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Schweriner Volkszeitung: "Die Gipfel-Idee wurde verwässert", schreibt Hans-Dietrich Genscher in einem Gastbeitrag. Der ehemalige Außenminister fordert kleinere Gipfel. Erforderlich sei eine Rückkehr z

Geschrieben am 05-06-2007

Schwerin (ots) - Von Hans-Dietrich Genscher

Die G8-Treffen sind ins Gerede geraten, manchmal weniger
thematisch, als wegen der Umstände, unter denen sie stattfinden. Da
macht Heiligendamm keine Ausnahme, bei vorangegangenen Treffen war
das nicht anders. Die Frage ist berechtigt, muss sich etwas ändern?
Natürlich muss es.

Die Idee einen Weltwirtschaftsgipfel zu schaffen war richtig, ist
richtig und wird es auch in Zukunft bleiben. Die Gründerväter, der
damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und der damalige französische
Staatspräsident Valéry Giscard d´Estaing hatten die richtige
Vorstellung, dass eine gemeinsame weltwirtschaftliche Analyse und
eine Strategiediskussion der aus ihrer Sicht wichtigsten
Wirtschaftsnationen notwendig sei. So kam es auf Einladung des
französischen Staatspräsidenten 1975 auf Schloss Rambouillet zu einem
Treffen der Präsidenten Frankreichs und der USA, sowie der
Regierungschefs Deutschlands, Englands und Japans - die G5 waren ins
Leben gerufen. Sehr bald kamen Italien und Kanada hinzu - aus G5
wurden G7. Später, nämlich 1990, schlugen Frankreich und Deutschland
vor, den sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow
einzuladen. Das fand nicht ungeteilte Unterstützung, vor allem
Washington und London waren zurückhaltend. Schließlich waren sie nach
langem Hin und Her bereit, Michail Gorbatschow nach Abschluss des
offiziellen Treffens in London 1991 hinzuzuladen. London legte Wert
darauf, dass dies auf jeden Fall nach Bekanntgabe der
Konferenzergebnisse stattzufinden habe. Der Versuch Frankreichs und
Deutschlands, die Position Gorbatschows in dem immer deutlicher
werdenden Machtkampf in Moskau zu stärken, war auf weniger als dem
halben Wege stecken geblieben.

Die ursprüngliche Idee der Gründerväter, eine vertrauliche,
verantwortliche und substantielle Diskussion unter den
Gipfelteilnehmern möglich zu machen, wurde zunehmend verwässert. Eine
Entwicklung begann, die man leider mit Begriffen wie Inszenierung und
Bürokratisierung beschreiben muss.

Wichtiger als die Beratungen erscheinen die Auftritte der
Gipfelteilnehmer auf immer größeren Tribünen der Weltpresse und immer
bürokratischer wird die Vorbereitung der Gipfeltreffen. Die so
genannten "Sherpas" ringen monatelang um die Tagesordnung und um
immer länger werdende Kommuniqués, mit denen die Öffentlichkeit
unterrichtet werden soll, worüber und mit welchem Ergebnis die
Teilnehmer des demnächst stattfindenden Gipfeltreffens gesprochen
haben werden.

Erforderlich ist jetzt eine Rückkehr zu vertraulichen Beratungen
im kleinen Kreis. Es ist wichtig, dass man voneinander weiß, wo der
Einzelne steht, dass man sich über Grundlinien verständigt und dass
diese dann in den zuständigen internationalen Organisationen, Gremien
und in den multilateralen Verhandlungen umgesetzt werden. Das macht
es überflüssig, ganze Heerscharen von Beratern mit zum Gipfel zu
nehmen. Es muss unterstellt werden können, dass die Gipfelteilnehmer
die behandelten Themen beherrschen. Einzelfragen können mit den
Mitteln modernster Kommunikation schnellstens aus den
Regierungszentralen beantwortet werden. Wichtig für die Beratungen
ist die Teilnahme der Staats- und Regierungschefs, der Außenminister
und Finanzminister und nicht zu vergessen der Sherpas.

Die Befreiung von Kommuniquézwang bedeutet nicht nur
Entbürokratisierung der Treffen, sie eröffnet auch Freiräume für
vertiefte Diskussionen.

Bemühungen der Bundesregierung um eine substantielle
Schwerpunktbildung und Konzentration auf die Gipfeldiskussionen haben
leider nicht den gewünschten Erfolg gebracht, sie waren dennoch
richtig und müssen weiter verfolgt werden. Diese Aufgaben liegen bei
dem deutschen Sherpa, Bernd Pfaffenbach, in den denkbar besten
Händen.

Eine andere Reformaufgabe, nicht weniger dringlich, liegt in der
Erweiterung des Mitgliederkreises der Gipfeltreffen. Man darf sich
nicht wundern, wenn die Verweigerung eines solchen Status für China
und Indien dort als Überheblichkeit und Ignoranz wahrgenommen wird.
Und warum wird Afrika ein solcher Status verweigert, oder auch ganz
Lateinamerika? Auch hier hat die Bundesregierung sich um Fortschritte
bemüht und sie bleibt darum bemüht, China, Indien, Mexiko, Brasilien
und Südafrika immer enger an den Gipfel heranzuführen. Das verdient
auch nach Ende der deutschen Präsidentschaft die breiteste
Unterstützung. Wenn man jetzt nicht weiterkam, so ist das nicht der
Bundesregierung anzulasten, sondern denen, die sich in einem
überholten, globalen Besitzstandsdenken den durch die Entwicklung
gebotenen Einsichten verschließen. Wer in einer Zeit globaler
Interdependenz wichtige Kraftzentren dieser Welt ausschließt, ist in
der Gefahr sich selbst einzuschließen.

Während diese Zeilen niedergeschrieben werden, hat der Gipfel noch
nicht stattgefunden. Eines kann aber heute schon gesagt werden: Diese
jährlichen Gipfelkonferenzen sind wichtig und sie sind notwendig. Der
Vorwurf, man maße sich den Status einer Weltregierung an, ist
unberechtigt und er bleibt unberechtigt, solange nicht der Versuch
unternommen wird, sich an die Stelle der Vereinten Nationen oder
anderer internationaler Institutionen zu setzten. Darüber wird in
Heiligendamm in allem Ernst zu sprechen sein.

Richtig bleibt: In einer immer enger zusammenwachsenden Welt, also
immer stärker interdependenten Welt, sind der Versuch gemeinsamer
Analysen und die Diskussion gemeinsamer Strategien wichtiger Akteure
unverzichtbar. Für die Bedeutung solchen Meinungsaustausches und
solcher wünschenswerter Verständigung ist es erforderlich, dass die
Zusammensetzung des Gipfels nicht die Welt von gestern widerspiegelt,
sondern die Welt von heute und die Welt von morgen. Altes Denken war
noch immer ein schlechter Ratgeber.

Originaltext: Schweriner Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=65397
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_65397.rss2

Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Schweriner Volkszeitung
Matthias Hufmann
Telefon: +49 (0385) 63 78 553
hufmann@svz.de


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