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Rede von Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, zum Nationalen Protesttag am 24. März 2006 in Berlin

Geschrieben am 24-03-2006

Berlin (ots) -

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn Tausende von Ärztinnen und Ärzten zum zweiten Mal innerhalb
kurzer Zeit in der Hauptstadt gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen
und Mangelversorgung der Patienten demonstrieren, dann ist das der
Ausnahmezustand im Gesundheitswesen.

Wir haben lange genug erdulden müssen, dass die Politiker
wegsehen, deshalb werden wir sie jetzt zwingen zuzuhören.

Wir wollen nicht länger hochqualifizierte Leistungen zu
Dumpingpreisen erbringen müssen und wir wollen auch nicht länger als
Erfüllungsgehilfen staatlicher Rationierung missbraucht werden!

Wir wollen endlich wieder Ärzte sein und unsere Patienten mit
guter Medizin versorgen.

Wir werden uns auch nicht wieder mit Lippenbekenntnissen abspeisen
lassen. Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird der Protest
auch nach den Landtagswahlen weitergehen.

Die Menschen spüren doch, dass die permanente Ausbeutung der
ärztlichen Leistungsbereitschaft ihre Grenzen hat. 81 Prozent der
Deutschen äußern nach einer repräsentativen Umfrage Verständnis für
die Proteste der Ärzte. Die Patienten haben verstanden, dass die
bisherige Gesundheitspolitik am Ende ist.

Deshalb brauchen wir endlich die gleiche Ehrlichkeit in der
Gesundheitspolitik wie in der Rentenpolitik.

Es ist einfach unredlich, bei begrenzten finanziellen Ressourcen
weiterhin unbegrenzte Leistungsversprechen abzugeben. Das geht so
nicht weiter!

Es kann und darf nicht sein, dass für die Defizite in unserem
Gesundheitssystem immer und immer wieder die Ärzte verantwortlich
gemacht werden. All die Funktionäre in Politik und Krankenkassen
ignorieren in unglaublicher Arroganz, dass wir es doch sind, die erst
durch millionenfach unbezahlte Mehrarbeit den Betrieb in der
stationären wie der ambulanten Versorgung am Laufen halten.

Und da ist es doch perfide, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
diese unentgeltliche Mehrarbeit als feste Finanzierungseinheit
vorausgesetzt wird. Deshalb ist es so wichtig, dass wir endlich auf
die Straße gehen und die Menschen über den ganzen Politik-Klamauk
aufklären.

Die Bürger müssen wissen, was Sache ist. Die Patienten müssen
erfahren, was in Zukunft noch bezahlt wird. Und den Ärztinnen und
Ärzten in diesem Land muss man sagen, ob sie endlich die Anerkennung
für ihre Leistungen bekommen, die sie verdienen. Ein 'Weiter so' geht
definitiv nicht mehr!

Wir haben es ordentlich satt als verkappte Gerichtsvollzieher
benutzt zu werden. Das AVWG - Arzneimittel-Rationierungsgesetz - ist
ein neuerlicher Versuch, mit einem politischen Machwerk ärztliche
Therapiefreiheit zu zerstören.

Wer für den Staat spart, soll wie ein Vertreter mit Boni belohnt
werden, wer die Medizin zur Grundlage seines ärztlichen Handelns
macht, dem drohen Strafzahlungen. So, liebe Kolleginnen und Kollegen,
macht man gute Medizin kaputt.

Wir fordern deshalb die verantwortlichen Politiker der Großen
Koalition auf: Streichen Sie die Bonus-Malus-Regelung! Sie ist
zutiefst unethisch und führt zu unerträglichen Konflikten in der
täglichen Praxis.

Wie weit die Gesundheitsministerin von den Problemen des
Praxisalltags entfernt ist, gibt sie in einem so genannten Offenen
Brief an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zu erkennen.
Ich darf einmal zitieren:

"Dem verordnenden Arzt darf es nicht zu viel sein, so zu handeln
wie Millionen Menschen jeden Tag handeln: sich bei gleicher Qualität
für das günstigere Produkt zu entscheiden." Zitat Ende

Das heißt doch im Klartext, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
wir Ärztinnen und Ärzte uns unserer Verpflichtung zu einer
wirtschaftlichen Verordnungsweise bisher in fahrlässiger Weise
entzogen hätten.

Welches Arztbild liegt einer solchen Unterstellung wohl zugrunde?

Es ist diese Geisteshaltung des Misstrauens, die uns so wütend
macht!

Immerhin hat der Bundesrat unsere Argumente verstanden und das
AVWG an den Vermittlungsausschuss überwiesen. Das begrüße ich sehr.
Das heißt aber noch lange nicht, dass der Gesetzentwurf dort landet,
wo er hingehört, nämlich im Reißwolf!

Denn leider ist das AVWG nicht zustimmungspflichtig, das heißt der
Bundestag kann es auch gegen den Willen der Länder durchsetzen. Das
ist allerdings allein schon aus rechtlichen Gründen höchst
zweifelhaft. Denn das Gesetz tangiert sehr wohl das Landesrecht. Die
Bonus-Malus-Vorschrift kollidiert mit Regelungen der ärztlichen
Berufsordnung. Unser Berufsrecht aber ist abgeleitetes und von den
Aufsichtsbehörden genehmigtes Landesrecht aus den Heilberufsgesetzen
der Länder. Und in der Berufsordnung steht, dass Vorteilsnahme bei
einer medikamentösen Therapie nicht zulässig ist und bestraft werden
kann.

Also kollidiert hier das, was wir berufsrechtlich nicht dürfen,
mit dem, was wir nun mit dem AVWG sozialrechtlich machen sollen. Auf
solch einen Schwachsinn muss man erst mal kommen!

Leider ist das Ganze kein singulärer Vorgang, wir erleben diese
Art der bürokratischen Strangulierung unserer ärztlichen
Therapiefreiheit ja permanent. Es wird immer schwieriger, eine
Patientenversorgung nach den ethischen Grundüberzeugungen unseres
Berufes durchzuhalten.

Verbürokratisierung ärztlicher Behandlungsabläufe und
Dokumentationswahn der Krankenkassen sind heute bestimmende Faktoren
im ärztlichen Alltag. Auch das kann so nicht weitergehen! Deshalb
müssen wir dafür kämpfen, dass wir wieder als Ärzte arbeiten können
und unsere Leistungen angemessen bezahlt werden.

Und da lassen wir uns auch nicht mehr am ethischen Nasenring durch
die gesundheitspolitische Arena führen. Bei allen Aktionen, die wir
machen, ist immer die ärztliche Notfallversorgung garantiert. Da
müssen wir uns nichts vorwerfen lassen. Ganz im Gegenteil: Darauf
können wir auch stolz sein.

Mit der gleichen Leidenschaft, mit der wir für eine gute
Patientenversorgung streiten, müssen wir auch für unsere eigene Sache
kämpfen. Denn wenn Ärzte - junge wie alte - weiterhin so demotiviert
werden, dann stimmen sie mit den Füßen ab. Und dann wird die
Versorgung einbrechen. Nicht immer, nicht überall, aber von einer
flächendeckenden Versorgung werden wir uns dann verabschieden müssen.

Ärzte an Unikliniken und Landeskrankenhäusern streiken bereits.
Niedergelassene Ärzte demonstrieren schon. Aber wer sagt denn, dass
das nicht noch steigerungsfähig ist!

Denn ein 'Weiter so' kann es weder für die Krankenhausärzte noch
für die niedergelassenen Ärzte geben.

Wir sind keine Billigarbeiter und wir sind auch keine staatlichen
Rationierungsassistenten!

Wenn die Politik sich jetzt nicht endlich in Bewegung setzt, dann
werden wir eben für Bewegung sorgen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Originaltext: Bundesärztekammer
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=9062
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_9062.rss2

Pressekontakt:
Pressestelle der deutschen Ärzteschaft,
Tel. (030) 4004 56-700


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