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General-Anzeiger: "General-Anzeiger" Bonn zum Köhler-Rücktritt

Geschrieben am 31-05-2010

Bonn (ots) - Eine Frage der Ehre

Von Andreas Tyrock

Horst Köhler wollte nicht mehr. Er war tief getroffen, verletzt.
Horst Köhler hat aufgegeben, mit Tränen in den Augen. Horst Köhler
lässt ein Land, seine Bürgerinnen und Bürger und die politisch
Verantwortlichen ratlos und fragend zurück. Es kann doch nicht
wirklich sein, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein
Bundespräsident zurücktritt, nur weil er wegen seiner in der Tat
ungeschickten Äußerungen zur Afghanistan-Politik kritisiert wird.
Dieser Vorgang ist nicht der Grund des Rücktritts. Dieser Vorgang
darf es auch nicht sein, weil er im politischen Koordinatensystem
nicht wichtig genug für eine derart bedeutende Entscheidung ist.
Nein, der Afghanistan-Streit war nicht die Ursache des Rücktritts,
er war nur der Auslöser. Dieser letzte Tropfen brachte das Fass zum
Überlaufen.

Horst Köhler, der Bürger-Präsident, ist bei den Menschen beliebt.
Als er 2004 antrat, kannten ihn die wenigsten. Er hatte sich bis an
die Spitze des Internationalen Währungsfonds gearbeitet. Doch das ist
kein Posten mit großer Außenwirkung. Plötzlich war er da - und
überzeugte. Er mischte sich ein, authentisch und glaubwürdig. Er
scheute keine Konflikte, auch nicht mit der Bundeskanzlerin. Seine
erste Amtszeit verlief unterm Strich erfolgreich, weil er ein Gespür
für die Nöte und Sorgen der Menschen mit ins Amt brachte, weil er
widersprach, weil er etwa in der Finanzkrise mit klaren Worten die
Auswüchse der weltweiten Börsenzockerei kritisierte und verbindliche
Regeln forderte. Doch seit seiner Wiederwahl fand Köhler nicht zu
seinem Rhythmus zurück. Wo ist Köhler? Eine Frage, die in den
vergangenen Wochen und Monaten mehr als einmal im Land gestellt
wurde. Es gelang dem Bundespräsidenten nicht, Visionen zu entwickeln,
Perspektiven aufzuzeigen. In Zeiten der Wirtschafts-, Finanz- und
Eurokrise drang er nicht mehr durch, er war nicht präsent.

Der Respekt vor dem Menschen Horst Köhler gebietet es, seine
Entscheidung zu respektieren. Der Respekt vor der Würde des Amtes
hingegen muss die Frage erlauben, ob ein Bundespräsident auf diese
Art und Weise aufgeben darf. Horst Köhler hat alles hingeworfen und
lässt das Land in einer schweren Krise allein zurück. Insofern hat er
dem Amt möglicherweise mehr geschadet als die harsche Kritik der
Opposition an seinen Afghanistan-Äußerungen. Andererseits lässt seine
Entscheidung auch Rückschlüsse auf den Grad der Entfremdung zwischen
Bundespräsidialamt und Bundeskanzleramt zu. Schwarz-Gelb hatte ihn
einst ins höchste Staatsamt gebracht, jetzt musste Köhler mit
ansehen, wie "seine" Bundesregierung in die Amtsperiode stolperte.

So muss es für den Finanzexperten und aufrechten Mann Köhler ein
Graus gewesen sein, wie sich die Politik in den Monaten zwischen der
Bundestagswahl und der NRW-Landtagswahl um Entscheidungen drückte,
wie die Bundesregierung in der Steuerdiskussion lavierte und aktuell
eine dramatische Kehrtwende von der Steuersenkungs- zur
Steuererhöhungsdebatte vollzieht. Was bedeutet Horst Köhlers Schritt
für die Bundeskanzlerin und ihre Regierung? Zunächst einmal hat
Angela Merkel mit der Nachfolge-Frage eine weitere große
Herausforderung vor sich, die ihr in Zeiten fundamentaler
Entscheidungen in der Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik sehr
ungelegen kommt. Zudem ist die Kanzlerin angeschlagen. Die NRW-Wahl
war für sie eine schallende Ohrfeige, der schlechte Start von
Schwarz-Gelb in Berlin wird auch ihr angelastet, im
Griechenland-Euro-Streit machte sie keine gute Figur, und der
angekündigte Abgang von Roland Koch hinterließ einen faden
Beigeschmack. Denn nach Friedrich Merz verlässt mit dem hessischen
Ministerpräsidenten erneut einer der kompetenten, streitbaren
CDU-Hoffnungsträger die Politik - sicherlich auch, weil er zu den
konservativen Politikern gehört, die in der Partei unter Führung von
Angela Merkel keine politische Heimat mehr sehen.

Da schließt sich der Kreis zum Rücktritt Horst Köhlers: Welchen
Anteil hat die Politik der Bundesregierung unter Angela Merkel an der
Entscheidung des Bundespräsidenten? Eine Frage, die sich derzeit noch
nicht beantworten lässt, die aber im Raum steht und der Kanzlerin
nicht gefallen wird, weil sie weitere, seit langem latent vorhandene
Fragen provoziert: nach ihrem Führungsstil und der inhaltlichen
Ausrichtung der Christdemokraten. Die Entscheidung über die Nachfolge
könnte ein Signal auf der Suche nach den Antworten sein. Der
Rücktritt des Staatsoberhauptes trifft das Land, die Bundesregierung
und damit die Bundeskanzlerin in einer schweren Zeit. Gut möglich,
dass Horst Köhler diesen Schritt einmal bereuen wird.

Originaltext: General-Anzeiger
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/80218
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_80218.rss2

Pressekontakt:
General-Anzeiger
Alexander Marinos
Telefon: 0228 / 66 88 612
a.marinos@ga-bonn.de


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