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Landeszeitung Lüneburg: Im Atomstreit ticken die Uhren - Iran-Experte Prof. Perthes fordert "angereicherte", mehrdimensionale Politik des Westens

Geschrieben am 25-02-2010

Lüneburg (ots) - Der Atomstreit mit Iran spitzt sich zu, weil das
Regime provoziert: Präsident Ahmadinedschad wies die Atombehörde an,
die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent vorzubereiten. Zugleich
zeigen Raketentests die waffentechnischen Fortschritte des Landes.
Der Westen berät Sanktionen, die für Prof. Volker Perthes, Direktor
der Stiftung Wissenschaft und Politik -- eine Denkfabrik der
Bundesregierung -- nicht mehr sind als "robuste Diplomatie".

Die Internationale Atomenergiebehörde schlägt Alarm. Sie geht
davon aus, dass Teheran sein Atombombenprogramm bereits seit Jahren
wieder verfolgt. US-Militärs fordern eine härtere Gangart. Wird Krieg
eine Option?

Prof. Volker Perthes: Ein amerikanischer Präsident wird nie eine
Option völlig ausschließen. Aber in der Administration von Barack
Obama weiß man, dass man einen Krieg gegen Iran -- einen dritten
Krieg im Mittleren Osten -- nicht haben will. Zudem wären die
Konsequenzen eines Krieges härter als ein weiteres Setzen auf
Diplomatie -- zu der auch robuste Schritte wie Sanktionen gehören.

Iran lebt seit zwei Jahrzehnten mit Sanktionen. Wie müssten
Sanktionen aussehen, die nicht verpuffen?

Prof. Perthes: Zwar hat jede Sanktion einen Effekt, doch die
ausschließliche Konzentration auf Sanktionen wird keine Änderung der
iranischen Politik erzwingen können. Zumal, wenn man sich auf die
Sanktionen beschränkt, die derzeit diskutiert werden und die im
Sicherheitsrat durchzusetzen sind: Iranischen Schiffen die
Versicherung zu entziehen oder Konten von Firmen oder Personen
einzufrieren kann ein politisches Zeichen setzen, mehr nicht.

Iran ist für Russland ein geschätzter Kunde, für China ein
geschätzter Gas-Lieferant. Scheitern wirkungsvolle Sanktionen per se
im Sicherheitsrat?

Prof. Perthes: Das müssen sie nicht, aber richtig ist, dass Moskau
und Peking über Sanktionen anderer Auffassung sind als etwa
Washington oder Paris. Die Position Berlins liegt etwa in der Mitte
beider Pole. Der Kreml sagt derzeit sehr deutlich, dass er nicht an
eine Verhaltensänderung in Teheran durch Sanktionen glaubt. Dennoch
hält er Sanktionen als Ausdruck politischen Unmuts für notwendig.
Russland will sich nicht länger an der Nase herumführen lassen und
zeigen, dass seine Bereitschaft zu weiterer Zeitverschwendung
begrenzt ist. In China ist die Skepsis gegenüber Sanktionen noch
größer als in Russland. Hinzu kommt, dass Peking zum privilegierten
Ansprechpartner Teherans geworden ist, nachdem die EU, die USA und
partiell auch Russland auf Distanz gegangen sind.

Dann setzt die EU auch nicht mehr als ein politisches Zeichen mit
ihrer Doppelstrategie: Diplomatie plus Nadelstiche durch Sanktionen?

Prof. Perthes: Andere Formen von Sanktionen hätten mehr
Durchschlagskraft auf die sicherheitspolitische Kalkulation Teherans,
etwa ein vollständiges Waffenembargo -- das allerdings Russland als
Hauptlieferant mittragen müsste. Doch soweit sind wir noch nicht.
Derzeit verstärken wir die politische Zeichensprache. Die Sanktionen,
die nun erwogen werden, sind eher zum Bereich robuster Diplomatie zu
zählen. Daneben müssen Angebote zur Kooperation weiter auf dem Tisch
liegen, etwa eine Rückkehr zu der Formel, die im vergangenen Herbst
fast umgesetzt worden wäre: Der Austausch angereicherten Irans gegen
Brennstäbe für den Forschungsreaktor bei Teheran.

Sind die innenpolitischen Spannungen im Iran eher Chance oder
Fluch für den Atomkonflikt?

Prof. Perthes: Hier ist die Ironie der Geschichte am Werk. Bis zu
den Präsidentschaftswahlen im Sommer waren die Realpolitiker im
Westen davon überzeugt, dass man einen Hardliner im Präsidentenpalast
für ein Atomabkommen in Teheran bräuchte. Denn nur ein Hardliner,
kein Reformer, könnte den Widerstand der Konservativen aus dem Wege
räumen. Jetzt haben wir einen Hardliner an der Macht, aber trotzdem
keinen Deal. Weil Ahmadinedschad durch die Proteste nach seiner Wahl
und seiner Wiedervereidigung so geschwächt ist, dass er Kompromisse,
die er wohl einzugehen bereit gewesen wäre, innenpolitisch nicht mehr
durchsetzen kann. Der Westen tut gut daran, die Themen Bürgerbewegung
und Atomkonflikt zu trennen. Wir dürfen weder die sich entwickelnde
Zivilgesellschaft im Iran fallen lassen, um leichter einen Atomdeal
einfädeln zu können, noch die amtierende Regierung schneiden, um die
Opposition zu stärken. Beides wäre falsch. Wir müssen weiter
versuchen, mit der Regierung Ahmadinedschad den Atomkonflikt zu lösen
und ihr zugleich vermitteln, dass ihre Übergriffe auf Oppositionelle
nicht zu tolerieren sind. Das iranische Regime sollte die Grundrechte
respektieren, die die eigene Verfassung gewährt.

Würde verstärkter internationaler Druck die Iraner hinter dem
Regime vereinen und so die Opposition beerdigen?

Prof. Perthes: Die Erfahrung mit Sanktionen in der internationalen
Politik reicht nicht aus, um diese Frage sicher zu beantworten. Wovon
wir aber ausgehen können, ist, dass ein weitestreichendes
Wirtschaftsembargo diesen Effekt hätte. Die Folgen der eigenen
Misswirtschaft und sämtliche Härten des Alltags könnte das Regime
dann vor der Tür der Embargostaaten abladen. Den gleichen Effekt
hätten Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat getragen werden.
Teheran könnte die EU und die USA geißeln und gegenüber den eigenen
Bürgern auf China, Malaysia, Brasilien, Argentinien und Dubai
verweisen, die das Embargo unterlaufen würden.

Muss sich der Westen auf längere Sicht auf ein
repressiv-militaristisches Regime in Teheran einstellen?

Prof. Perthes: Hoffnungen, das Regime stünde kurz vor dem
Zusammenbruch und würde bald durch eine Regierung der grünen Bewegung
ersetzt werden, sind unrealistisch. Früher oder später wird sich auch
das Regime in Teheran verändern, aber ich vermute, dass es dabei den
Mantel der Islamischen Republik nicht abwerfen wird. Zur Zeit scheint
das Regime einiges an Stabilität zurückgewonnen zu haben, die es im
Sommer verloren hatte. Dafür spricht, dass sich ein Teil der Elite,
die sich über der Verkündung des Wahlsieges mit Ahmadinedschad
überworfen hatte, mittlerweile wieder im Zelt des Herrschers
einfindet.

Besteht die Gefahr, dass das Regime einen Showdown mit Israel
anstrebt, wenn es im Innern unter Druck gerät?

Prof. Perthes: Ich denke nicht, dass das Regime irgendein
Interesse an einer militärischen Auseinandersetzung mit Israel hat.
Eher unterschätzt Teheran die Gefahr eines militärischen Konfliktes
mit Israel. Wenn man in Teheran über äußere Gefahren nachdenkt, hat
man die USA auf dem Bildschirm, nicht Israel. Die Machthaber wissen
-- und haben damit Recht --, dass Israel nur angreifen würde, wenn es
sich von Iran existenziell bedroht fühlen würde.

Ein legitimes Interesse Teherans ist Sicherheit. Böte eine
Sicherheitsgarantie der USA, deren Truppen den Iran umzingelt haben,
eine Chance für einen Durchbruch?

Prof. Perthes: Zurzeit fände ein solches Angebot keinen Abnehmer.
Mittel- und langfristig könnten alle Staaten am Persischen Golf in
ein regionales Sicherheitsarrangement mit internationaler Beteiligung
gegossen werden, eine Art OSZE am Golf. Aber wenn die
Obama-Administration heute, mitten im Atomkonflikt, eine derartige
Sicherheitsgarantie anböte, würde das innenpolitisch nicht verstanden
und die regionalen Verbündeten, allen voran Israel, wären verstört.
In Teheran würde ein derartiges US-Angebot als Zeichen von
Weltmacht-Arroganz diffamiert werden.

Böte die zeitweise Ausklammerung des Atomstreits eine Perspektive?
So haben Iran und die USA etwa bei der Eindämmung des Drogenhandels
in Afghanistan gemeinsame Interessen?

Prof. Perthes: Wir können den Atomstreit nicht einfach
ausklammern, schon allein wegen der Resolutionen des
Sicherheitsrates. Zudem erleben wir auch im Iran eine Entwicklung,
nach der man zumindest versuchsweise Uran auf 20 Prozent anreichern
will. Insofern kann der Westen nicht so tun, als sei nichts
geschehen. Aber wir sollten versuchen, über den Atomstreit
hinauszuschauen, ohne ihn zu vergessen. Wir sollten uns nicht
ausschließlich auf den Atomstreit fokussieren, was wir seit 2003
weitgehend getan haben. Vordem waren wir damals nicht so
eindimensional. So scheiterten die Verhandlungen etwa über ein
Handels- und Kooperationsabkommen der EU mit Iran 2003 an der
Menschenrechtsfrage. Wir brauchen wieder eine höher angereicherte
Iran-Politik.

Geht die Geduld des Westens nach den 2003 und 2005 hintertriebenen
Atomverhandlungen zur Neige?

Prof. Perthes: Geduld hat im politischen Raum nicht nur eine
emotionale Komponente, sondern auch eine innenpolitische Funktion. So
hatte sich Barack Obama für sein Engagement am Golf selbst eine Frist
bis Ende des Jahres 2009 gesetzt, um die Widerstände gegen diesen
Kurs im Kongress einzuebnen. Von daher muss angesichts ausbleibender
Erfolge seine Geduld mit Teheran zu Ende gehen, will er nicht das
Gesicht verlieren. Die Begründung, sich selbst unter Termindruck zu
setzen, war dabei nicht falsch: Bestimmte Uhren ticken -- die
Anreicherungsuhr im Iran ebenso wie die Uhr der israelischen Führung,
die sehr genau beobachtet, über wie viel waffenfähiges Uran der Iran
verfügt. Sicher wächst die Ungeduld der westlichen
Verhandlungsführer. Wer Monate vergeblich verhandelt hat, will klar
machen, dass er nicht willens ist, auf diese Art ewig
weiterzuverhandeln. Was wir brauchen, sind substanzielle
Zwischenergebnisse, wie sie im vergangenen Herbst schon einmal
möglich schienen, um der Diplomatie für neue Aktivitäten Raum zu
geben.

Das Interview führte
Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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