(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Der Versöhner und die Unversöhnlichen - Leitartikel

Geschrieben am 09-01-2011

Berlin (ots) - Timothy McVeigh zeigte keine Reue, als er 2001
hingerichtet wurde. Seine Anwälte hatte er angewiesen, nichts gegen
das Todesurteil zu unternehmen. "168:1", soll er kurz vor der
Exekution gesagt haben. McVeigh hatte am 19. April 1995 einen
Lastwagen mit selbst gemischtem Sprengstoff vor ein
Verwaltungsgebäude in Oklahoma City gefahren. Die Detonation brachte
168 Menschen den Tod, 800 wurden verletzt. Über Motive und
Hintermänner hat der amerikanische Terrorist nie viel verraten.
Offensichtlich war nur, dass Hass auf die demokratische
Clinton-Regierung den rechtsextremen Waffennarren ebenso beseelte wie
jener irre Märtyrertrieb, der kein Monopol religiöser Fanatiker ist.
Auch wenn die Hintergründe des Blutbads von Arizona noch im Dunkeln
liegen, so sind Parallelen zu Oklahoma zu erkennen. Wie McVeigh
fühlte sich auch der Tatverdächtige Jared Lee L. abgehängt und
ausgegrenzt, er las angeblich Hitlers "Mein Kampf", aber auch Karl
Marx und hasste offenbar Obama und die Demokraten. Der Kopfschuss auf
die demokratische Abgeordnete Gabriella Giffords kommt einer
versuchten Exekution gleich. Gut möglich auch, dass ihr jüdischer
Glaube eine Rolle spielte. Handelt es sich nun um psychisch verwirrte
Einzeltäter, die wie fast alle Amokschützen und Terroristen in einer
kranken Parallelwelt unterwegs sind, wo nur noch Rache zählt?
Geschehen solche Taten zwangsläufig immer mal wieder, unvorhersehbar
wie eine Naturkatastrophe? Arizonas Sheriff Clarence Dupnik mag die
Theorie vom grausamen Zufall nicht akzeptieren. Dupnik spricht von
einem gesellschaftlichen Klima des Hasses und der Vorurteile, das
psychisch instabile Charaktere weiter aufheize. In der Tat: Die
Zockereien der Wall Street, für die die amerikanischen
Durchschnittswähler bitter bezahlen, die unselige Melange von
ökonomischer Krise, Kriegen und damit einhergehendem Ego-Schaden hat
schwere Verwüstungen in der amerikanischen Seele angerichtet - tiefer
wurzelnd als die Traumata Waco, Somalia und Golfkrieg, die McVeigh
Mitte der 1990er umtrieben. Dem erklärten Versöhner Obama ist es
nicht gelungen, Amerikas Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt von
Denken und Handeln zu rücken. Im Gegenteil: Die Wahl des ersten
Farbigen ins Präsidentenamt scheint das Klima in manchen Gegenden und
Schichten zusätzlich zu vergiften. Betont wird in den USA derzeit
allenthalben das Trennende - die für jede Debatte notwendige
Polarisierung ist vielfach ins Unversöhnliche gekippt. Einst halbwegs
besonnene Medien scheuen vor Hetze nicht zurück, die sinistre Sarah
Palin markiert die Wahlkreise von Abgeordneten, die nicht in ihrem
Sinne stimmten, mit Fadenkreuzen, auch den von Gabriella Giffords. Es
wird kaum zu belegen sein, dass die Morde von Arizona in einem
gemäßigteren Klima nicht stattgefunden hätten. Gleichwohl sind die
Schüsse eine brutal klare Mahnung, die Regeln zivilisierten
Miteinanders und eines fairen politischen Diskurses neu zu beleben.
Gnadenloser Kampf der Kulturen darf kein innenpolitisches
Verhaltensmuster werden. Gegenseitigen Respekt ist die hochdynamische
und wettbewerbsharte US-Demokratie sich und der Welt schuldig.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

309506

weitere Artikel:
  • Lausitzer Rundschau: Ein unmoralisches Angebot Zum kommunalen Spagat zwischen Geld und Kultur Cottbus (ots) - Die Lage ist hoffnungslos. Die Kommunen sind in die Knie gegangen, weil immer mehr Aufgaben von Bund und Land auf sie abgewälzt wurden. Gleichzeitig haben sie aber einen anspruchsvollen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Der Mensch lebt - auch in Cottbus, Guben und Weißwasser - nicht vom Brot allein. Er braucht - je nach Vorlieben - Kultur und Karneval, Bibliothek und Bolzplatz, großes Theater und alternatives Kulturzentrum, völlig davon abgesehen davon, dass solche Angebote zu den unverzichtbaren weichen Standortfaktoren mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Wer zahlt den Schaden? Zu den Folgen des Dioxin-Futtermittelskandals Cottbus (ots) - Aus jedem Lebensmittelskandal wird der Gesetzgeber klüger und stopft wieder eine Lücke - bis Einzelne mit krimineller Energie eine neue Lücke finden. So geht das Spiel nun schon seit Jahren. Es hinterlässt jedes Mal etliche ruinierte Existenzen unter jenen Marktteilnehmern, die unschuldig in den Sog der Affäre geraten sind. Und zutiefst verunsicherte Verbraucher. Auch diesmal muss man aus dem Vorgehen der Futterfettpanscher Konsequenzen ziehen. Dazu gehören die nochmalige Erhöhung der Kontrollintensität und die systematische mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zu Bahn (Korrektur) Ulm (ots) - Das Winterchaos bei der Deutschen Bahn mag zwar viele Kunden verärgert haben. Doch jetzt zeichnet sich ab, dass daraus etwas Gutes entstehen kann. Man höre und staune, inzwischen hat es sich bis nach Berlin herumgesprochen, dass Schienennetze und Züge mitunter modernisiert beziehungsweise ersetzt werden müssen, um einen möglichst pannenfreien Verkehrsfluss zu ermöglichen. Welch bahnbrechende Erkenntnis! Das gilt allerdings noch mehr für den Gedanken, den nun auch Bundesverkehrsminister Ramsauer formuliert hat: Die Bahn mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zur Bahn Ulm (ots) - Das Blutbad in Tucson erschüttert eine ganze Nation. Die Lehre aus der Tragödie kann jetzt nur lauten: Die Waffengesetze in den USA müssen verschärft werden. Man denke an die Massenmorde an der Columbine High School oder vor neun Jahren in Washington, als ein Heckenschütze aus dem Kofferraum seines Autos heraus Menschen niederstreckte. Trotz aller Unklarheiten wird offenkundig: Gesellschaftliche Frustration und die aufgeheizte politische Stimmung haben eine wichtige Rolle beim Mordanschlag gespielt. Im Internet wetterte mehr...

  • WAZ: Geistige Orientierung. Kommentar von Tobias Blasius Essen (ots) - Neujahrsempfänge sind normalerweise Sammlungsorte selbstzufriedener Regierungsparteien oder eines angriffslustigen Oppositionslagers. Norbert Röttgen, im Hauptberuf Bundesumweltminister und im Nebenjob neuer Chef der deprimierten NRW-CDU, beschreitet einen dritten Weg. Er will seiner Partei "geistige Orientierung" schenken, statt ihr griffige Kampffloskeln für die tägliche Auseinandersetzung mit der rot-grünen Minderheitsregierung vorzukauen. In vier zentralen Themenfeldern solle sich die NRW-CDU erneuern und mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht