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Landeszeitung Lüneburg: Interview mit Niedersachsens Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel

Geschrieben am 10-05-2007

Lüneburg (ots) - Laut Weltklimarat kostet es nicht die Welt, die
Welt vorm Kollaps zu bewahren. Macht die Landesregierung genug in
Sachen Klimaschutz? Stefan Wenzel: Nein, die Landesregierung
ignoriert das Thema bisher weitgehend. Ministerpräsident Wulff und
die CDU-Fraktion haben zwar eine Veranstaltung zu dem Thema
durchgeführt, doch das schlägt sich bislang im politischen Handeln
nicht nieder. Wir haben jetzt den "Generalplan Küstenschutz" auf den
Tisch bekommen. Darin geht die Landesregierung davon aus, dass der
Meeresspiegel in den kommenden 100 Jahren nur um 25 Zentimeter
steigen wird. Die Klimaforscher gehen dagegen von einem Anstieg
zwischen 80 Zentimetern und einem Meter aus.
Könnte ein Tempolimit auf niedersächsischen Autobahnteilstücken ein
Signal sein für eine entsprechende Bundesrats"initiative? Wenzel: Ein
Tempolimit wäre sicherlich eine sinnvolle Maßnahme, insbesondere auch
unter dem Aspekt Verkehrssicherheit. Aber wir dürfen uns nicht der
Illusion hingeben, dass wir mit einer solchen Maßnahme den
Klimawandel aufhalten könnten. Dazu sind grundsätzlichere
Veränderungen notwendig. So müssen wir die Energieversorgung der
Haushalte angehen. Heute hat der normale Haushalt eine Heizung und
bezieht parallel Strom aus einem Großkraftwerk. Wenn wir unsere
Energieversorgung umstellen auf Blockheizkraftwerke, die gleichzeitig
Strom und Wärme produzieren, können wir 50 Prozent CO2-Emissionen
einsparen. Das stößt natürlich auf Widerstand bei den großen
Stromversorgern, würden ihnen doch viele kleine Mitbewerber
erwachsen. Mit einer solchen grundlegenden Energiewende könnten wir
auf neue Kohlekraftwerke verzichten.
Dennoch will Hannover drei neue Kohlekraftwerke genehmigen. Was wäre
sinnvoller? Wenzel: Neben dem Ausbau der
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen sowie der Bestückung von Dachflächen
mit Solaranlagen müssen alte Windkraftanlagen im Binnenland ersetzt
werden. Dazu ist der Ausbau von Offshore-Anlagen vor den Küsten
erforderlich. Der Sektor Bioenergie muss gestärkt werden. Das Modell
des Dorfes Jühnde, südwestlich von Göttingen, das seine Energie zu
100 Prozent aus Biomasse bezieht, kann im Grunde auf jedes
niedersächsische Dorf übertragen werden. Das Fatale im Moment ist,
dass der Emissionshandel wie ein Förderprogramm für die Kohle wirkt.
Weil die Bundesregierung die Emissionsrechte verschleudert oder sogar
verschenkt hat, ist der Markt zusammengebrochen. Die Kosten für eine
Tonne CO2-Verschmutzungsrecht liegen deutlich unter einem Euro.
Deshalb rechnet es sich jetzt für die großen Konzerne, Kohle zu
verstromen -- ungeachtet der Tatsache, dass dies klimapolitisch eine
Fehlentscheidung ist. Der Preis müsste bei 35 bis 40 Euro liegen. In
dem Bereich lag er auch schon mal vor einem Jahr. Der Emissionshandel
kann so nicht weitergeführt werden: Entweder sollten die Anteile
versteigert werden oder man wählt den ordnungspolitischen Ansatz und
genehmigt kein Kraftwerk mehr mit einem Nutzungsgrad unter 65
Prozent. Heute kriegen die größten Verschmutzer die größten
Verschmutzungsrechte. Man schenkt den Braunkohle-Stromproduzenten
mehr Anteile als den Steinkohle-Stromproduzenten und denen wiederum
mehr als den Gas-Stromproduzenten. So investiert niemand in die
effizienteste Energieerzeugung. Das ist widersinnig. Hier passiert
das Gegenteil von dem, was Umweltminister Gabriel öffentlich
propagiert. Die drei geplanten neuen Kohlekraftwerke in Niedersachsen
sollten keine Dauerbetriebsgenehmigung erhalten, weil wir sonst eine
klimaschädliche Energieerzeugung auf 35 bis 40 Jahre festschreiben.
Ist die niedersächsische Bauordnung fit für die Genehmigung
effizienter Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen? Wenzel: Nein, man muss den
Gemeinden mit der Bauordnung die Möglichkeit geben,
Nahwärmeversorgung verpflichtend vorzuschreiben. Außerdem brauchen
wir ein Gesetz, das den Einbau von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen auch
in bestehenden Häusern unterstützt. Bundesweit hat die
Kraft-Wärme-Kopplung einen Anteil von zehn Prozent, die Dänen haben
bereits heute 50 Prozent. Da ist also noch Luft nach oben. In den
Großkraftwerken wird überschüssige Wärme in die Flüsse gepumpt --
genauso wie in Atomkraftwerken. Deshalb ist deren Energieeffizienz so
schlecht. Die von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen liegt bei 90 bis 95
Prozent. Zudem kann ich sie mit Gas oder Biomasse betreiben.
Sollen die vorhandenen Atomkraftwerke länger laufen, um den Ausstoß
von Klimakillern zu minimieren? Wenzel: Nein, das würde nur den vier
großen Stromkonzernen dienen. Der Weiterbetrieb der steuerlich
abgeschriebenen Atomkraftwerke bringt den höchsten Profit. Notwendig
wäre deshalb, die Marktmacht der Konzerne zu brechen, indem kleinen
und mittelständischen Stromerzeugern Zugang zum Markt gewährt wird.
Hier fehlt aber sowohl bei SPD als auch bei CDU die Bereitschaft,
sich mit den Stromkonzernen anzulegen.
Niedersachsen ist Deutschlands Agrarland Nummer eins. Ist es auch
Vorreiter in Sachen Agrarwende -- etwa beim Anbau von Biosprit?
Wenzel: In Sachen Agrarwende sollte die Priorität immer auf dem
Einsatz von Biogas zum Beheizen von Wohngebäuden liegen. Solange wir
keine Autos haben, die deutlich weniger Benzin verbrauchen, ist der
Einsatz von Bio-Kraftstoff eine sehr zweischneidige Angelegenheit.
Ein Auto, das acht Liter oder mehr auf 100 Kilometer verbraucht, mit
Bio-Sprit zu betreiben, ist nur vordergründig eine
Umweltschutzmaßnahme. Es müsste soviel Ackerbaufläche vorgehalten
werden, dass die Nahrungsmittelpreise stark steigen.
Deutsche Ingenieurskunst hat weder den Hybridantrieb noch das
3-Liter-Auto auf den Markt gebracht. Sollte Niedersachsen sich aus VW
zurückziehen, da seine Mitsprache bei der Konzernstrategie ohnehin
begrenzt ist? Wenzel: Herr Wulff hatte bisher nicht den Willen, dort
die richtigen Impulse zu setzen, hat in der Vergangenheit die
12-Zylinder-Fahrzeuge verteidigt. Ich glaube, VW hat nur dann eine
Zukunft, wenn es gelingt, künftig sicherzustellen, dass das
umweltfreundlichste Auto der Welt aus Niedersachsen kommt. Bisher
steht gerade mal der Polo BlueMotion auf Platz 7 der
Auto-Umweltliste. Aber eine Lieferzeit bis Oktober zeugt davon, dass
Volkswagen den Markt völlig falsch eingeschätzt und zu sehr auf die
Luxussparte gesetzt hat. Der entscheidende Impuls kommt vom
Verbraucher, aber die Politik kann Druck machen auch im
VW-Aufsichtsrat. Leider haben das weder die sozialdemokratisch noch
die christdemokratisch geführte Landesregierung getan.
Im Atommüllager Asse kam es zum GAU im Schacht. Welche Lehren sind
daraus für die Endlagersuche zu ziehen? Wenzel: Die Asse ist ein
Lager in einem Salzstock und als Versuchsendlager konzipiert worden.
Jetzt soll daraus ein Endlager für die Ewigkeit gemacht werden. Nun
mussten wir feststellen, dass die "ewige" Sicherheit schon nach 30
Jahren endet. Deshalb muss die weitere Einleitung von Magnesiumlauge
sofort unterbunden und ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren
eröffnet werden. Zudem zeigt die Asse, dass wir die ganze
Endlagersuche neu aufrollen müssen. Wir brauchen ein ergebnisoffenes
Endlagersuchverfahren. Hierbei sind Transparenz und Bürgerbeteiligung
neben der geologischen Eignung des Untergrundes wichtige Kriterien.
In Schweden ist das berücksichtigt worden, in Gorleben nicht. Damals
waren die -- sachfremden -- Kriterien: dünn besiedelter Raum,
Westwind und Nähe zur DDR-Grenze.
Sagt das Asse-Desaster etwas über die generelle Eignung von
Salzstöcken aus? Wenzel: Ein Kriterium von Atomendlagerung in
Salzstö"cken ist die Nichtrückholbarkeit. Da habe ich große Bedenken.
Sinnvoller ist es, die Möglichkeit offen zu lassen, dass künftige
Generationen denkbare heutige Fehler korrigieren können.
Die EU ermittelt in Sachen Kettensägenaktion gegen Umweltminister
Sander. Ist das nur ein PR-GAU oder hat Niedersachsens Ruf ernsthaft
gelitten? Wenzel: Ich denke, normalerweise reagiert die EU-Kommission
in solchen Fragen eher mit Langmut. Doch hier ist ihr einfach der
Kragen geplatzt, weil Herr Sander nicht nur mit der Kettensäge ins
Naturschutzgebiet gegangen ist, sondern dann auch noch versucht hat,
die EU-Kommission über die Aktion hinters Licht zu führen. Im
Umweltministerium begreift man Ignoranz als besondere Tugend. Auch
den Klimawandel hält man dort offenbar immer noch für eine Fata
Morgana. Deshalb hatte der Minis"ter auch zunächst null Euro aus den
EU-Strukturförderfonds für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz
vorgesehen. Jetzt sind wohl zwölf Millionen Euro geplant. Das ist
angesichts des Problems nicht ausreichend.
Hamburg will die Elbe ausbaggern, Niedersachsen und Bremen bauen den
Jade-Weser-Port. Kann sich Deutschland ökonomisch wie ökologisch den
Verzicht auf eine nationale Hafenstrategie leis"ten? Wenzel: Nein,
wir brauchen dringend ein nationales Hafenkonzept. Schon die
bisherigen Elbvertiefungen haben die Deiche stark belastet. Hinzu
kommt künftig der Anstieg des Meeresspiegels, der auch in die Flüsse
drückt. Ein erneuter Baggereinsatz würde das Problem verschärfen. Ein
Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven wäre die richtige Lösung. Dort
könnten auch kommende Containergiganten anlegen und geleichtert
werden. Es macht keinen Sinn, Schiffe mit immer größerem Tiefgang
weiter nach Hamburg schippern zu lassen. Auch die Hamburger müssen
sich Sorgen um ihre Deichsicherheit machen. Bisher fehlt es der
niedersächsischen Landesregierung in den Fragen von Elbvertiefung und
nationalem Hafenkonzept an Klarheit. In der Öffentlichkeit hört man
aus Hannover eher kritische Stimmen zur Ausbaggerung der Elbe, in den
Gremien soll dagegen nur abgenickt werden.
Bei ihrer Gründung wurden die Grünen für ihre Öko-Ideen noch
verspottet. Mittlerweile räumt selbst George W. Bush ein Problem beim
Klima ein. Werden die Grünen überflüssig, wenn alle Parteien grüner
werden? Wenzel: Nein, ganz bestimmt nicht. Weil wir leider erkennen
müssen, dass zwar viele von Klimaschutz reden, die vorgeschlagenen
Maßnahmen aber weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Das
Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=65442
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Pressekontakt:
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Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
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