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Rheinische Post: Lehren aus der Katastrophe Kommentar Von Sven Gösmann

Geschrieben am 30-07-2010

Düsseldorf (ots) - Fast alle wollten die Loveparade. Dann
passierte die Katastrophe. Jetzt will keiner die Last der Schuld.
Unsere Mediengesellschaft, stets an Vereinfachung interessiert, hat
flugs in Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland den
Alleinschuldigen ausgemacht. Vielen anderen Beteiligten käme das sehr
entgegen. Es wäre aber viel zu einfach. Die Katastrophe von Duisburg
hat nicht nur einen Verursacher oder eine Ursache. Sie ist die
tödliche Summe aus Unvermögen, genereller wie situativer
Überforderung, Geldgier, Ignoranz und Dummheit. Fast alle wollten die
Loveparade. Natürlich war da Adolf Sauerland von der CDU, der biedere
Bürgermeister einer Kommune mit Milliardenschulden. Endlich das Image
von Schmuddel-Schimanski und Mafiamorden abstreifen, Vorsteher einer
sagenhaften "Metropole Ruhr" sein! Adolf Sauerland, darin liegt seine
Tragik, hat seine eigenen überzogenen Wahlversprechen geglaubt. Seine
als Aktivität getarnte Großmannssucht schuf jenes Klima, in dem ein
mit Hobbypolitikern besetzter Stadtrat das Großprojekt einmütig
abnickte. Die scharfen Sauerland-Kritiker von heute - damals waren
sie schweigsame Lämmer. Fast alle wollten die Loveparade. Da waren
die Dezernenten, die heute aus Angst auch nicht zur Trauerfeier gehen
können. Sie setzten um, was sie als verantwortungsvolle Beamte hätten
stoppen können und müssen. Dass nun der Kulturdezernent als letzter
unbelasteter Spitzenbeamter den Krisenstab der Stadt leitet, spricht
Bände. Fast alle wollten die Loveparade. Da war auch der schneidige
SPD-Innenminister Ralf Jäger. Am Tag vor der Loveparade bejubelte er
das Sicherheitskonzept in einer Pressemitteilung, die er nach der
Katastrophe schnell aus dem Internet entfernen ließ. In der
Schuldfrage verweist er auf die Stadt und den Veranstalter. Auffällig
blieb, wie sehr Jäger und sein ranghöchster Polizist, Inspekteur
Dieter Wehe, in dieser Woche nicht von der Polizei als solcher,
sondern immer von der Darstellung "der Duisburger Polizei" sprachen,
auf die sie sich bislang stützen müssten. So bringt man
postensichernde Distanz zwischen sich und seine Duisburger
Untergebenen. Heute, am Tag der Trauer, sollten wir uns nicht im
wichtigen Klein-Klein der Aufarbeitung verlieren: Aber die Polizei
wird sich noch kritischen Fragen zu ihrer Rolle stellen müssen. Fast
alle wollten die Loveparade. An Loveparade-Veranstalter Rainer
Schaller gibt es diese kritischen Fragen fast nicht mehr. Er hat die
einst sympathisch-versponnene Idee der musikalischen Demonstration
für die Liebe unter den Menschen pervertiert. Ihr erging es damit wie
vielen kommerzialisierten Ideen. Sie verlor jeden Charme, wurde
hohles Geschäft. Geldgier ersetzte Esprit, in diesem Fall mit
tödlichen Folgen. Fast alle wollten die Loveparade. Da waren die
Macher der um Aufmerksamkeit buhlenden Europäischen Kulturhauptstadt
Ruhr 2010. Im lokalpatriotischen Einklang mit den Ruhrgebietsmedien
erhöhten sie den Druck auf die Duisburger Politik, damit die
Loveparade ein wenig jugendlichen Glanz auf das Kultur-Festival
werfe. Völlig überzogene Erwartungen verbanden diese
Öffentlichkeits-Arbeiter mit der längst zur geistlosen Hülle
verkommenen Tam-Tam-Veranstaltung auf einem abgewrackten
Güterbahnhofsgelände. Nicht weniger als einen Zeitensprung sollte die
Loveparade für das Ruhrgebiet bringen. Um das zu glauben, bedarf es
schon des dem Ruhrgebiet immanenten Minderwertigkeitskomplexes. Die,
freundlich ausgedrückt, selbstbewussten Düsseldorfer etwa machten
einen großen Bogen um die Loveparade, als sie ihnen angeboten wurde.
Duisburg, der ewige Underdog, griff zu. Wer nicht mitzog, war eine
Spaßbremse. Fast alle wollten die Loveparade. Keiner will die Last
der Schuld. Erfahrungsgemäß ist die juristische Aufarbeitung von
Katastrophen wie in Duisburg schwierig bis aussichtslos. Kaum jemand
dürfte verurteilt, höchstens Adolf Sauerland pensionsberechtigt
abgewählt werden. Ruhr 2010 wird weiterlaufen. Den Angehörigen der
Opfer, den Verletzten und Traumatisierten bleibt zu wünschen, dass
sie in ein halbwegs normales Leben zurückfinden. Und Duisburg? Es
steht jetzt auf einer traurigen Landkarte neben Ramstein oder
Eschede.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30621
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


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