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NRZ: Glück, Wunder und Auftrag/20 Jahre Deutsche Einheit. Leitartikel von Chefredakteur Rüdiger Oppers

Geschrieben am 01-10-2010

Essen (ots) - Die deutsche Einheit ist noch immer ein Wunder - und
wie die meisten Wunder wird es verkannt. Was wir wie eine
Selbstverständlichkeit mehr gelangweilt akzeptieren, als dankbar
gestalten, ist ein historisches Ereignis, von dem noch zukünftige
Generationen voller Staunen sprechen werden. Die Einheit ist ein
Glück. Sie war aber weder Zufall noch zwangsläufiges Ereignis,
sondern Ergebnis kluger Staatskunst und ihrer Protagonisten. Helmut
Kohl hatte den "Wind of Change" gewittert, lange bevor er über die
Grenze kam. Nachdem die friedliche Revolution der Ostdeutschen die
Mauer zu Fall gebracht hatte, gab es die einmalige Chance zur
Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Wiedervereinigung? Vor 21
Jahren klang das Schlagwort im Westen wie ein Echo aus einer längst
versunkenen Welt. Doch in Leipzig und Dresden wurde daraus eine
machtvolle Melodie von Millionen DDR Bürgern, die nicht nur die
D-Mark begehrten, sondern einen neuen Staat mit Freiheit und
Gerechtigkeit von Saarbrücken bis Görlitz. Helmut Kohl hat den
millionenfachen Ruf der ostdeutschen Landsleute "Wir sind ein Volk"
ernst genommen und ihn als persönliche Verpflichtung auf sich
genommen. Deshalb sind diesem Bundeskanzler alle Deutschen zu Dank
verpflichtet, ebenso wie Michail Gorbatschow und Präsident Bush.
Profitiert hat davon der ganze Kontinent. Die Welt vor 20 Jahren war
zweigeteilt zwischen Ost und West. Heute heißt die neue
Internationale: "EU". Viele kommunistische Diktaturen von einst sind
heute verlässliche Bündnispartner des "alten Westens", und selbst in
Russland steht die Börse höher im Kurs als Marx und Lenin. So ist in
der Folge der Deutschen Einheit die EU vor allem zu einer Union von
Ost und West geworden. Damit hat sich die Einschätzung Konrad
Adenauers - des ersten Wegbereiters des 3.10. - als wahr erwiesen,
dass die deutsche und die europäische Einheit nur zwei Seiten einer
Medaille seien. Wunderbar. Und wie ist die Stimmung im Land des
Jubilars? Die Helden von einst sind ihres Sieges überdrüssig
geworden. 20 Jahre nach der Einheit steht unser Land bestens da. Wir
sind besser durch die Finanzkrise gekommen als andere europäische
Staaten, und dennoch ist die Stimmung trübe. Eine führende Schweizer
Zeitung hat anlässlich des Jubiläums die hiesigen Befindlichkeiten
analysiert und uns eine fatale Lust an der "politischen
Schweinegrippe" attestiert. Wolf Biermann, aller Wessi-Dünkel
unverdächtig, bemerkte an seinen ostdeutschen Zeitgenossen einen Hang
zum "breitärschigen Selbstmitleid". Schöne Provokation. Aber beide
Beobachtungen sind nicht ganz falsch. Während wir bei unseren
Nachbarn, die nach dem verheerenden Weltkrieg von Feinden zu Freunden
wurden, erstmals mit Neid betrachtet werden - ein französischer
Spitzenpolitiker mokierte sich gar über das deutsche
Wirtschaftswachstum "á la Chinoise" -, stecken wir im Kulturkampf um
Thilo Sarrazins steile Thesen und fürchten den Untergang des
Abendlandes. Freude kommt allenfalls auf, wenn Lena singt oder Jogi
siegt. Schland, oh Schland, wo ist dein Selbstbewusstsein geblieben?
Nun war den Deutschen der Hamlet stets näher als der
Sommernachtstraum, doch an diesem Feiertag dürfen wir mal raus aus
unserer Haut und uns dankbar erinnern an die Euphorie in Ost und
West, als der Traum von der Freiheit wahr wurde. Was wir daraus
gemacht haben, ist weniger als die euphorisch beschworenen "Blühenden
Landschaften", aber eine große gemeinsame Anstrengung ohne Beispiel.
Dabei haben unsere Landsleute im Osten Veränderungen erlebt, die ihr
Leben nicht nur positiv gewandelt haben. Wir im Westen sind vor allem
Zahlmeister der Einheit. Heute, nach 20 Jahren "Aufbau Ost", ist es
legitim zu fragen, ob marode Kommunen wie Oberhausen, Moers oder
Duisburg, die ihren Bürgern eine Grundversorgung mit Schwimmbad und
Theater nicht mehr gewährleisten können, weiterhin für die
Stadtsanierung in Dessau oder Erfurt zur Kasse gebeten werden
sollten. Damit die deutsche Einheit uns alle mit Stolz erfüllt, muss
dieser kritische Dialog geführt werden. Am Anfang der Einheit stand
Konrad Adenauer, ins Werk gesetzt hat sie Helmut Kohl. Aber wir, die
Bürger, müssen sie leben.

Originaltext: Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/58972
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_58972.rss2

Pressekontakt:
Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Redaktion

Telefon: 0201/8042607


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