(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Der SPD fehlt das Projekt Leitartikel der Mittelbayerischen Zeitung (Regensburg) zum Zukunftsprogramm der Sozialdemokraten

Geschrieben am 11-01-2011

Regensburg (ots) - Opposition ist Mist", lautet ein mittlerweile
geflügeltes Wort des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering.
Eingedenk dessen muss es für die SPD ein guter Start ins Jahr werden.
Denn in Hamburg kann sich der Kandidat der Sozialdemokraten, der
frühere Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, gute Hoffnungen machen,
den "Mist" hinter sich zu lassen und die Wahlen am 20. Februar
gewinnen. Auch in Rheinland-Pfalz dürfte den Genossen die
Oppositionsbank erspart bleiben. Allein, diese Erfolge täuschen über
einen wichtigen Punkt hinweg: Die SPD hat es immer noch nicht
geschafft, nach dem Wahldebakel von 2009 Tritt zu fassen. Daran
ändert auch die Klausur der Parteispitze nichts, die gestern zu Ende
gegangen ist. Die SPD bleibt dort, wo sie 2009 gestrandet ist: Auf
der Sandbank der selbst verschuldeten Undefinierbarkeit. Mit einem
Fortschrittspapier wollen sich die Sozialdemokraten im Wahljahr neu
aufstellen. Wer es liest, bekommt ein paar Ideen präsentiert, die für
Schlagzeilen taugen: Von einer Entlastung der Familien und Einkommen
im Bereich bis 3000 Euro brutto ist die Rede. Dafür soll der
Spitzensteuersatz auf bis zu 49 Prozent angehoben, das
Ehegattensplitting soll abgelöst werden. Auch soll die unter
Schwarz-Gelb eingeführte Hotelsteuer-Ermäßigung rückgängig gemacht
werden. Vieles, was im Programm zum Thema gesellschaftliche Teilhabe
und gerechterer Verteilung geschrieben steht, klingt im
sozialdemokratischen Sinne wünschenswert und durchaus vertretbar -
für viele andere dürfte es vor allem nach Umverteilung und
Mehrbelastung klingen. Trotzdem: Irgendwie bleibt das Gefühl, die SPD
verharre nach wie vor im Kreis der nächtlich streunenden Katzen. Und
die eint bekanntlich eine Tatsache: Sie sind alle grau. Wie die Union
es lange tat (und oft noch tut) , so müht sich auch die SPD noch
damit ab, die Folgen der großen Koalition hinter sich zu lassen. Die
in der Bilanz äußerst positive Regierung mit der Union hat beide
Seiten dorthin gerückt, wo CDU-Chefin Angela Merkel immer noch
hinstrebt: in die Mitte. Die CDU, so heißt es, leide unter einer
Sozialdemokratisierung. Die SPD, so die folgerichtige Beobachtung,
leidet unter einer Unionisierung. Die Grenzen sind verwischt, das
Profil hat gelitten. Nirgendwo lässt sich dies deutlicher erkennen
als daran, dass nicht die SPD Gewinner der Koalition aus Union und
FDP ist, sondern die Grünen. Der SPD fehlt das Projekt. Derzeit
versuchen die Genossen, den Sieg, den die Blockade der
Hartz-IV-Reform zweifelsfrei darstellt, für sich auszukosten. Der
Erfolg freilich wird ausbleiben. Weil die Sozialdemokraten die
Hartz-Gesetze eingeführt haben, können sie sie nicht komplett
umbauen, ohne sich selbst unglaubwürdig zu machen. Die möglichen
anderen Projekte, die auch im Fortschrittsprogramm benannt werden,
sind bereits abgeschlossen, etwa das Energiekonzept oder die
Gesundheitsreform. Bleiben also die Visionen für eine gerechtere
Gesellschaft, die zwar schön klingen, aber dennoch nicht gerade
profilschärfend sind. Die Genossen seien an dieser Stelle an ein
anderes Zitat aus SPD-Mund erinnert: "Wer Visionen hat, sollte zum
Arzt gehen", hatte Helmut Schmidt einst gesagt. Nein, die SPD muss an
kleinen Beispielen zeigen, wofür sie steht. In der Sarrazin-Debatte
hatte sie die Chance dazu. Ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel hat im
Interview mit dieser Zeitung das Konzept der Leitkultur, das aus dem
Grundgesetz hervorgehe, als Richtschnur für eine Integrationskultur
genannt. Aber wirklich scharfe - und wirklich falsche - Thesen hatte
nur Sarrazin selbst. Wenn die SPD eines lernen kann von dem
unsäglichen Provokateur, dann die Provokation selbst. Ein nett
gemeintes Fortschrittsprogramm mit wenigen harten Forderungen dürfte
sonst seinen Platz neben anderen gut gemeinten Zukunftskonzepten
finden: In einem dunklen und staubigen Regal des Willy-Brandt-Hauses.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

309912

weitere Artikel:
  • Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zu Hartz IV Stuttgart (ots) - Willkommen in der Prozessrepublik Deutschland. Hier wird Ihnen nicht geholfen, hier kommt die Armut vom Amt. Wir verwalten uns zu Tode, die Hartz-IV-Branche boomt. Den Langzeitarbeitslosen bringt das Ganze praktisch nichts, aber unser Gewissen ist beruhigt. Diese gigantische Verschwendung von Arbeitskraft und Volksvermögen wird sich noch steigern. Das geplante Bildungspaket wird den armen Kindern nicht helfen, den Verwaltungsaufwand aber auf eine ganz neue Stufe heben. Wer eigentlich soll das noch erwirtschaften, mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu doppelten Abiturjahrgang Osnabrück (ots) - Weg vom Hotel Mama In wenigen Monaten erhalten so viele junge Menschen wie noch nie in Niedersachsen ihre Abiturzeugnisse. Mit der Hochschulreife in der Tasche werden die Absolventen des Doppeljahrgangs einen Bewerberansturm bei den Universitäten auslösen. Furcht ist aber nicht angebracht. Auch die Universitäten und Hochschulen im Nordwesten geben sich ein Dreivierteljahr vor Beginn des Wintersemesters gelassen. Kein Wunder, hatten sie doch Jahre Zeit, sich auf steigende Studierendenzahlen einzustellen. Zum Glück, mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu SPD Osnabrück (ots) - Willy wählen Das waren noch Zeiten. Mehr Demokratie wagen, hieß eine Forderung des großen Willy Brandt. "Willy wählen" lautete seinerzeit ein ebenso einfacher wie zündender Wahlkampfslogan. Welch Unterschied zur SPD von heute: Weder verfügt sie über einen klaren Kurs noch über einen nur annähernd so charismatischen Kandidaten, wie Brandt einer war. Und wie es aussieht, wird dies noch eine Weile so bleiben. Von Aufbruchstimmung bei den Sozialdemokraten ist jedenfalls auch mehr als ein Jahr nach der desaströsen mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Amerika / Umweltkatastrophen Osnabrück (ots) - Programmierte Katastrophen Das muss man der US-Regierung lassen: Amerikas größte Umweltkatastrophe hat sie schonungslos untersuchen lassen. Die Aussagen der Experten sind so klar, wie es das Wasser im Golf von Mexiko vor dem Untergang der "Deepwater Horizon" war. Im Kern lautet der Befund: Totalversagen der beteiligten Unternehmen, voran des Öl-Multis BP, Systemversagen der Behörden. Und zwar sowohl in Ausübung ihrer Kontrolle über die Wirtschaft in einem Hochrisikobereich - als auch im Krisenmanagement, mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Transplantationsgesetz Osnabrück (ots) - Lebensrettender Lückenschluss Selten können die Abgeordneten des Bundestages so viel Gutes tun wie mit einer Änderung des Transplantationsgesetzes. Damit könnten sie die Zahl der Organspenden erhöhen - und Leben retten. Derzeit sterben in Deutschland jedes Jahr rund 3000 Schwerkranke, weil sie ein dringend benötigtes Organ nicht bekommen. Die Warteliste ist für sie zu lang. Weder flammende Appelle noch ausführliche Informationen oder Broschüren haben den Mangel behoben. Gleichzeitig klafft seit Jahren mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht