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Landeszeitung Lüneburg: Krieg aus der Ferne per Joystick / Experte Dr. Schörnig mahnt Debatte über Grenzen der Automatisierung von Waffensystemen an

Geschrieben am 10-11-2011

Lüneburg (ots) - Unbemannte Flugzeuge haben die Kriegführung
verändert. Der Krieg gegen Terroristen am Hindukusch etwa wurde durch
Drohnen zu einem per Joystick aus 11.000 Kilometer Entfernung. "Was
viele noch für Science Fiction halten, wird von der Realität lÌngst
übertroffen", sagt Konfliktforscher Dr. Niklas Schörnig. Aber: "Es
ist gefährlich, einem Chip die Entscheidung Ïber Leben und Tod zu
überlassen."

Die israelische Luftwaffe will 2030 die Hälfte ihrer Kampfeinsätze
unbemannt fliegen. Sind Drohnen die Zukunft des Luftkrieges?

Dr. Niklas Schörnig: Sie sind schon die Gegenwart. In den meisten
Szenarien sind Drohnen aus militärischer Sicht wesentlich effizienter
als bemannte Flugzeuge. Seit etwa 2000 haben wir einen ganz starken
Trend hin zum unbemannten Flugapparat. Und dieser Trend wird sich
verstärken.

Werden Domänen bleiben, in der Piloten nicht durch Drohnen ersetzt
werden können?

Dr. Schörnig: Die langfristigen Planungen sehen vor, dass in allen
Bereichen Drohnen eingesetzt werden -- sogar im Transportwesen.
Allerdings wird im Bereich Transportflüge derzeit am wenigsten
geforscht, weil die Nachfrage eher in Richtung Kampfdrohne geht und
es noch viele rechtliche Fragen bei der Integration von Drohnen in
den zivilen Luftraum gibt. Aber prinzipiell steht dem nichts im Wege.

Wie sieht es aus im Bereich Luftkampf?

Dr. Schörnig: Der "Dogfight" genannte Kurvenkampf bereitet derzeit
technisch noch große Schwierigkeiten. Aber auszuschließen ist nicht,
dass auch hier zumindest mittelfristig unbemannte Systeme vorrangig
eingesetzt werden. Zumal dies die Planungen der US-Streitkräfte auch
so vorsehen.

In Libyen ergänzten sich Drohnen und bemannte Luftfahrzeuge
arbeitsteilig. Ist dies nur Zeichen einer Übergangsphase oder wird es
immer Piloten vor Ort geben müssen?

Dr. Schörnig: Man hatte ganz schlicht nicht genug unbemannte
Systeme. Die Amerikaner wären die einzigen, die genügend Drohnen
hätten stellen können, aber derzeit sind auch noch sehr viele Systeme
in Afghanistan gebunden oder werden für Luftschläge in Pakistan
eingesetzt.

Die Piloten äußerten sich sehr zufrieden, dass die Lage vor Ort
aufgeklärt war...

Dr. Schörnig: ...Das ist der Vorteil, den Drohnen bieten: eine
zeitnahe, sehr präzise Aufklärung auf dem Gefechtsfeld, die
zielgenaue Angriffe erleichtert. Ein Aspekt, der den Siegeszug der
Drohnen in den Luftwaffen zumindest verlangsamen könnte, ist der
Fliegerstolz. In den US-Streitkräften treten Widerstände auf, weil in
den Augen der Soldaten ein Drohnen-Pilot nicht den gleichen Rang
einnimmt wie ein Kampfjet-Pilot. Es kann also sein, dass aus
historischen Gründen noch länger bemannte Flugzeuge vorgehalten
werden. Doch auch der Libyen-Feldzug warf aus Sicht westlicher
Politiker und Militärs die Frage auf, warum man in umkämpften
Gebieten überhaupt noch den Einsatz bemannter Flugzeuge riskieren
will. Wenn nur eine Hubschrauber-Drohne verloren geht -- wie über
Libyen --, müssen keine Beileidsbriefe an Hinterbliebene geschrieben
werden. Das Aufklärungsgeschwader "Immelmann" in Jagel hat den ersten
EuroHawk ausgeliefert bekommen. Ist die Bundeswehr auf der Höhe der
Zeit? Dr. Schörnig: Technologisch hat Deutschland damit die
technologisch leistungsfähigsten Systeme im Bestand. Allerdings
spielen z.B. die USA oder Israel in einer gänzlich anderen Liga,
vergleicht man die Anzahl der Drohnen, die für Langzeitaufklärung
geeignet sind. Bei der Einsatzfähigkeit ebenso, denn dazu gehören
Übung und Erfahrung, die in der Bundeswehr erst jetzt gesammelt
werden können.

Zwei gegenläufige Trends sind zu beobachten: Einerseits werden die
Drohnen immer kleiner, etwa bis auf Krähengröße, andererseits werden
sie größer und schwerer bewaffnet. Welcher Trend setzt sich durch?

Dr. Schörnig: Es gibt noch einen dritten Trend, und der lautet:
Automatisierung. Immer weniger Entscheidungen werden vom menschlichen
Piloten am Boden getroffen. Immer mehr Entscheidungsgewalt geht auf
das System über. Die drei Trends lassen sich kombinieren, schließen
sich gegenseitig nicht aus. Kleine Drohnen haben für die Soldaten
taktische Vorteile, weil sie auch von Infanterie mitgeführt werden
können, um auf dem Gefechtsfeld den Feind hinter dem nächsten Hügel
entdecken zu können. Größere, länger fliegende Systeme mit stärkerer
Bewaffnung können zudem größere strategische Ziele angreifen. Ein
übergreifender Trend ist, dass Drohnen jeglicher Größe bewaffnet
werden, um bei den Einsätzen flexibler agieren zu können. Umstritten
ist, wie weit man mit der Automatisierung gehen will. Was bedeutet
es, wenn ein Computer über einen Waffeneinsatz entscheidet? Soll er
über Leben und Tod entscheiden können? Kann man ihm die Entscheidung
überlassen angesichts der Gefahr, dass er mit einem Virus infiziert
werden kann, wie wir es jetzt aktuell bei den US-Drohnen erlebt
haben? Die Debatte, ob wir den Menschen wirklich komplett aus dem
System herausnehmen wollen, muss auch in Deutschland geführt werden.

Trotz besserer Aufklärung durch Drohnen: Steigt die Gefahr
unbeabsichtigter Tötung von Zivilisten beim ferngesteuerten Krieg?

Dr. Schörnig: Ich würde sagen, ja, weil das Problem nicht die
Zielgenauigkeit der Waffen ist, sondern die fehlende Möglichkeit,
Freund und Feind auseinanderzuhalten. Woran erkenne ich einen
irregulären Kämpfer, woran einen Verbündeten oder gar einen
Zivilisten, wenn alle zivil gekleidet sind und eine Waffe -- oder
etwas, was ich für eine Waffe halte, z.B. einen langen Stab --
tragen? Das ist für Soldaten vor Ort schon sehr schwer -- für einen
Piloten Tausende Kilometer entfernt aber noch viel schwerer,

Ist das nicht ein generelles Problem in aktuellen und künftigen
asymmetrischen Konflikten?

Dr. Schörnig: Ja, wobei es eines ist, das durch eine extreme
Technologiegläubigkeit in den Hintergrund gedrängt wird -- zumindest
in einigen Staaten. Wir können genau aufklären, wir können präzise
angreifen. Da gerät eine schwierige Frage leicht in Vergessenheit:
Wen greifen wir eigentlich an und warum? Besonders problematisch ist
diese Frage, wenn man sie sich von der CIA beantworten lässt und
nicht von Militärs -- wie derzeit in Pakistan.

Bleibt die Psyche des Drohnen-Piloten unbelasteter als die eines
Bomber-Piloten oder ist das Gefühl, sich um eigenes Risiko
"herumzumogeln" nur eine andere Form der Belastung? Dr. Schörnig:
Leider gibt es zu dieser Frage noch keine belastbaren Studien,
zumindest keine, die veröffentlicht worden sind. Denkbar ist nach
ersten Erkenntnissen durchaus, dass die Belastung für den
Drohnen-Piloten höher ist als für den Jet-Piloten, weil er in hoher
Auflösung beobachten kann, was die von ihm abgefeuerte Rakete
anrichtet. Der Jet-Pilot hingegen dreht ab, nachdem er den Knopf
gedrückt hat. Verschärfend ist auch die surreale Erfahrung der
Drohnen-Piloten, am Nachmittag tödliche Kriegshandlungen ausgeübt zu
haben und am Abend mit Frau und Kindern ein ganz friedliches
Familienleben zu pflegen. In dieser Form haben Soldaten das noch nie
erlebt.

Fliegen die Drohnen in einer völkerrechtlichen Grauzone? Sind
gezielte Tötungen mit Killerdrohnen Morde oder Kriegshandlungen?

Dr. Schörnig: Die Drohne als Instrument ist völkerrechtlich
zunächst nicht problematisch. Sie ist einem bewaffneten Flugzeug
gleichzusetzen. Jedes Mal abzuklären ist aber die Frage, ob der
befohlene Drohneneinsatz völkerrechtlich zulässig ist oder nicht. So
ist die Tötung von mutmaßlichen Terroristen in Pakistan, die akut
keine Gefahr darstellen und sich in dem Moment auch nicht an
Kampfhandlungen beteiligen, völkerrechtlich hochgradig problematisch.
Es macht aber keinen Unterschied, ob dieser Einsatz dann mit dem
Flugzeug oder mit der Drohne erfolgt.

Senkt die Automatisierung des Krieges die Schwelle für die
Anwendung militärischer Gewalt?

Dr. Schörnig: Ja, das ist zu befürchten. Das erkennt man am
Beispiel Libyen: Der US-Kongress fragte vor Monaten bei US-Präsident
Obama nach, wann er denn eine Autorisierung für die Kampfhandlungen
über Libyen vom Kongress einhole, schließlich sei dies doch mit einer
zustimmungspflichtigen Kriegshandlung gleichzusetzen. Das Weiße Haus
ließ den Kongress abblitzen mit der Begründung, es seien keine
US-Soldaten in Gefahr, ergo könne man nicht von einem Krieg reden.
Das zeigt doch deutlich, wie die Automatisierung des Krieges die
parlamentarische Kontrolle aushebelt. Unter Obama stieg die Zahl der
Drohneneinsätze im Vergleich zur Ära Bush nochmal deutlich. Für ihn
ist dies die Waffe seiner Wahl.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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