(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Die Euro-Apokalypse

Geschrieben am 16-09-2011

Regensburg (ots) - Die Euro-Krise treibt apokalyptische Blüten.
Polens Finanzminister Jacek Rostowski etwa wird nicht müde, vor einem
Zerfall der Euro-Zone und der gesamten EU zu warnen. Selbst das Wort
von einem drohenden neuen Krieg in Europa scheut er nicht. Das Ende
der Europäischen Union werde bewaffnete Konflikte wieder möglich
machen. Rollen also bald Panzer über den Kontinent? Eine absurde
Vorstellung. Und doch lässt sich aus den Kassandrarufen, die aus dem
Osten herüberdringen, so manches lernen. Da ist zunächst die
Dimension der Krise. Die Polen, die derzeit die
EU-Ratspräsidentschaft innehaben, fühlen sich berufen, den anderen
Europäern den existenziellen Ernst der Lage klar zu machen. Seit
gestern tagen die EU-Finanzminister in Breslau. Die polnischen
Gastgeber hatten sich Schützenhilfe aus Washington geholt - ein Novum
in der EU-Geschichte. Und so redete Rostowski im Schulterschluss mit
US-Finanzminister Timothy Geithner seinen Amtskollegen ins Gewissen.
Man müsse einen Schlachtplan entwerfen, um "die Katastrophe zu
verhindern". Ob ausgerechnet die haarsträubend überschuldeten
Amerikaner die Richtigen sind, um Europa wirtschafts- und
finanzpolitische Ratschläge zu erteilen, sei einmal dahingestellt.
wahr ist jedoch: Das Ausmaß der Bedrohung ist vor allem in einigen
deutschen Politikerköpfen noch nicht angekommen. Wer zum dritten
Jahrestag der Lehman-Pleite Gedankenspiele für eine
Griechenlandpleite anstellt, der spielt weniger mit Ideen als mit dem
Feuer. Lehman hat gezeigt, welche Dominoeffekte auf den
Weltfinanzmärkten möglich und sogar wahrscheinlich sind, wenn man
einen wackelnden Stein mutwillig stürzen lässt. Kippt Athen, werden
früher oder später auch andere kippen. Angela Merkel hat das
begriffen. Sie hält allenfalls einen geordneten Rückzug Griechenlands
aus der Euro-Zone ab 2013 für denkbar. Vizekanzler Philipp Rösler hat
dagegen nichts verstanden. Der junge FDP-Chef macht sich daran, die
deutsche Staatsräson auf dem Altar eines regionalen Wahlkampfes zu
opfern. Das von den Polen an die Wand gemalte Apokalypse-Szenario
zeigt aber noch etwas anderes. Die Menschen jenseits der Oder sind
sensibler für existenzielle Fragen als die satten Gesellschaften des
Westens. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Stunde null, die
Deutschland 1945 erlebt hat, sich in Osteuropa 1989/90 in
abgeschwächtem Ausmaß wiederholt hat. Polen lag nach dem Ende des
Kommunismus am Boden. Rettung versprach und brachte schließlich die
EU. Das wissen die Menschen bis heute zu schätzen. 85 Prozent der
Polen sind begeisterte Europäer. In Deutschland ist das anders. Im
Osten des wiedervereinten Landes hat man sich an den Brüdern und
Schwestern jenseits der Elbe abgearbeitet. Bonn half oder wickelte
ab, nicht Brüssel. Aber auch in der alten Bundesrepublik hat jenes
Modell längst ausgedient, das ausnahmslos alle Kanzler von Adenauer
über Brandt und Schmidt bis hin zu Kohl einst beschworen haben. Nur
noch die wenigsten Menschen verbinden mit der EU Frieden, Freiheit
und Wohlstand - eher das Gegenteil. Vor allem wenn es ums Geld geht,
gilt Brüssel als die Wurzel allen Übels. Rostowskis Kriegswarnung ist
auch als Versuch zu verstehen, insbesondere den Deutschen die
Grundlagen der europäischen Einigung ins Gedächtnis zu rufen. Der
streitbare Pole hat aber noch mehr im Sinn. In seinen Augen zählt die
Osterweiterung zu den tragenden Säulen der heutigen EU. Die "neuen
Europäer" spielen beim Euro-Krisenmanagement bislang jedoch nur eine
Nebenrolle. Paris und Berlin machen die Dinge unter sich aus. Das
wiederum zeugt nicht nur von Überheblichkeit, es ist auch dumm. In
vielen osteuropäischen EU-Staaten gibt es in Währungsfragen eine
ähnliche Stabilitätskultur wie in Deutschland. Warum Kanzlerin Merkel
sich derart einseitig auf ihren schwierigen Partner Nicolas Sarkozy
stützt, statt breitere Bündnisse zu schmieden, bleibt deshalb das
größte Rätsel.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

352844

weitere Artikel:
  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Unwetterfolgen in Sachsen-Anhalt Halle (ots) - Eine Gratwanderung, auf der sich die Landesregierung bei der Hilfe für die Opfer des Unwetters befindet. Und so sendete Ministerpräsident Haseloff gestern verschiedene Signale aus: Ja, Betroffenen ohne Versicherungsschutz wird geholfen, vermutlich durch vergünstigte Kredite. Nein, pauschale Überweisungen wird es nicht geben. Und das zu Recht. Ein gewisses Maß Eigenverantwortung darf auch von Hausbesitzern erwartet werden. Wer es aber versäumt hat, seine eigenen vier Wände zu versichern, darf im Unglücksfall nicht automatisch mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Stasi-Unterlagenbehörde Halle (ots) - Dummerweise sind die Dinge aber nicht so, wie der ebenso mutige wie freundliche Ex-Dissident aus Jena es sich wünscht. Sie sind anders. Und es ist höchste Zeit, das jetzt einzusehen. Denn Jahn läuft Gefahr, nicht mehr als mutig, sondern als unbelehrbar zu gelten. Er ist dabei, sich mit seinem Dienstherrn anzulegen - was für sich genommen nicht das Schlimmste wäre. Und bei all dem erreicht er sein Ziel nicht. Im Gegenteil: Im Falle einer Gesetzesänderung in seinem Sinne dürften nicht allein die Betroffenen klagen, sondern mehr...

  • Rheinische Post: Wende auf Dänisch Düsseldorf (ots) - Nach zehn Jahren bekommt Dänemark eine neue Regierung. Sie wird weiter links stehen, wenigstens auf dem Papier. Aber der Sieg der Vier-Parteien-Koalition unter Führung der Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt wird das Land nicht umkrempeln. Dazu fiel das Wahlergebnis zu knapp aus. Die Vorgängerregierung von Ministerpräsident Lars Rasmussen wurde zwar abgewählt, aber nicht aus dem Amt gejagt; seine Rechtsliberalen wurden sogar zur stärksten Partei im Land. Die Rechtspopulisten, die Rasmussens Minderheitsregierung mehr...

  • Rheinische Post: Ruhe bei Geldanlage Düsseldorf (ots) - Es ist nicht die Zeit, die Situation an den internationalen Finanzmärkten in rosaroten Farben zu malen und so zu tun, als wäre alles halb so schlimm. Die Schuldenkrise ist veritabel, und die Folgen, die daraus noch entstehen könnten, sind gewaltig. Aber es ist genauso fatal, Investoren mit immer neuen Wendungen in der Griechenland-Diskussion regelmäßig zu verschrecken. Ständig wiederkehrende Weltuntergangs-Szenarien treiben vor allem wenig erfahrene Investoren auf den Baum, und das ist weder im Sinne der Anleger mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Lebensmittelpreisen Halle (ots) - Die niedrigen Preise mögen für die Kunden zwar erfreulich sein. Die Hersteller aber klagen über die Strukturen des Lebensmitteleinzelhandels. Die großen vier Handelsunternehmen - Edeka, Aldi, Lidl und Rewe - kontrollieren 85 Prozent des Absatzmarktes. An ihnen führt kein Weg vorbei für Hersteller, die ihre Ware an eine breite Kundschaft verkaufen wollen. Gegen diese Übermacht fällt es den Herstellern gegenwärtig sehr schwer, notwendige Preissteigerungen wegen teurerer Rohstoffe und Energie durchzusetzen. Es ist deshalb mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht