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HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Jugendprotesten

Geschrieben am 04-10-2011

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Egbert Nießler

Ein Gespenst geht um - nicht nur in Europa, wie Karl Marx in
seinem Kommunistischen Manifest 1848 schrieb - sondern weltweit. Es
ist auch nicht das Gespenst des Kommunismus, sondern eine
vielschichtige Bewegung meist junger Menschen, die mit ihren
Lebensumständen und Zukunftsaussichten zunehmend unzufrieden sind.
Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie sich vor allem moderner
Kommunikationsmittel, sogenannter sozialer Netzwerke, bedienen.
Begonnen hat das mit dem "Arabischen Frühling" in Tunesien und
Ägypten. Mittlerweile sind dank der Finanzkrise und ihrer
Auswirkungen aber auch zahlreiche westliche Länder von Israel über
Europa bis in die USA und nach Chile betroffen. Die Schuldigen sind
schnell ausgemacht. Im arabischen Raum waren es halsstarrige
Despoten. Im Westen werden die Banken oder - noch globaler und
radikaler zusammengefasst - der Kapitalismus für die gegenwärtige
Misere in Haftung genommen. Das ist nicht ganz von der Hand zu
weisen. Gewiss sind nach dem Zusammenbruch des Ostblocks im
grenzenlosen Überlegenheitsgefühl des Westens manche Sicherungen
durchgebrannt, hielten sich Börsianer und Investmentbanker für die
Herren der Welt, träumten Theoretiker vom Ende der Geschichte und
glaubten manche, alle Probleme seien nun gelöst. Die Folgen sind
derzeit zu besichtigen. Und wenn in Finanznot geratene Staaten sparen
müssen, tun sie das meist im Sozialbereich. Viel mehr Möglichkeiten
haben sie gar nicht, und der massive Unmut ihrer Bürger ist ihnen
gewiss. Kapitalismuskritik ist allerdings auch so alt wie diese
Wirtschafts- und Gesellschaftsform selbst. Einer der großen Vorzüge
des Kapitalismus ist aber auch seine Wandlungs- und Reformfähigkeit.
Fehler können korrigiert, neue Entwicklungen adaptiert werden. Dass
es etwa in Deutschland keine Revolution gibt, liegt sicherlich nicht
nur daran, dass hier das Betreten des Rasens verboten ist, wie Stalin
einst spottete. Es ist vor allem einer funktionierenden sozialen
Marktwirtschaft zu verdanken, die Ungleichgewichte und Spannungen in
der Gesellschaft auszugleichen vermochte. Und spätestens hier, bei
der Suche nach brauchbaren Alternativen oder Reformvorschlägen,
beginnen die Probleme der weltweiten Protestler. Von einer
gemeinsamen Idee, gar von einem praxistauglichen Vorschlag, sind sie
weit entfernt. Diffuses Unbehagen allein aber führt kaum zum
gesellschaftlichen Wandel, auch nicht, wenn es millionenfach in Bits
und Bytes portioniert um den Erdball versendet wird. Und die
Möglichkeit, sich spontan zu jeder Zeit an jedem Ort zu einer
Demonstration verabreden zu können, ist noch keine politische
Bewegung. Kommunikation ist eben auch im Kommunikationszeitalter
nicht alles. Es hat auch schon vor der Erfindung des Internets
erfolgreiche Reformen und Revolutionen gegeben. Fehlen aber die
gemeinsamen Inhalte und Ziele sowie eine handlungsfähige
Organisationsstruktur, versanden die Bewegungen genauso, wie vor gut
zehn Jahren die New-Economy-Blase geplatzt ist. Damals hatten viele
geglaubt, Wirtschaft könne im Wesentlichen virtuell stattfinden und
die bisherigen Produktions- und Verteilungsmethoden, nicht ohne
verächtlichen Unterton Old Economy genannt, seien ein für allemal
passé. Genauso wenig wie die Wirtschaft lässt sich Politik
vollständig digitalisieren. Und um noch einmal den alten Marx zu
bemühen: "Eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen
ergreift." Voraussetzung ist aber, dass man auch eine brauchbare Idee
hat und diese dann nicht im virtuellen Raum stecken bleibt. Nur dann
werden die Protestler von den Regierenden auch ernst genommen und
haben umgekehrt Politiker die Chance, auf konkrete Forderungen oder
Wünsche zu reagieren.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


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