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WAZ: Der Rechtsstaat und die Schützen Die Täter werden straffrei bleiben - Leitartikel von Ulrich Reitz

Geschrieben am 12-08-2007

Essen (ots) - Allen, die sich völlig zu Recht aufregen über die
kalte Brutalität, mit der Stasi-Schergen ausdrücklich befohlen wurde,
auch Frauen und Kinder an der Grenze umzulegen, und die nun erwarten,
dass die Täter endlich verurteilt werden, machen ihre Rechnung ohne
die (west-)deutsche Justiz. Denn erschreckend aktuell ist die alte
Feststellung der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, wonach man
Gerechtigkeit gewollt, stattdessen aber den Rechtsstaat bekommen
habe.

Die allermeisten Mauerschützen, die vor Gericht
appetitlicherweise durchweg so argumentierten wie die
Nazi-Kriegsverbrecher in den Nürnberger Prozessen 1946, kamen mit
Bewährungsstrafen davon. Selbst solche, die sich nicht begnügten, auf
die Beine zu zielen. Von 111 Grenzsoldaten, die überhaupt angeklagt
wurden, erhielten 61 eine Bewährungsstrafe; 44 wurden sogar
freigesprochen. Nur zwei gingen ins Gefängnis.

Das war, entgegen jenen Sonntagsreden, die nach Gerechtigkeit
riefen, politisch so gewollt. Es begann mit dem Einigungsvertrag, den
die Regierung Kohl mit der Regierung de Maiziere aushandelte. Der
schrieb für Straftaten vor der Einheit die Gültigkeit des
DDR-Strafrechts fort. Dass damit einer Diktatur sozusagen attestiert
wurde, sich verhalten zu haben wie ein Rechtsstaat, wurde
ausgeblendet; dass DDR-Gesetze vor allem SED-Gesetze waren, war egal.
Man musste sich also kaum wundern, als die Staatsanwaltschaft
Neuruppin in einem Mauermörder-Prozess kühl feststellte: "Der Einsatz
einer Schusswaffe gegen eine Person, die nach den Gesetzen der DDR
unerlaubt die Grenze überschreitet und sich dieser Festnahme durch
Flucht entziehen wollte, ist nicht offensichtlich
rechtsstaatswidrig." So konnten Nachwende-Juristen einen verzweifelt
Freiheitsliebenden noch in einen Verräter umdeuten, der sich seinen
staatlich angeordneten Tod quasi verdient hatte.

Der Bundesgerichtshof ließ unter Hinweis auf den Einigungsvertrag
überhaupt nur noch Verfahren zu, bei denen ein Flüchtling erschossen
wurde. Dessen schwere Verletzung reichte nicht einmal aus für ein
Verfahren. Dass die Flüchtlinge unbewaffnet, also völlig wehrlos
waren, spielte gleichfalls keine Rolle. Die Ungerechtigkeit, die der
deutsche Rechtsstaat beschloss, setzte sich fort bei den
Renten-Regelungen, die dafür sorgten, dass Wärter des berüchtigten
Bautzener Gefängnisses mehr bekamen als ihre Häftlings-Opfer.

Bleibt ergo die Frage, worüber man sich heute, am Jahrestag des
Mauerbaus, denn ganz genau empören sollte.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
Pressemappe via RSS : feed://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

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Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de


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