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WAZ: Wahlen in der Türkei: Eine neue Klasse will nach oben - Leitartikel von Gerd Höhler

Geschrieben am 23-07-2007

Essen (ots) - Tayyip Erdogan bleibt türkischer Ministerpräsident.
Das wird auch manche freuen, die ihn am Sonntag nicht gewählt haben.
Türkische Wirtschaftsführer zum Beispiel, die Erdogan wegen seiner
Vergangenheit als Islamist immer noch misstrauen, andererseits aber
jetzt auf eine Fortsetzung der marktwirtschaftlichen Reformen hoffen
dürfen. Erdogan hat im neuen Parlament eine bequeme absolute
Mehrheit. Zugleich verfehlte seine AK-Partei aber eine
Zweidrittelmehrheit. Die Gefahr islamistischer Experimente scheint
damit zunächst gebannt. Das dürfte Opposition und Militärs, die dem
gewendeten Fundamentalisten nicht über den Weg trauen, beruhigen.

Die Kraftprobe dieser Parlamentswahl ist mit dem Votum aber
keineswegs entschieden. Es geht dabei um mehr als den Machtkampf
zwischen religiös und säkular geprägten Kräften. In dem unerwartet
klaren Wahlerfolg der Erdogan-Partei, wie auch in der Wahl der
Kurdenpolitiker, manifestiert sich ein sozialer Wandel, der die
politische Landschaft der Türkei grundlegend zu verändern beginnt.
Seit Gründung der Republik vor 84 Jahren dominierten das Militär und
die westlich geprägte Istanbuler Elite das politische,
wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Türkei. Aber Macht
und die Privilegien dieser Elite sind in Gefahr. Eine neue Klasse
beginnt sich in der Türkei zu etablieren.

Sie kommt aus dem bäuerlichen, religiös-konservativen Milieu
Anatoliens. Aus den ehemals mittellosen, ungebildeten
Landflüchtlingen wächst eine neue Mittelschicht heran, deren
Selbstbewusstsein nicht zuletzt auf wachsendem Wohlstand gründet. Von
einst verschlafenen Orten wie Gaziantep, Adana, Konya oder Kayseri
spricht man inzwischen als den "Tigerstädten" Anatoliens. Erdogan
selbst, der sich aus einfachsten Verhältnissen hocharbeitete, ist
eine Symbolfigur dieser neuen Türkei.

Viel wird nun davon abhängen, wie Erdogan mit diesem Sieg umgeht.
Im Wahlkampf präsentierte er seine AKP als Partei der Mitte. Die
Frage ist, ob sich dieser Kurs im neuen Kabinett bestätigt und ob
Erdogan, wie bisher, der Versuchung widersteht, die Türkei mit einer
Militärintervention im Nordirak in ein Himmelfahrtskommando zu
stürzen? Der Druck der Generäle und der Ultra-Rechten, die nun mit 70
Abgeordneten im Parlament sitzen, wird jedenfalls nicht geringer. Auf
ihr Erstarken gibt es nur eine wirksame Antwort: die europäische
Integration der Türkei. Erdogan weiß das. Noch in der Wahlnacht
versicherte er deshalb, entschlossen an der Verwirklichung des
EU-Zieles weiterarbeiten zu wollen.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

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Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de


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