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WAZ: Das Problem "Sozialprognose": Der schnelle Schrei nach Sühne - Kommentar von Tobias Blasius

Geschrieben am 10-01-2007

Essen (ots) - Urteile ergehen im Namen des Volkes. Doch zwischen
rechtsstaatlicher Praxis und öffentlichem Rechtsempfinden tut sich
zuweilen eine gewaltige Kluft auf. Fälle wie der des 44-jährigen Ralf
G. verschärfen den Gegensatz zwischen der Buchstabentreue des
Gesetzes und dem Bauchgefühl vieler Bürger. Zwei Menschen hat der
Mann umgebracht, 21 Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Nun
steht er im Verdacht, im Dezember eine Essener Café-Mitarbeiterin
getötet zu haben. Eine "günstige Sozialprognose" bescherte ihm 2004
die vorzeitige Haftentlassung. Die Psychiater glaubten, den
zweifachen Totschläger erneut auf die Gesellschaft loslassen zu
können.

Der Schrei nach Sühne gehört in solchen Fällen zu den
verständlichen, ja fast reflexhaften Reaktionsmustern. Der frühere
Bundeskanzler Schröder, der auf der Klaviatur des Populismus zu
klimpern verstand wie wenige, hat diese allgemeine Aufwallung einmal
zu der Empfehlung verdichtet, mit Schwerkriminellen kurzen Prozess zu
machen: "Wegsperren - und zwar für immer". Diese Form der
Vereinfachung schickte sich weder für den Staatsmann Schröder noch
für den Juristen Schröder, gewiss aber traf er einen Nerv vieler
Leute. Nur: Der Rechtsstaat muss sich schon ein wenig mehr Mühe
machen.

Vermutlich sind der Tötung der Essener Café-Mitarbeiterin
behördliche Fehler, vor allem Fehleinschätzungen vorausgegangen. Dass
jemand, der zweimal wegen Totschlags verurteilt wurde, dem
Vergewaltigungen zur Last gelegt werden und der aus einer
Untersuchungshaft getürmt ist, noch einmal vor Ablauf der
Gefängnisstrafe auf freien Fuß kommen konnte, ist nicht nur dem
juristischen Laien schwer zu vermitteln. Das empört, deprimiert und
wird gegebenenfalls Konsequenzen nach sich ziehen. Grundsätzlich aber
darf sich der Umgang einer zivilisierten Gesellschaft mit
Kapitalverbrechen nicht in simpler Rübe-ab-Rhetorik erschöpfen. Die
Rückkehr selbst von Schwerkriminellen in einen normalen Alltag muss
nach Verbüßung der Strafen möglich bleiben und gelingt sogar in
vielen Fällen. Erfolgreiche Beispiele machen eben keine Schlagzeilen.

Die aufgeheizte politische Diskussion über das Strafrecht und die
wirklich lebenslängliche "Sicherungsverwahrung" hat dem Vernehmen
nach bereits dazu geführt, dass Psychiater im Zweifel lieber die
fortbestehende Gefährlichkeit eines Täters attestieren. Aus Furcht
vor einer fatalen Fehleinschätzung. Der erschütternde Fall Ralf G.
bietet auch die Gelegenheit zur Selbstvergewisserung des
Rechtsstaates.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de


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