vielfach wird sich eine Rückkehr zur guten alten Landwirtschaft
vorgestellt. Doch die Idylle gab es so nie, - im Gegenteil:
Landwirtschaft war früher Knochenarbeit. Ich persönlich habe mich in
mehr als 30 Jahren Landwirtschaft über jeden Fortschritt bei den
Produktionsmethoden gefreut, nicht zuletzt auch wegen der
Arbeitserleichterung. Da haben wir Nachholbedarf bei der
Öffentlichkeitsarbeit.

Beeinträchtigt die Idealisierung des Kleinbauernhofes die
Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft, etwa bei Bauprojekten?

Rukwied: In der Tat. Jeder Landwirt steht heute in einem enormen
Wettbewerb in den weltoffenen Agrarmärkten. Wir sind bodenständig
geblieben, arbeiten in und mit der Natur, aber müssen auch als
Unternehmer denken, wenn es morgen noch eine heimische Landwirtschaft
geben soll. Wir brauchen auch zukünftig die Möglichkeit, neue Ställe
zu bauen, nicht nur, um Betriebe zu erweitern, sondern auch, um
Verbesserungen des Tierwohls und der Arbeitsbedingungen zu erreichen.
210EUR000 Bauernfamilien halten in Deutschland Tiere; für uns ist die
Tierhaltung ein sehr wichtiges Standbein. 2012 erwarten wir
Investitionen in Stallbauten in Höhe von fünf Milliarden Euro,
zuzüglich einer Milliarde für tierfreundliche Stallhaltungen. Eine
hohe Summe, berücksichtigt man, dass die Landwirtschaft insgesamt elf
Milliarden Euro investieren wird. Widerstand von Bürgern oder
Verbänden hat da schon einen betriebs- und volkswirtschaftlichen
Stellenwert.

Muss die Genehmigungspraxis für bäuerliche Betriebe gelockert
werden?

Rukwied: Der Status quo wird den bäuerlichen Anforderungen
halbwegs gerecht. Aber es sind mögliche Änderungen in der
parlamentarischen Diskussion, die die Weiterentwicklung der
Tierhaltung in Deutschland erheblich behindern würden.

Wie positioniert sich der Bauernverband zur gemeinsamen
Agrarpolitik der EU?

Rukwied: Hier setzen wir auf Konstanz, vor allem auf ein
Beibehalten des EU-Agrarbudgets. Die 29 Cent pro Bürger und Tag, die
der EU-Agrarhaushalt momentan den EU-Bürger kostet - also der Wert
noch nicht einmal eines Brötchens -, sind gut investiertes
öffentliches Geld. Der Verbraucher hat größten Nutzen durch Vielfalt
und Sicherheit bei den Lebensmitteln, intakte und vielseitige
Landschaften und vieles mehr. Und das für weniger als 1 Prozent aller
öffentlichen Ausgaben in den EU-Ländern, denn so viel umfasst der
EU-Agrarhaushalt.

Sie geißeln die Stilllegung von Ackerflächen als Frevel. Ist der
Anbau von Energiepflanzen statt Nahrung nicht auch Frevel?

Rukwied: Nein. Die Landwirtschaft hat vielfältige Aufgaben, in
erster Linie die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel. Das bleibt auch
so. Eine Aufgabe, die mit der wachsenden Weltbevölkerung und der in
der Welt wachsenden Nachfrage nach Milch und Fleisch noch an
Stellenwert gewinnt. Zudem muss die Landwirtschaft über
Energiepflanzen auch einen Teil zur Energieversorgung beitragen, dies
auch insbesondere unter dem Aspekt der in Deutschland beschlossenen
Energiewende. Unsere Landwirtschaft muss also Ernährung und Energie
im Blick haben. Und angesichts des Fortschritts können wir beides.
Für mich wäre es wirklich Frevel, Flächen aus der Produktion zu
nehmen. Zum "Greening", also zum Einbau von ökologischen Maßnahmen
beispielsweise in unseren Ackerbau, sagen wir "Ja", aber auf
wertvollen landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr zu produzieren,
das lehnen wir ab.

Mit Ihrem 300-Hektar-Hof wären Sie auch in Niedersachsen ein
Großer. Sehen Sie sich dennoch auch als Sprachrohr der Kleinst- und
Öko-Höfe?

Rukwied: Die Öko-Betriebe sind ein wichtiger und unverzichtbarer
Teil der Landwirtschaft. Innerhalb des Deutschen Bauernverbandes
müssen alle Produktions- und Erwerbsformen, alle Richtungen und alle
Regionen vertreten sein. Das ist mein Anliegen. Wir haben unabhängig
von der Größe vieles gemeinsam, sei es im Bereich des Marketings, in
den Märkten, der Öffentlichkeitsarbeit, der Besteuerung, in der
Agrarsozialpolitik, in der Rechtsprechung. Da sind wir gut beraten,
wenn wir mit einer Stimme sprechen. Ich habe zwar auch für
baden-württembergische Verhältnisse eine ordentliche Betriebsgröße,
zumal ich noch an einer Ackerbau-GmbH mit 250 Hektar beteiligt bin.
Das heißt aber nicht, dass ich die Situation der kleinen Landwirte
nicht kenne. Wir haben selbst mit 7 Hektar angefangen und
wirtschaften auch auf Parzellengrößen von einem halben Hektar.

Ist grüne Gentechnik für Sie Hoffnungsträger oder Totengräber des
Landwirtes als selbstständiger Unternehmer?

Rukwied: Die grüne Gentechnik ist unter den Bauern kein
Diskussionsthema. Sie ist eher ein Thema für die Medien, manche NGOs
und Teile der Politik. Unsere Verbraucher wollen keinen Anbau
gentechnisch veränderter Organismen. Deshalb machen wir Bauern es
nicht. Die gesetzliche Regelung einer verschuldensunabhängigen
Haftung wird zudem für jeden Landwirt ein unkontrollierbares Risiko.
Deshalb empfehlen wir unseren Landwirten, besser keine gentechnisch
veränderten Pflanzen anzubauen. Nichtsdestotrotz müssen wir
feststellen, dass weltweit die Anbaufläche gentechnisch veränderter
Pflanzen jährlich zunimmt - vor allem in Amerika und Asien. Daher ist
es wenig hilfreich, über Nulltoleranzen zu diskutieren. 0,0 gibt es
in der Natur nicht. Wir brauchen die Definition technischer
Grenzwerte per Gesetz.

Schüttelt es Sie als selbstständigen Unternehmer angesichts der
Entwicklung in den USA nicht, wenn Bauern zu Bütteln der
Agrarkonzerne werden, die aus der Ernte kein Saatgut abzweigen
können, weil die Pflanzen unfruchtbar gemacht wurden und sie erneut
Saatgut kaufen müssen?

Rukwied: Was Sie ansprechen, ist Hybrid-Saatgut. Das hat mit
gentechnisch verändertem Saatgut nichts zu tun. Auch in Europa haben
wir bei Mais und Raps so genannte Hybridsorten im Anbau. Das sind
Sorten, deren erste Generation einen hohen Ertrag bringt, die zweite
Generation dann aber stark abfällt.

Dennoch kratzt der Zwang, Saatgut nachkaufen zu müssen am Bild des
Landwirts als freiem Unternehmer. Oder ist dies der Gang der Dinge in
einer industrialisierteren Landwirtschaft?

Rukwied: Ich würde unsere heimische Landwirtschaft nicht als
"industrialisiert" bezeichnen, schon gar nicht im weltweiten
Vergleich. Wie jeder leben und arbeiten wir natürlich nicht mehr nach
den Methoden des 18. Jahrhunderts. Die Nutzung von Technik sollte man
nicht stigmatisieren, vielmehr hilft sie, Arbeit menschenfreundlicher
zu machen und Tiere tierfreundlicher zu halten. Andererseits sollte
nicht alles Machbare genutzt werden. So bin ich absolut gegen die
Einführung von Bio-Patenten. Unser Saatgut-Recht in Deutschland ist
gut. Wenn die Sorten der kleinen Zuchtbetriebe in Deutschland, die
aus der Landwirtschaft hervorgingen, nicht geschützt worden wären,
hätten wir heute keine Vielfalt mittelständischer Züchter mehr,
sondern nur noch vier bis fünf Global Player.

Der Landwirt als freier Unternehmer wird aber nicht nur von Seiten
der Saatgut-Patentierer bedroht. Wie können Landwirte vom
Subventions-Tropf der EU abgenabelt werden?

Rukwied: Das Wort Subventionen passt absolut nicht. Wie jeder
andere Wirtschaftsbereich auch, wird die Landwirtschaft über
öffentliche Töpfe gefördert. Das wird in der EU über Direktzahlungen
geregelt, und zwar für Leistungen, die der Verbraucher nicht mit den
Preisen für Lebensmittel bezahlt. Dies sind unsere höheren Standards
im Sozial-, Tier- und Umweltbereich. Auch weltweit wird die
Landwirtschaft unterstützt. In den USA werden die Preise gestützt, in
Südamerika fließen Zuschüsse in die Erstellung von
Produktionsstätten. So lange dies so ist, kann Europa nicht
ausscheren, ohne die Wettbewerbsfähigkeit seiner Landwirtschaft zu
gefährden.

Sind die Risse zwischen Milchviehhaltern und Bauernverband noch zu
kitten?

Rukwied: Wir haben im Bauernverband einen Organisationsgrad von
über 90 Prozent, und dies auf rein freiwilliger Basis. Um die, die
nicht Mitglied sind, will ich werben. So steht auf unserer Agenda
ganz oben, dass wir nachhaltig wirtschaften und im Wettbewerb
gestärkt werden, gute Preise erzielen wollen - dies aber über den
Markt, nicht über Quoten. Nur so ist gesichert, dass der Landwirt mit
seinen Erträgen seine Familie ernähren und gleichzeitig den Betrieb
weiterentwickeln kann.

Wäre die Vermittlung eines Bildes einer modernen,
industrialisierten Landwirtschaft zwar ehrlicher, aber geeignet, die
Akzeptanz zu untergraben?

Rukwied: Für mich ist die heutige Form der Landwirtschaft eine
nachhaltige und eine arbeitsteilige. Arbeitsteilung prägt nun mal
unsere heutige Wirtschaft. Um die Landwirtschaft den Bürgern näher zu
bringen, haben wir 2010 mit einer Informationskampagne begonnen, mit
Plakaten, Broschüren, geöffneten Höfen, mit Videos und über Neue
Medien sowie mit Medienpartnerschaften zeigen wir Transparenz. So
können wir vermitteln, dass eine moderne, arbeitsteilige
Landwirtschaft auch in anderen Größenordnungen ökologisch, ökonomisch
und sozial, eben noch nachhaltiger wirtschaftet als dies noch in der
Vergangenheit der Fall war. Für mich ist dies ein ehrlicher,
authentischer und überzeugender Verbraucher-Dialog.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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