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WAZ: Ein Täter macht sich selbst zum Opfer Anmerkungen zum Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg - Kommentar von Ulrich Reitz

Geschrieben am 01-03-2011

Essen (ots) - "Was sagst Du denn jetzt Deinen Kindern über
Ehrlichkeit und Anstand", fragt mich der 75-jährige Chef einer
mittelständischen Düsseldorfer Brauerei beim Metzger. Eine Antwort
wartet der aufgebrachte Mann nicht ab. "Ich hab meinen Sohn gefragt:
Was wählen wir denn jetzt?" Der hat geantwortet: "Nichts." Die beiden
haben nie eine andere Partei gewählt als die CDU. Am Tag nach dieser
Szene tritt "KT", ihr gefallenes Idol, zurück.

Katharsis heißt es in der Literatur, wenn ein Ende, selbst ein
blutiges, eine befreiende Wirkung hat. Karl-Theodor zu Guttenbergs
Ende als Bundesminister der Verteidigung befreit leider nichts und
niemanden. Auch die Opposition, SPD und Grüne, wird nicht
profitieren. Sie haben Guttenberg gejagt, aber er ist nicht ihre
Trophäe. Ein derartiges Phänomen, das eine ausweglose Niederlage
markiert, heißt in der Literatur: tragisch. Es ist zuallererst
Guttenbergs Tragödie. Sie ist sehr persönlich. Als Vater muss er
seinen beiden Töchtern erklären, weshalb er nicht mehr Minister sein
kann, sein darf. Was sagt er ihnen? Dass die Anderen Schuld sind?
Etwa die Medien? Sie, die aufdeckten, was er unbedingt geheim halten
wollte: Lug und Trug mit dem akademischen Ehrentitel. Sie, die - mit
Ausnahme von "Bild" - hart dieses missglückte Krisenmanagement, die
Salamitaktik beim scheibchenweisen Zugeben des am Ende Unleugbaren,
kommentierten? Sie, die diese beeindruckende Kunst der Inszenierung
ausleuchteten, die am Ende zusammenbrach, weil nur ein uraltes Spiel
gegeben wurde, das vom Kaiser, der nackt dasteht. Als
Spitzenpolitiker war Guttenberg eine Projektion. Für seine vielen
Fans der Wunschtraum schlechthin: So sollten bitte alle Politiker
sein. Humorvoll, glamourös, unabhängig, schneidig, modisch, mutig,
fotogen. Guttenberg lieferte die gewünschten Bilder gleich im
Reihenabwurf: vom Times Square in New York (da nahmen viele
Redaktionen die Allmachtsgeste noch als Ironie oder Scherz), aus dem
afghanischen Wüstensand, aus der Minister-Maschine. Oft verstärkte
seine leuchtende Frau den Lichteffekt, den sonst nur Königskinder
auslösen. Guttenbergs Ende zeigt, dass der Sturz aus luftiger Höhe
weitaus härter ausfällt als der aus Erdnähe. Nicht die Medien haben
Guttenberg gestürzt, nicht die CDU, obschon zuletzt immer mehr
Spitzenleute auf Abstand gingen, nicht die CSU, die vielleicht sein
größtes Opfer ist, weil ihr einstweilen nur noch Seehofer bleibt,
schon gar nicht SPD oder Grüne. Auch nicht jene Wissenschaftler und
Intellektuellen, die sich von ihm beschämt und verhöhnt vorkamen.
Sicher: Beigetragen haben alle irgendwie dazu, aber gestürzt hat am
Ende Guttenberg nur sich selbst. Wie das? Er lebte davon, anders zu
sein. Ehrlich, anständig, offen, unverstellt. Authentisch. Sein
eigener Betrug (war es auch ein Selbstbetrug?) zerstörte, wovon er
lebte. Deshalb hat ihn auch die FAZ fallen lassen, nicht obwohl,
sondern gerade weil sie sich als konservativ versteht und diesen
fortlaufenden Verstoß gegen konservative Anschauungen und Werte nicht
verteidigen mochte. Guttenberg ließ sich gern konservativ nennen,
Konservative, auch Minister, nannten ihn am Ende, vertraulich, einen
Verräter. Weil er, der Täter, sich zuletzt auch noch, wie
unverfroren, als Opfer gab. Ein politischer Selbstmörder sozusagen,
der die anderen als Mörder bezichtigt. Viele Menschen, da machen sich
auch Journalisten nichts vor, werden es anders sehen, etwa so: Da hat
das graumäusige Establishment einen hinweggerafft, den es als
Lichtgestalt für unerträglich hielt. Es steht also zu befürchten,
dass der Abstand zwischen jenen, die so denken, und den Politikern,
deren Ansehen wohl noch nie so niedrig war wie heute, noch wächst.
Guttenberg hat nichts getan, um dem entgegenzuwirken. Auch gestern
nicht. Er blieb uneinsichtig selbst im Abgang. Ein
Verteidigungsminister, der verbrannte Erde hinterlässt. Eine Krise,
die über das bürgerliche Lager weit hinausreicht. So viel
Ratlosigkeit war nie.



Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


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