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Verband der TÜV lehnt Zentralisierung der Atomaufsicht ab: Gutachter befürchten negative Auswirkungen auf die Reaktorsicherheit

Geschrieben am 14-01-2007

Berlin (ots) - "Das deutsche kerntechnische Genehmigungs- und
Aufsichtssystem hat sich bewährt. Bei verbesserter Kommunikation und
Kooperation zwischen den in Deutschland beteiligten Stellen, einem
internationalen Erfahrungsaustausch und einer angemessenen Umsetzung
nationaler Erfordernisse bedarf es keiner grundlegenden Veränderung
der heutigen Atomaufsicht mit einem damit verbundenen ungewissen
Ergebnis für die Sicherheit." Dieses Resümee zieht der Verband der
TÜV aus den Ergebnissen eines Gutachtens der Rechtsanwälte Dr. Dieter
Sellner und Gerald Hennenhöfer aus der Anwaltssozietät Redeker,
Sellner, Dahs & Widmaier zur "Aufgabe der Sachverständigen bei der
Gewährleistung der kerntechnischen Sicherheit und Auswirkungen
möglicher Reformen". Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass eine
Reform des deutschen Regulierungssystems durch Zentralisierung auf
eine Bundesbehörde, die auch bisher den
Sachverständigenorganisationen übertragene Aufgaben wahrnehmen würde,
vor allem in der Übergangszeit erhebliche Nachteile für die
staatliche Gewährleistung der Reaktorsicherheit hätte. Es würden
bewährte Strukturen zerstört, ohne dass in angemessener Zeit
Ersatzstrukturen diese Aufgaben effizient übernehmen könnten. Der
Neuaufbau einer zentralen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde, die nur
annähernd den gleichen Erfahrungshintergrund besitzt wie die
gegenwärtig dezentral bestehenden Strukturen bei Länderbehörden und
Sachverständigen, würde sich über viele Jahre hinziehen. In der Phase
des Auslaufens der gegenwärtigen Kraftwerksgeneration in Deutschland
ist dies sachlich nicht zu vertreten.

Anlass der Untersuchung sind Überlegungen des
Bundesumweltministeriums, das kerntechnische Genehmigungs- und
Aufsichtssystem in bundeseigene Verwaltung zu überführen und in einer
neuen Bundesbehörde unter Einschluss bisher von Sachverständigen
wahrgenommener Aufgaben zu zentralisieren. In dem Gutachten werden
das gegenwärtige deutsche System, seine historische Entwicklung, die
verfassungsrechtlichen Grundlagen und die aktuelle Reformdiskussion
dargestellt. Die entsprechenden Behördenstrukturen und Verfahren in
Frankreich, Schweden und USA werden dem deutschen atomrechtlichen
Regime gegenübergestellt und die Auswirkungen unterschiedlicher
Regulierungssysteme auf die Gewährleistung der nuklearen Sicherheit
untersucht.

Im Auftrag der Sachverständigenorganisationen TÜV SÜD Industrie
Service GmbH, TÜV SÜD Energietechnik GmbH Baden-Württemberg, TÜV NORD
SysTec GmbH & Co. KG und TÜV NORD EnSys Hannover GmbH & Co. KG wurde
das Gutachten erstellt. Mitgewirkt haben Michael Sailer, Öko-Institut
e.V., Darmstadt und Anselm Schaefer, Institut für Safety und
Reliability an der Technischen Universität München.

Ergebnisse im Einzelnen:

Das deutsche atomrechtliche System zeichnet sich im
internationalen Vergleich durch eine umfassende staatliche Kontrolle
der Kernkraftwerke und eine hohe behördliche Prüftiefe aus. Die
Frage, welche staatliche Kontrolldichte zu einem Optimum an
Sicherheit führt, lässt sich angesichts verschiedener
Wechselwirkungen nicht eindeutig beantworten, so dass kein
international praktiziertes Systeme als grundsätzlich vorzugswürdig
anzusehen ist. Eine Reduzierung der in Deutschland üblichen Prüftiefe
wäre unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls
problematisch.

Die Einschaltung von Sachverständigen durch die atomrechtlichen
Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden entspricht der bewährten
deutschen Tradition im Bereich der staatlichen Gewerbeaufsicht und
ist deshalb vom Gesetzgeber bei Einführung der friedlichen Nutzung
der Kernenergie bewusst so vorgesehen worden. Sie erlaubt es den
Behörden, auf ein qualifiziertes, flexibles Instrumentarium
zurückzugreifen, das ihnen in dieser Form die Gewährleistung der
hohen Prüftiefe überhaupt erst ermöglicht. Die
Sachverständigenorganisationen bieten den Behörden die Möglichkeit,
auf alle zur Beurteilung jeweils erforderlichen technischen
Disziplinen unter Einbeziehung der Erfahrungen aus anderen
Arbeitsgebieten ohne kameralistische oder dienstrechtliche
Restriktionen zugreifen zu können. Die organisatorisch getrennte
Aufgabenwahrnehmung gewährleistet die fachliche Unabhängigkeit der
Sachverständigen von der Behörde.

Eine Verstaatlichung des Sachverständigen-Know hows durch
Überführung in eine staatliche Zentralbehörde würde demgegenüber
unter den Bedingungen des öffentlichen Dienstrechts einen erheblichen
Verlust an Kompetenz bedeuten und hinsichtlich der
verfassungsrechtlich gebotenen Weisungsfreiheit Fragen aufwerfen. Der
vom Bundesverfassungsgericht für die Nutzung der Kernenergie
aufgestellte Grundsatz bestmöglicher Schadensvorsorge strahlt auch
auf Verfahrens- und Organisationsfragen aus. Die staatlichen
Schutzpflichten gebieten es, dass die zuständigen Behörden bei der
Beurteilung von nuklearen Sicherheitsfragen alle sachverständigen
Erkenntnisressourcen mobilisieren und deren Unabhängigkeit
gewährleisten.

Die Durchführung des Atomgesetzes in Bundesauftragsverwaltung
vereint die Vorteile der Ortsnähe der Landesbehörden mit denen der
zentralen Aufgabenerledigung auf Bundesebene. Die erforderliche
Abstimmung zwischen Bund und Ländern bewirkt eine behördeninterne
Kontrolle und führt zu einem ständigen Dialog über
sicherheitstechnische Fragen, der eine der Sicherheit förderliche
fachliche Meinungsvielfalt gewährleistet. Die parlamentarische
Verantwortung sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene mit
teilweise unterschiedlichen politischen Intentionen unterstützt die
Transparenz des Entscheidungsprozesses. Allerdings kann sie eine
nicht sachgerechte politische Instrumentalisierung technischer
Fragestellungen zur Folge haben. Letztlich kann das System seine
Stärken daher nur im Rahmen eines kooperativen Vorgehens voll
ausspielen.

Dem Gesetzgeber steht ein gewisses Maß an Gestaltungsfreiheit bei
der Organisation des staatlichen Genehmigungs- und Aufsichtssystems
zu. Bei einer Änderung der bestehenden Struktur muss er jedoch im
Hinblick auf die besonderen staatlichen Schutzpflichten wegen der von
der Nutzung der Kerntechnik potentiell ausgehenden Gefahren darlegen,
dass das neue System grundsätzlich besser geeignet ist, diesen
Pflichten zu genügen. In Anbetracht der eindeutigen gesetzgeberischen
Entscheidung für das heutige System und seiner prinzipiellen
Bewährung sind daher erhebliche Anforderungen an den Nachweis der
Erforderlichkeit und der Zweckmäßigkeit einer Reform zu stellen.

Originaltext: Verband TÜV Berlin
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=30859
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_30859.rss2

Pressekontakt:
Verband der TÜV e.V.
Johannes Näumann
Friedrichstraße 136
10117 Berlin

Tel.: +49 30 760095-320
Fax: +49 30 760095-321
E-Mail: johannes.naeumann@vdtuev.de


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