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Tunesien nach der Revolution - auf dem Weg ins Chaos oder einer besseren Zukunft?

Geschrieben am 25-01-2011

Berlin / Tunis (ots) - (GTAI) Der Diktator ist weg, die
Demonstrationen gehen weiter. Trotz der Flucht von Ex-Präsident Zine
El Abidine Ben Ali kommt Tunesien nicht zur Ruhe. Die Bevölkerung
misstraut der Übergangsregierung, das alte Regime sei darin noch zu
präsent. Und so gehen die Demonstranten in Tunis weiter auf die
Straßen, wirklich zur Ruhe gekommen ist das Land noch nicht. Doch
wie sieht die Zukunft Tunesiens aus? Aus Tunis GTAI-Korrespondenten
Fausi Najjar.

Im Wirtschaftsleben bergen Neuanfänge immer auch neue Chancen. Vor
allem bei einem positiven politischen Wandel in Tunesien ist deswegen
ein großes Potenzial für deutsche Unternehmen zu erwarten. Richtig
ist: Der Wandel ist noch nicht abgeschlossen. Die Übergangsregierung,
die innerhalb von drei Monaten Wahlen bewerkstelligen soll, steht
heftig in der Kritik: Die Bevölkerung befürchtet, dass die neue
Regierung die Privilegien und den Einfluss der alten Kader in das
"Neue Tunesien" retten möchte. Umso schneller müssen nun die
politischen Versprechen umgesetzt und der Demokratisierungsprozess
forciert werden.

Die politischen Unwägbarkeiten dürfen aber über eines nicht hinweg
täuschen: Der Sturz des Präsidenten Ben Ali und die Vertreibung
seiner familiären Clique ist in dem wirtschaftlich am weitesten
entwickelten Land Nordafrikas erfolgt und es waren insbesondere die
vergleichsweise breite tunesische Mittelschicht sowie die jungen
Menschen, die entscheidende Kraft beim Umsturz. Bürgerinnen und
Bürger aus allen Schichten sind auf die Straße gegangen, wie vor Ort
bei der letzten Großkundgebung in Tunis vor Ben Alis Flucht zu
beobachten war. Völlig zu Recht spricht deswegen der Nahost-Experte
und Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes,
davon, dass "Tunesien reif für die Demokratie sei". Entscheidend in
der Argumentation von Perthes ist, dass die Mittelschicht sich einer
politischen Restauration wahrscheinlich widersetzen würde.

Die wirtschaftlichen Probleme vor denen Tunesien nun steht, sind
auch so schon groß: Es wird schwierig bleiben, die hohe
Arbeitslosigkeit - vor allem bei den Akademikern - und die regionalen
Gefälle im Land zu mindern; dass bei der Förderung der Landwirtschaft
oder bei der Subventionierung von Grundnahrungsmitteln nun die reine
Marktlehre zum Zuge kommen wird, ist nicht zu erwarten, muss aber
womöglich in Kauf genommen werden. Es steht auch ein Prozess an, den
man mit einer "De-Ben-Alisierung" der Wirtschaft umschreiben könnte.
Das bedeutet, dass nachdem die Pfründe, die Ben-Alis Verwandtschaft
vor allem in den Bereichen Großhandel, Bankwesen und Immobilien
innehatte, abgeschafft wurden, nun eine neue faire Wettbewerbsordnung
her muss. Das wird nur in einem demokratischen Tunesien funktionieren
können.

Sicher wird es mit dem Sturz des alten Regimes auch neue Impulse
für die tunesische Wirtschaft geben. Zu rechnen ist mit einer
erhöhten Investitionsbereitschaft von tunesischen Unternehmen, die -
im Unterschied zu ausländischen Firmen - die Leidtragenden der
Bereicherung des herrschenden Familien-Clans waren. Für tunesische
Unternehmen ergeben sich nun ganz neue Freiheitsgrade; das wird die
gesamtwirtschaftliche Entwicklung stützen.

Der Industrialisierungsgrad und die Mehrwertschöpfung pro Kopf im
produzierenden Gewerbe sind in dem südlichen Mittelmeeranrainer im
regionalen Vergleich mit Abstand am größten. Zu den wichtigsten
Standortfaktoren Tunesiens zählen auch qualifizierte Arbeitskräfte,
eine leistungsfähige Infrastruktur und die geographische Nähe zu
Europa. Es ist unwahrscheinlich, dass die guten
Investitionsbedingungen für ausländische Unternehmen aufs Spiel
gesetzt werden.

Nach Angaben der Deutsch-Tunesischen Industrie- und Handelskammer
(AHK Tunesien) sind insgesamt 280 deutsche Unternehmen vor Ort
tätig, vor allem in den Branchen Textil und Bekleidung, Elektronik
sowie Zulieferer für die Automobilindustrie. Der Bestand deutscher
Direktinvestitionen betrug im Jahr 2008 157 Mio. Euro. Tunesien gilt
als wettbewerbsfähiger Standort für die Produktion vor allem von
Kfz-Teilen und -Zubehör. Auch deutsche Hersteller von Maschinen
verzeichneten 2010 wegen notwendiger Modernisierungen wachsende
Lieferaufträge. Deutschland bezieht aus Tunesien vor allem Waren aus
den Bereichen Textilien und Bekleidung, Elektrotechnik und Erdöl.

Für eine schnelle wirtschaftliche Erholung wird nicht zuletzt vor
allem der Tourismus bald wieder anziehen müssen. Zwar ist das Gewicht
des Tourismus und der Landwirtschaft in Tunesien im
Bruttoinlandsprodukt geringer als die oberflächliche Betrachtung
vermuten lässt, beide Sektoren spielen aber weiterhin eine wichtige
Rolle für die konjunkturelle Entwicklung und hier insbesondere für
den Konsum und die Beschäftigung von unteren Einkommensbeziehern.

Selbstverständlich bleibt im Augenblick die Marktlage in Tunesien
unübersichtlich und es sind Risiken gegeben Schon jetzt sind aber
positive Signale erkennbar: Nach kürzester Zeit arbeiten die See- und
Flughäfen wieder, wenn auch die Ausgangssperren und neue
Sicherheitsbestimmungen im Hafen die Abwicklung noch verzögern.

Für eine positive Entwicklung spricht außerdem, dass neben dem
großen Mut der Tunesier bislang der "Bürgersinn" bei den politischen
Umbrüchen überwogen hat. Bekannt ist, dass sich direkt nach der
Flucht im ganzen Land Bürgerwehren gebildet haben, um ein Chaos
abzuwenden. Die AHK berichtet zudem, dass tunesische Mitarbeiter oder
Teile Ihrer Familien deutsche Unternehmen beschützt hätten.
Plünderungen waren weniger chaotisch als zunächst befürchtet und
richteten sich überwiegend gegen die Einkaufszentren, bei denen der
Ben-Ali-Clan mitmischte. Auch die Unterstützung durch tunesische
Dienstleister gerade in der prekären Phase, wie die automatische
Notaufladung von tunesischen Kartentelefonen, um nicht von der
Außenwelt abgeschnitten zu sein, oder der Anruf des Autovermieters,
um nach dem Rechten zu schauen, sprechen eine eigene Sprache: Ein
Kundenservice der besonderen Art. (F.N.)

Germany Trade & Invest ist die Gesellschaft für Außenwirtschaft
und Standortmarketing der Bundesrepublik Deutschland. Die
Gesellschaft berät ausländische Unternehmen, die ihre
Geschäftstätigkeit auf den deutschen Markt ausdehnen wollen. Sie
unterstützt deutsche Unternehmen, die ausländische Märkte erschließen
wollen, mit Außenwirtschaftsinformationen.



Pressekontakt:
Andreas Bilfinger
T. +49 (0)30 200 099-173
M. +49 (0)151 171 50012
F. +49 (0)30 200 099-111
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